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Günter Philipp. Foto: privat
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Erinnerungen an einen nicht Kategorisierbaren

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Zum Todestag des Pianisten, Improvisatoren und Malers Günter Philipp (1927–2021)
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Am 10. Juli 2022 jährt sich der Todestag des am 13. September 1927 in Sohland an der Spree geborenen Malers und Pianisten Günter Philipp. Von 1947 an hatte dieser Klavier und Komposition bei Hugo Steurer und Wilhelm Weismann studiert. Nachdem er das Studium wegen einer Handverletzung unterbrechen musste, nahm er ein weiteres bei Heinz Eberhard Strüning an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig auf. Seine Doppelbegabung sollte sein Leben als Musiker, Hochschullehrer und bildender Künstler prägen.

Neben seiner frühen Konzerttätigkeit war Philipp als Publizist und Herausgeber von Klavierwerken Skrjabins, Ravels und Denissows und anderen tätig. Sowohl als Musiker wie auch als Maler hatte Philipp in der DDR unter vielfältigen Restriktionen zu leiden. Doch auch nach der Wende blieb er immer unbequem und ein Solitär, sein Werk erfuhr von den Medien so gut wie keine Beachtung.

„Nicht alle künstlerischen Benachteiligungen resultieren aus politischen Verhältnissen“, sagte er einmal im Interview mit der neuen musikzeitung. „So haben die Feuilletonredaktionen der Tagespresse einen Anteil an Ungerechtigkeiten und Machtmissbrauch, den ich mir früher nie hätte vorstellen können. Besondere Konzerte wie etwa im Januar 1995 im Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik (Improvisationen mit zwei Klavieren, Vortrag und Bilderausstellung) oder 1997 das DTKV-Jubiläumskonzert mit Rundfunkaufzeichnung in der Aula der Musikhochschule Dresden und vieles andere wurden weder angekündigt noch rezensiert.“

Ostalgie gab es für Günter Philipp allerdings nicht, denn seine Karriere war geprägt von zahlreichen Auseinandersetzungen mit dem Kulturministerium der DDR. Der Verband bildender Künstler nahm ihn nicht als Mitglied auf, denn er war schließlich Musiker. So konnte Philipp praktisch keine Ausstellungen machen und auch nicht vom staatlichen Auftragswesen profitieren.

Doch auch für den Pianisten war es schwierig: Die Künstleragentur in Berlin hatte ihn zu keiner Zeit auf ihrer Angebotsliste. Nachdem sich prominente Persönlichkeiten für ihn eingesetzt hatten, war er einmal für ein Jahr darauf.

„Manche Dirigenten haben mich trotzdem geholt, oder recht häufig musste ich kurzfristig für jemanden einspringen. Manchmal habe ich erst einen Tag vor der Aufführung erfahren, dass ich spielen soll. Ich habe das sehr oft gemacht, und dann sind die betreffenden Dirigenten dafür gerügt worden, dass sie mich genommen haben.“ Es gab Reiseverbote, aufgrund derer er die Mitwirkung an mehreren Ensembles aufkündigen musste, eine akademische Laufbahn wurde ihm verwehrt.

Mitte der 70er-Jahre war bei Funkaufnahmen Philipps mit Werken von Edisson Denissow der Komponist anwesend. Danach entschloss Denissow sich, ein Klavierkonzert für Philipp zu schreiben, das „Konzert für Klavier und Orchester“ (1977). Eine Ehre, die für den Pianisten zu einer Odyssee wurde, wie er sich erinnerte: „Als 1977 der Zeitpunkt für die Uraufführung mit dem Leipziger Rundfunksinfonieorchester näher rückte, wurde das Stück abgesetzt, angeblich, weil es zu schwer für das Orchester war. Später hat man versucht, das Stück gegen die Intention des Komponisten anderen Pianisten zu geben. Die haben das sofort wieder als unspielbar zurückgeschickt. Dieses Klavierkonzert ist das komplizierteste und anspruchsvollste, das mir bekannt ist.“ Über ein Jahr nach Fertigstellung und geplanter Uraufführung 1977 wurde es schließlich 1978 mit dem Rundfunksinfonieorchester Leipzig unter Wolf-Dieter Hauschild und mit Philipp als Solist aufgeführt.

Philipp war seit 1972 Dozent an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden und gehörte zu den ers­ten Musikern, die in den 1960er-Jahren in der DDR öffentlich die Soloimprovisation praktizierten. Seine erste Improvisationsgruppe gründete er mit der Sopranistin Barbara Dollfus. Als passionierter Stegreifspieler konzertierte er oft mit Orchester- und Jazzmusikern, unter anderem mit seiner Frau, Ute Pruggmayer-Philipp.

Die ersten Anregungen zum Improvisieren hatte er als ganz junger Mensch durch Tanzmusik bekommen. Der eigentliche Beginn war aber dann etwas anderes: Als Student an der Leipziger Musikhochschule traf er auf den Kirchenmusiker Robert Köbler, einen großen Improvisator aus dem Geist der Kirchenmusik. „Wir haben dann einfach zueinander gefunden und aus Freude an der Sache an zwei Klavieren improvisiert.“

Weltliche und geistliche Musik haben sich in der Improvisation getroffen. „Improvisation war mir seit meiner Leipziger Zeit wichtig, aber dort war es völlig ausgeschlossen, das Fach Klavierimprovisation an der Hochschule zu installieren. Als Professor Webersinke mich nach Dresden geholt hatte, war er eigentlich der erste, der anregte, einen solchen Studiengang in Dresden zu installieren. Das war erst auf freiwilliger Basis, und später ist es dann von den anderen vier Hochschulen der DDR als Pflichtfach eingeführt worden.“

Die Professur in Dresden gibt es noch: Die Improvisationsausbildung hat Philipps deutlich jüngere Frau Ute Pruggmayer-Philipp übernommen.

Improvisationen haftet das Vergängliche an, nur wer schreibt, der bleibt: Als opus summum seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Pianist und Pädagoge legte Philipp 1984 das Buch „Klavier, Klavierspiel, Improvisation“ vor. Das war noch der Titel zu DDR-Zeiten. Die Neufassung aus dem Jahr 2003 im Verlag Klaus-Jürgen Kamprad hieß dann „Klavierspiel und Improvisation – ein Lehr- und Bekenntnisbuch über musikalische, technische und psychologische Grundlagen“ (Interpretation, Übung, Pedal, Unterricht, Kreativität, Hygiene, Akustik, Klavierbau u.a.).

In den beiden letzten Lebensjahrzehnten widmete sich der inzwischen zum Ehrenpräsidenten des Deutschen Tonkünstlerverbandes Sachsen gewählte Künstler hauptsächlich der Malerei, der Grafik und dem Zeichnen. 800 Ölbilder gibt es bis heute und dann kommen noch die Aquarelle dazu und die vielen Zeichnungen, die schon nicht mehr zählbar sind. Einige wenige davon hängen in der Hochschule Dresden, wie seine drei großen Ölgemälde mit starken musikalischen Bezügen: „Denissow-Klavierkonzert“, „Skrjabins Prometheische Phantasien“ und „Klangexplosion“.

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