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Ernsthafte Arbeit statt fader Resignationsmusik

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Die Newcomer hinterlassen beim Impuls Festival Graz starke Eindrücke
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Bullshit is over: Das Eröffnungskonzert des Grazer Impuls Festivals bestritt das Klangforum Wien mit fünf Uraufführungen (Impuls-Kompositionsaufträge) junger Komponistinnen und Komponisten, den Gewinnerinnen und Gewinnern des Kompositionswettbewerbs im Vorjahr. Und es waren in den vergangenen zwei Jahren gerade die Newcomer- und Next Generation-Formate, die, sonst im toten Winkel der leeren Selbstgefälligkeit des Hauptprogramms, musikalisch etwas angingen.

Es scheint da nicht um antiautoritäre Rebellion der jungen Wilden gegen die alten Meister zu gehen, wie es seit Jahrzehnten als quasi natürlicher Prozess periodischer Wiederkehr selbst Teil der ermüdenden Marktschreierei geworden ist, im Gegenteil: ob in Schwaz (Hakan Ulus), Donaueschingen (Neele Hülcker, Philipp Krebs), oder Witten (Jacques Zafra, Hannes Kerschbaumer, Jonah Haven, Giorgia Koumará), die ‚next Generation‘ steht für ernsthafte Arbeit an der Musik, Sensibilität für interne revolutionäre Potenziale und wendet sich gegen die präpotente Albernheit und die fade Resignationsmusik der Arrivierten. Wenn hier etwas angegriffen wird, ist es nicht die Größe oder das Pathos der Lehrergeneration, sondern deren Nihilismus.

Den Anfang macht „kama“ des kretischen Komponisten Michalis Paraskakis. Die individuelle und tiefe Besetzung (Bassflöte, Heckelphon, Bass-/Kontrabassklarinette, Baritonsaxophon/Tubax, Kontraforte, Firebird-Trompete, Waldhorn, Posaune, Akkordeon, Harfe, Viola, Cello und Kontrabass) stellt das Stück nicht auf einen satten, grundierenden Boden, sondern es begibt sich in flimmernde Spannung und fröstelndes Unbehagen, indem die Instrumente oberhalb der ihnen gemäßen angenehmen Lage, an der Grenze ihres Vermögens gespielt werden, eine Deplazierung, mit der schon Mahler ein Zwischenreich betreten hat. „Wesentlich ist es der Musik, sich zu überfordern. Sie errettet die Utopie in ihrem Niemandsland.“ (Adorno). In die Tiefe dieser Schlucht emergiert durch rhythmische und melodische Differenzierung musikalische Form und entzieht dem Stück immer wieder den Boden, nach dem es greift. Ob trotz oder wegen der philosophischen Intention aufs Ungewisse, Lorenzo Troianis „We are destroyed“ etabliert mit poetischem Zugriff auf Lachenmann’sche Spieltechniken eine Räumlichkeit, deren Grenzen zerfließen und entfaltet aus glissandierendem Knarzen und Rauschen eine kräftige klangliche Archaik, an der auch szenische Elemente teilhaben, wenn etwa der Kontrabassist Alexander Gabrys das Instrument in Zeitlupe von der Schnecke bis zum Steg traktiert. Formal aber vermag das Stück keine Richtung einzuschlagen und verweilt also unzufrieden an Ort und Stelle.

Der Titel von Carolyn Chens Stück „We were dead and we could breathe“ verspricht ebenfalls keine blühenden Landschaften. Nein mit dem selbstbewussten Blick in die Zukunft scheint auch Schluss zu sein. Doch der avancierte und zugleich spielerische Umgang mit Material, Klanglichkeit und Form setzt auch der Düsternis ein Ende. Dem Minimalismus nachempfundene repetitive und variative Elemente sind hier keine Patterns, die mantraähnlich das Material entqualifizieren, sondern entwickeln die Vielfalt des verschiedene Skalen, Spieltechniken und performative Aktionen umfassenden Materials und treiben es zu immer breiterem Reichtum. Diana Sohs „iota“ dürfte einer interpretatorischen Fehleinschätzung des dirigierenden Enno Poppe zum Opfer gefallen sein. Das verlangsamte Tempo banalisiert die massive rhythmische und klangliche Prägnanz, die das Potential zu akzellerationistischer Übersteigerung und Virtuosität hatte.

Es wurden keine Revolutionen ausgerufen. Poppe, der auch das Komponistengespräch moderierte, wollte sich damit nicht ganz abfinden und verkündete programmatisch eine „new beauty“. So wenig das über die beschriebenen Stücke sagt, trifft es doch die Art der Begegnung mit dem klanglichen Material: Die Frage ist nicht, wie mit dem Material zu brechen, sondern was da noch rauszuholen, wie damit noch Musik zu machen sei. Auf diesen Zugang mag es ankommen in einer Zeit, in der ohnehin kein Mensch weiß, was das eigentlich sein soll, Revolution. So sehr die Oktoberrevolution der Sprung in eine neue Welt war, so sehr war sie doch auch die Einlösung eines alten Versprechens; und heute, im Jahr des 100. Jubiläums der Oktoberrevolution, ist sie wohl weniger eine neue Idee oder eine reißerische Behauptung, als die Erinnerung an ein nie dagewesenes Glück. Und das gelingt Impuls als Vereinigung von Akademie und Festival.

Wirklich enttäuschend war einzig – weil man sich von diesen drei Musikern das Größte erwartet – Trio Accanto, deren Programm abgesehen von Uraufführungen von Vasiliki Legaki und Misakii Goto kein Risiko einging. Wo ist etwa Rolf Riehms „Basar Aleppo“, das auf der kürzlich erschienenen CD des Trios für Überraschung sorgte? Ein alter Meister war auch da: Pierluigi Billones Stück „Scorgo oO“ für E-Gitarre, bei Wien Modern uraufgeführt, erkämpft einem Instrument, das immer vom Kitsch bedroht ist, radikale Freiheit, indem es sich organisch aus der E-Gitarre selbst entwickelt, sich jedoch nichts verbietet. Im Falle von Yaron Deutsch ist es befremdlich, von einer Interpretation zu sprechen, so sehr spricht er die Sprache des Werkes – mit einem Nachteil: Wenn man nicht die Augen schließt oder das Stück auf der eben erschienenen CD hört, entsteht das unangenehme Gefühl, man be-
obachte etwas Unanständiges.

Die Tutorenkonzerte zeigen die „importance of being Ernest“, so der an Oscar Wilde angelehnte Untertitel der Uraufführung von Stefano Pierinis „SOLO IV“ für Oboe (Ernest Rombout). Wo sich Oboenklang und vorsichtige Elektronik in präziser und treffender Führung begegnen, schlagen sie aus und sprühen Funken. Das Verhältnis von Elektronik und Instrument bringt in Furrers „Kaleidoscopic Memories“ eine andere Problematik ans Licht: Obwohl die Elektronik die Klänge dem Kontrabass abnimmt, übernimmt sie immer sofort die Führung. Weder Gewalt, noch Virtuosität helfen, das Instrument fällt desto weiter hinter die Elektronik zurück, je heftiger Uli Fussenegger strampelt. Geradezu heroisch macht sich Anna D’Errico an Alessandro Milias „Sonata“, Anda Kryezius „Sisyphus“ – der Titel programmatisch für das Konzert – und schließlich Maurizio Azzans „dove tutto è stato preso“, bei dem, als sei dem Instrument endlich sein Geheimnis entlockt, der musikalische Reichtum in ständiger Explosion aus dem Inneren des ausführlich präparierten Flügels sprudelt. Die neue Clex-Kontrabassklarinette sah dagegen alt aus. Das im letzten Jahr bei den Darmstädter Ferienkursen erstmals vorgestellte Instrument mit Motorklappen wurde von den Komponisten (Ernesto Molinari, Bernhard Gander) im Stich gelassen. Bullshit is over? Aye, aber die Frage bleibt: What is to be done?
 

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