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Emanzipierte Rhythmusgruppe, nachgemachter Miles

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Das traditionsreiche Jazzfest Berlin setzte Akzente, die sich nicht am Zeitgeist orientieren
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Im Zentrum des Geschehens stand eine Art „Leistungsschau“ von Big Bands und großen Jazz-Ensembles. Während das Danish Radio Jazz Orchestra die traditionellste Ausformung des großorchestralen Jazz darstellte, kam mit dem neuen Projekt „Songs and Solos“ von Klaus König die deutsche Avantgarde zum Zuge. Mit „Times of Devastation“ war König vor genau zehn Jahren ins Rampenlicht gerückt; als innovativer Komponist und Leiter des immer wieder neu formierten Klaus König Orchestra. Das Jubiläumsprogramm „Songs and Solos“, das in der Tradition von Königs bisherigen Arbeiten steht, ist ein Zyk-lus klug auskomponierter Partien, im Wechsel mit darin eingebetteten Soli von so eigenwilligen Improvisatoren wie Claudio Puntin, Wollie Kaiser, Reiner Winterschladen, Claus Stötter, Jörg Huke sowie die beiden Gitarristen Markus Wienstroer und Markus Segschneider.

Der künstlerische Leiter Albert Mangelsdorff hatte für das Jazzfest 99 keine Bands mit DJs, keine modischen Crossover-Projekte und – Herbie Hancock ausgenommen – auch keine wirklich teuren Stars eingekauft. Die Strafe dafür folgte auf dem Fuße: es kamen wenige Zuhörer, auch wurde man das Gefühl nicht los, Jazz sei nur noch etwas für die mittlere und ältere Generation. Es soll hier aber keineswegs in die unqualifizierte Kritik eines Berliner Stadtmagazins mit eingestimmt werden, welches das Festival schon in Grund und Boden richtete, bevor nur ein Ton erklungen war. Mangelsdorff hatte die Einladungen an die Bands mit Bedacht ausgesprochen. Unter den Beiträgen vieler Ensembles, Solisten oder Big Bands gab es Tag für Tag neue, unerwartete musikalische Entdeckungen zu machen. Im Zentrum des Geschehens stand eine Art „Leistungsschau“ von Big Bands und großen Jazz-Ensembles. Während das Danish Radio Jazz Orchestra die traditionellste Ausformung des großorchestralen Jazz darstellte, kam mit dem neuen Projekt „Songs and Solos“ von Klaus König die deutsche Avantgarde zum Zuge. Mit „Times of Devastation“ war König vor genau zehn Jahren ins Rampenlicht gerückt; als innovativer Komponist und Leiter des immer wieder neu formierten Klaus König Orchestra. Das Jubiläumsprogramm „Songs and Solos“, das in der Tradition von Königs bisherigen Arbeiten steht, ist ein Zyk-lus klug auskomponierter Partien, im Wechsel mit darin eingebetteten Soli von so eigenwilligen Improvisatoren wie Claudio Puntin, Wollie Kaiser, Reiner Winterschladen, Claus Stötter, Jörg Huke sowie die beiden Gitarristen Markus Wienstroer und Markus Segschneider. Auch beim finnischen UMO Jazz Orchestra stand ein Gitarrist im Vordergrund: der Krakatau-Musiker Raoul Björkenheim aus der Schule des finnischen Schlagzeugers und Komponisten Edward Vesala. Seine rauen, klangsinnlichen Melodien bildeten den Konstrast zum traumwandlerisch perfekten Satzspiel der Finnen sowie zum Solotrompeter Tero Saarti, der in die Rolle von Miles Davis geschlüpft war. An der dargebotenen Electrifying-Miles-Melange erhitzten sich die Gemüter. Lag es doch gerade erst zehn Jahre zurück, dass der Meister selber mit poppig-sinfonischen Arrangements durch die Lande getourt war. Unter Dirigent Kari Heinilä boten die Finnen die Musik von Miles Davis im neuen Arrangement. Ein nachgemachter Davis also, der aber – wie in den 50er-Jahren die grandiosen Jazzarrangements eines Stan Kenton – eigene Qualitäten entwickelte.

Zur Prime Time, direkt nach dem UMO-Auftritt, folgte dann der eigentliche Höhepunkt des Jazzfests: die Performance des Christof Lauer Quartets. Tenorsaxophonist Lauer sowie Marc Ducret (g), Anthony Cox (b) und Gene Jackson (dr) spielten energiegeladenen Jazz auf höchstem Niveau. Die Zuhörer im Haus der Kulturen – und es waren sicher einige routinierte Konzertgänger darunter – waren hingerissen. Sie erlebten eine Sternstunde des Jazz: filigranes Interplay im Wechsel mit groß angelegten Steigerungen und Verdichtungen. Ganz besonders hervorzuheben wäre das Zusammenspiel von Lauer und Gene Jackson am Drumset – faszinierend!

Weitere Glanzstücke des Jazzfestes Berlin 1999 war das Konzert der Formation des Vibraphonisten Bill Ware. Zehn Jahre hatten sich Bill Ware, Brad Jones (b) und John Schröder (dr) als Rhythmusgruppe der Jazzpassengers eingespielt, bevor sie sich als eigenständiges Trio abspalteten – ein side project, das sich zurecht emanzipiert hat. Mit einer Leichtigkeit, einer Selbstverständlichkeit wie sie vielleicht nur amerikanischen Musikern eigen ist, schufen die drei pulsierende, komplexe Rhythmus- und Klangpatterns und schlugen das Publikum im Theatersaal vom ersten bis zum letzten Ton in ihren Bann.

Wie ein Kulturschock wirkte das anschließende Konzert der Gruppe „Der Rote Bereich“ um den Bassklarinettisten Rudi Mahall mit Frank Möbus, Gitarre, und John Schröder, Schlagzeug. Ein Schock vielleicht – aber ein durchaus wohltuender. Denn was sich da an Verspieltheit, Witz und Originalität präsentierte, ist für den – zum Glück nicht immer – sehr ernst und gewichtig daherkommenden freien, modernen Jazz aus Deutschland wirklich neu.

Während die Leipziger Jazztage erst einen Monat zuvor das Thema Wende noch indirekt mit einem biografischen Projekt Abdullah Ibrahims behandelt hatten, ging man in Berlin gleich zur Sache. Am letzten Tag des Festivals, Sonntag, stand unter dem Motto „Zehn Jahre Maueröffnung“ das Petras Vysniauskas Quartet zusammen mit dem St. Christopher Chamber Orchestra of Vilnius unter Donatas Katkus auf dem Podium im Auditorium. Mit der Aufführung von Kompositionen der litauischen Komponisten Algirdas Martinaitis sowie Vidmantas Bartulis erlebte das Jazzfest hier einen – immerhin diskussionswürdigen – Versuch, den sogenannten Third Stream wiederzubeleben. Noch einmal griff dann das mit DDR-„Klassikern“ besetzte Ensemble (Hein Becker, Konrad Bauer, Ernst Ludwig Petrowsky, Manfred Hering, Helmut Forsthoff, Klaus Koch und Michael Griener) unter der Federführung von Ulrich Gumpert das Thema „jüngste deutsche Vergangenheit“ auf. Neben den beiden Schwerpunktthemen Großformation und internationale Trio- und Quartettformation war dieser dritte Akzent mit Sicherheit kein Jubeljazz anlässlich eines markanten politischen Datums.

Dennoch bleibt die Frage bei so viel DDR-Ehemaligen: Welchen Jazz macht eigentlich die Nachwende-Generation? Gibt es für sie nur noch den Blick nach New York oder leben Traditionen aus 40 Jahren mehr oder weniger subversivem DDR-Jazz unter der „Fürsorge“ des Komitees für Unterhaltungsmusik weiter? Vielleicht gibt bereits das Jazzfest 2000 darauf eine Antwort. Dann kommen die DJs und die Trendsetter, die wieder mehr Leute ins Haus der Kulturen locken, aus Halle oder Dresden.

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