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Erlebnishallen, Forschungslabors und High-Tech-Studios

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Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe öffnet seine neuen Hallen
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Relativ unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit entsteht seit 1989 in der kleinen Großstadt Karlsruhe eine Institution, die bundesweit, ja international einmalig ist: das Zentrum für Kunst und Medientechnologie, ZKM. Hinter den drei Buchstaben verbergen sich Einrichtungen wie die Institute für Bildmedien, für Musik und Akustik sowie ein Medientheater, ein Medienmuseum, das Museum für Neue Kunst, eine Mediathek, Forschungsprojekte, Tonstudios, die Multimediale und andere Veranstaltungen. Noch sind die Abteilungen des ZKM über die ganze Stadt verteilt. Doch der Umzug in ein zentrales Haus steht kurz bevor. Im Oktober werden dann alle unter den Glasdächern des riesigen IWKA-Hallenbaus, einer renovierten ehemaligen Munitions- und Waffenfabrik, vereint sein. Die 5. Multimediale des ZKM, die am 18. Oktober beginnt, soll zugleich die große Einweihungsparty für den neuen Bau sein. Die Sängerin agiert vor einem virtuellen, vom Computerer- zeugten Bühnenbild. Was die Sopranistin auf dieser künstlichen Bühne erlebt, was sie sieht, wo sie hingeht, all das sieht der Zuschauer hinter ihr auf eine große Leinwand projiziert. Sie bewegt sich durch Foyers, durch Gänge, Säle. Sie wird in einem Labyrinth verfolgt. Sie begegnet virtuellen Personen, die sie wiederum durch Ansingen in bestimmten Tonhöhen, oder Tonfolgen in deren Bewegungen steuern kann. Diese Szene aus einer Multimedia-Oper von Kiyoshi Furukawa kann man am 31. Oktober im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie erleben. Heike Staff, Konzertveranstalterin im ZKM, meint: „Bei Furukawas Stück sind wir in Neuland vorgestoßen. Die Akteurin spielt hier mit den Vorläufern von virtuellen Mitspielern. Nur aus einem einzigen Grund sind es noch keine ‚echten‘ Mitspieler: wegen begrenzter Rechenkapazität. Und das obwohl das ZKM über sehr große Rechner verfügt.“ Furukawa, der Schöpfer der Multimedia-Oper, schätzt die Arbeitsmöglichkeiten des ZKM sehr. Nirgends auf der Welt könne er seine Vorstellungen multimedialer Kunst besser und ohne finanziellen Druck realisieren als in Karlsruhe. Mit dieser Ansicht steht er nicht allein. Über 80 Gastkünstler allein des ZKM-Instituts für Musik und Akustik lernten bereits dessen Vorzüge zu schätzen, darunter Michael Bach, Ludger Brümmer, Erhard Grosskopf, Melvyn Poore, Günther Steinke und viele andere. Innerhalb weniger Jahre entstanden über 100 Werke in den Gattungen: Musik für Lautsprecher, Kompositionen mit Live-Elektronik, Stücke für Instrumente und elektronische Klänge, Musik-Bild-Produktionen, Hörspiele, Musik zu Bildern, Stücke für mechanische Orgel sowie CDs. Ungewöhnliche Initiative Das ZKM wurde 1985 vom Rat der Stadt Karlsruhe initiiert. In den ersten Jahren versuchten die Gründer in Anlehnung an das Media Lab des MIT in den USA, Kunst und Technologie in Verbindung zu bringen. Denn im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten und den meisten europäischen Ländern gab es immensen Nachholbedarf in Deutschland. Heinrich Klotz, der das Architektur Museum in Frankfurt aufgebaut hatte und auch dem Museumsufer in Frankfurt verbunden war, wurde vom damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth für die Direktion des neuen Medieninstituts angefragt. Klotz sagte ja und erhielt gleichzeitig eine Zusage für eine neue Hochschule für Gestaltung sowie die Erweiterung des ursprünglichen ZKM-Konzepts um das Museum für Neue Kunst. Mit je 50 Prozent vom Land und von der Stadt Karlsruhe wird das ZKM seither als Stiftung des öffentlichen Rechts finanziert. Den Neubau zahlte Karlsruhe, den laufenden Etat teilen sich Land und Stadt jeweils zur Hälfte. Elektronische Musik ist üblicherweise kein Publikumsmagnet. Dennoch, die Macher singen ein Loblied auf das Karlsruher Publikum. Bei Klassikern wie Nono, Stockhausen oder auch Varèse sowie bei den Festivalkonzerten mit Uraufführungen aus dem ZKM strömen leicht mehr als 500 Zuhörer in die Säle des ZKM, selbst bei experimentellen Konzerten rechnen die Veranstalter mit 150 bis 200 Gästen. Johannes Goebel, Leiter des Institutes für Musik und Akustik im ZKM, lobt: „Karlsruhe hat sich als einer der wenigen Orte herausgestellt - und das im Vergleich zu den großen Städten Paris, Berlin, New York - bei denen zu derartiger Kunst tatsächlich viele Leute kommen, die sich auch geduldig mit der Sache auseinandersetzen und nicht gleich alles ablehnen, was mit Technologie gemacht wird.“ Für ein „Techno-Avantgarde-Projekt“ wie das ZKM ist es schwierig, sich regional verständlich zu machen. Denn die kulturellen Ansprüche der Region sind anders. „Wir haben international ein gewaltiges Renommee erworben“, sagt Goebel. „Das gilt für unsere Museen, die Ausstellungen im Guggenheim Museum, New York, aber auch für die Ausstellungen, die wir in Rom und in Madrid hatten. Vernetzte Kunst Als seine Aufgabe sieht es das Zentrum an, die Künste miteinander in Verbindung zu bringen: Musik, Bild, darstellende Kunst, Animation, Computergraphik und Literatur. Und zwar alles in Verbindung mit den Möglichkeiten der Digitaltechnik. Dadurch findet eine sonst nicht gekannte Zusammmenarbeit von Ingenieuren, Künstlern und Wissenschaftlern statt. Und noch etwas unterscheidet das ZKM von den üblichen Studios, Museen oder Bibliotheken: die Gleichzeitigkeit von ausstellenden und produzierenden Einrichtungen in einem Haus. Das Medienmuseum, das von Hans Peter Schwarz geleitet wird, richtet sich auf interaktive Kunst aus. In Zusammenarbeit mit Künstlern und Wissenschaftlern wurden interaktive, erlebnisorientierte Installationen für ein breites Publikum entwickelt. Das Medienmuseum hat etliche Kunstwerke in Auftrag gegeben, bei denen das Publikum ins Kunstwerk eingreifen, etwas verändern kann. Die Mediathek beherbergt eine große Sammlung von Kunstvideos, die Audiosammlung ist die derzeit größte Sammlung elektronischer und elektroakustischer Musik. Hier ist von der Videoskulptur bis zum Ölbild alles vertreten, was sonst üblicherweise in getrennten Museen gezeigt wird. Mit dem Institut für Musik und Akustik und dem Institut für Bildmedien arbeiten auch Musik und Bild auf professioneller Ebene mit der digitalen Technologie zusammen. Interaktive Mechanik Was bedeutet interaktive, intermediale Kunst? Dazu Staff: „Man darf dem Computer nichts Menschliches andichten. Die interaktive Beziehung ist letztlich oft eine quasi mechanische. Mit dieser Vorstellung kommt man dem Geist dieser Beziehung erheblich näher. Die Komplexität kommt nur daher, daß wenige Verknüpfungsregeln schon eine große Komplexität erreichen. Menschliche Kommunikation ist jedoch erheblich vielschichtiger. Im Gegensatz zur Maschine besitzt der Mensch eine komplexe, umfassende Wahrnehmung und Assoziationsfähigkeit.“ Als Veranstalterin legt Staff Wert darauf, daß immer am Abend vor dem Konzert aufgebaut wird, denn irgendetwas neu zu programmieren kann spielend eine Nacht verschlingen. Früher galt die Regel, daß man alle Kabel rauszog und alles neu verkabelte, heute gilt die Regel, was einmal verkabelt ist, zwischen zwei digita- len Geräten, da darf kein Stecker neu gezogen werden vor dem Konzert. Man glaubt da schon einen Hauch Aberglauben in den High-Tech-Studios zu bemerken. Der Fachmann erlebt scheinbar genau dasselbe wie jeder private PC Besitzer. Er kann auf immer großartigere Maschinen zurückgreifen, die immer mehr können. Für das größere Können der Maschinen handelt der Mensch sich immer neue Fehler ein. Samstag, 18. Oktober ab 18 Uhr, beginnt die 5. Multimediale mit einer langen Festnacht als Eröffnung der neuen Hallen. An insgeamt vier Eröffnungswochenenden werden Werke von Wolfgang Rihm und Peter Eötvös, Kiyoshi Furukawa, Mesias Maiguashca, Alejandro Viñao, Luigi Nono und anderen auf- und uraufgeführt. Zu den Interpreten zählen das Ensemble Modern, das Ensemble 13 und das Ensemble Recherche.

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