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Susanne Hein, Präsidentin der Ländergruppe der IAML. Foto: Susann Eichstädt
Susanne Hein, Präsidentin der Ländergruppe der IAML. Foto: Susann Eichstädt
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Es steht längst nicht alles im Internet

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Musikbibliotheken heute: Susanne Hein über den Wandel einer unverzichtbaren Institution
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Bundespräsident Horst Köhler hat anlässlich der Wiedereröffnung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar ein „regelrechtes Bibliothekssterben“ in manchen Regionen Deutschlands beklagt und eine politische Kurskorrektur gefordert. Bibliotheken seien „weder ein Luxus, auf den wir verzichten könnten, noch eine Last, die wir aus der Vergangenheit mitschleppen: Sie sind ein Pfund, mit dem wir wuchern müssen“. Susanne Fließ sprach mit Susanne Hein, Leiterin der Musikbibliothek der Zentral- und Landesbibliothek Berlin und Präsidentin der Ländergruppe der IAML.

neue musikzeitung: Der Bundespräsident spricht Ihnen sicherlich aus der Seele, aber zunächst vorab: Bibliothek ist nicht gleich Bibliothek. Welche Profile gibt es denn da grundsätzlich?
Susanne Hein: Musikbibliotheken in Deutschland sind in der Tat sehr unterschiedlich profiliert: Da gibt es Musikabteilungen in Stadtbüchereien, es gibt die Musikhochschulbibliotheken, die Musikabteilungen an Universitäts- und Landesbibliotheken, dann die drei größten Musikbibliotheken in Deutschland: diejenigen der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin und der Bayerischen Staatsbibliothek München sowie das Deutsche Musikarchiv Berlin. Erwähnt werden müssen auch Notenarchive von Orchestern und Opernhäusern sowie verwandte Einrichtungen wie Archive der öffentlichen Hand oder privat finanzierte Archive, schließlich benachbarte Institutionen wie Schallarchive.

: Nun sind Sie in einer vergleichsweise komfortablen Situation, kleinere Bibliotheken kämpfen sicherlich weit mehr ums Überleben als die Landesbibliotheken wie die in Berlin.
: Die Etatfrage stellt sich bereits bei Neuerwerbungen. Landesbibliotheken, wie auch die in Berlin, erhalten automatisch ein Pflichtexemplar aller Neuerscheinungen in ihrem Bundesland. Das hängt mit der Aufgabe der Bibliothek zusammen, die Geschichte ihres Landes zu dokumentieren. Darüber hinaus möchten wir nicht nur den Mainstream bedienen, sondern auch abseitigere Dinge anbieten.
Auch die Klientel einer Bibliothek entscheidet über die Anschaffung neuer Titel und natürlich der Erwerbungsetat, der zur Verfügung steht. Ich formuliere die Lage vielleicht so: Es gibt in Deutschland eine deutliche Aufteilung, die wissenschaftlichen Universitäts- und Staatsbibliotheken auf der einen Seite, auf der anderen die meist kleineren und oft finanziell schlechter gestellten Stadtbibliotheken.

: Sind die Musikbibliotheken Deutschlands Mitglied eines internationalen Verbandes?
: Ja, und zwar sind sie sowohl auf internationaler wie auch auf nationaler Ebene organisiert in der „International Association of Music Libraries, Archives and Documentation Centres“ (IAML). Seit 2003 bin ich Präsidentin der Deutschen Ländergruppe der IAML, dem einzigen musikbibliothekarischen Zusammenschluss in Deutschland, und leite gemeinsam mit drei Kollegen die Ländergruppe: mit Vize-Präsidentin Dr. Barbara Wiermann, Bibliothek der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig, dem Sekretär Thomas Kalk, Musikbibliothek der Stadtbüchereien Düsseldorf und der Schatzmeisterin Petra Wagenknecht von der Bibliothek der Universität der Künste Berlin. Die Ländergruppe der IAML ist Mitglied im Deutschen Musikrat.

: Als Laie nimmt man die Verbandsarbeit der IAML kaum wahr. Welche Themen werden im Verband diskutiert?
: Unsere Themen und Probleme sind für die breite Öffentlichkeit wohl eher schwer vermittelbar. Die Pressearbeit richtet sich in wenigen Fällen an die Öffentlichkeit, zum Beispiel damals anlässlich des Brandes der Herzogin Anna Amalia Bibliothek haben wir Pressemitteilungen verschickt, um auf unsere Spendenaktion aufmerksam zu machen. Im Moment arbeite ich daran, die Notenkataloge verschiedener Musikbibliotheken unter einer Oberfläche zusammenzufassen. Wenn dieses Projekt fertig ist, werden wir sicherlich die Öffentlichkeit informieren. Wir führen eine sehr aktive Mailingliste und informieren in unserer Fachzeitschrift „Forum Musikbibliothek“.
Innerhalb des Verbandes ist der Austausch sehr lebhaft. Das beginnt mit den Tagungen, die inzwischen von rund 150 Spezialisten aus den verschiedenen Musikbibliotheken besucht werden. Sie finden einmal im Jahr an wechselnden Orten statt, dort werden Vorträge gehalten und Erfahrungen ausgetauscht.
Die Erfahrung zeigt, dass wir gemeinsam sehr viel ausrichten können. So trat der Verband 2004 massiv und auch für die Öffentlichkeit spürbar auf den Plan, als die Gefahr bestand, dass einzelne Titel aus der Musikbibliothek Peters Leipzig – womöglich ins Ausland – verkauft würden. Aufgrund unserer Intervention stellte die Kulturstaatsministerin die Sammlung unter Kulturgut-Schutz.
Ein weiteres Thema sind die Ausbildungsstudiengänge zum Musikbibliothekar: Die Anforderungen an die Studenten und die Inhalte des Studiums sind anspruchsvoller geworden, wir haben ernsthafte Nachwuchssorgen und was gibt es in solcher Situation Besseres als einen Verband, der als Sprachrohr für alle betroffenen Institutionen Kontaktpartner für die Hochschulen ist?

: Wie würden Sie die Ausbildungssituation an den Hochschulen beschreiben?
: Wir stellen fest, dass die Hochschulen, was die technischen Anforderungen an den Beruf betrifft, auf der Höhe der Zeit sind, wenn nicht sogar schon weiter. Woran es mitunter hapert, sind die praktischen Repertoirekenntnisse der Absolventen. Bibliotheken haben inzwischen sehr viel Beratungsfunktion, da muss man schnell mit einem Köchel-Verzeichnis umgehen können, wenn ein Nutzer vor einem steht und ein Stück vorsingt. In den musikbibliothekarischen Ausbildungsgängen werden diese Kenntnisse natürlich vermittelt. Außerdem sind viele Musikbibliothekare auch Musikwissenschaftler und die meisten spielen ein Instrument.

: Über welche Medien finden Beratungen statt und wie sehen Antworten praktisch aus?
: Eine große Menge an Anfragen erreicht uns auf elektronischem Weg und es kommt inzwischen für die Bibliothekare eher darauf an, zu wissen, wo man etwas findet, als die Titel im Bestand zu haben. Nehmen Sie beispielsweise die Schubert-Impromptus: Die fünf Exemplare unseres Bestands sind sehr häufig ausgeliehen. Daher schicken wir unseren Kunden auch mal einen Link beispielsweise zu „freehandmusic.com“. Zwar muss man für den Download bezahlen, aber er ist legal und der Nutzer hat die Noten sofort.

: Die Bibliotheken erörtern die Digitalisierung mit Blick auf die Zukunft ebenso wie in die Vergangenheit. Wie ist da der aktuelle Diskussionsstand?
: Solange Noten im Handel sind, ist die Digitalisierung eine urheberrechtliche Frage und noch nicht unsere Aufgabe. Die Frage stellt sich jedoch bei älteren Drucken und Manu-skripten. Hier ist noch viel zu tun und gar nicht viel passiert. Ob man es jemals schaffen wird, alles zu digitalisieren, wage ich zu bezweifeln. Die Bibliotheken haben den Gesamtbestand an Titeln ja noch nicht mal vollständig online im Katalog.

: Womit hängt das zusammen?
: Bücher sind da eindeutig im Vorteil. Bei Buchtiteln wie „Psalmenstreit“ braucht man noch nicht mal den Verfasser, um das Buch zu finden. Musiktitel dagegen heißen oft Sinfonien oder Konzerte und existieren aufgrund verschiedener Schreibweisen und Zählungen in mehreren Bezeichnungen. Da Musik nicht übersetzt werden muss, kommen dann noch die ausländischen Publikationen dazu. Beispielsweise existiert das Schumann-Klavierkonzert unter der Bezeichnung „Concerto for piano and orchestra op. 54“, „Konzert für Klavier und Orchester“ oder „a-moll-Konzert“. Wer also Kataloge nach klassischen Titeln befragt, der erleidet Schiffbruch, es sei denn, er kennt unsere Katalogisierungsregeln. Da wir diese Kenntnisse aber von unserer Klientel nicht verlangen können, müssen wir die Arbeit an so genannten „Normdateien“ mit verknüpften Verweisungen unbedingt fortsetzen, um eine zuverlässige Recherche zu ermöglichen.

: Sind Überlegungen zur Erstellung von Normdateien auch Ergebnisse der Verbandsarbeit?
: Tatsächlich kann der Verband in dieser Hinsicht gar nicht so viel ausrichten. Unser Thema ist eher die Vernetzung. Denn federführend, was die Katalogisierungsstandards betrifft, ist die Deutsche Nationalbibliothek mit ihrer Musikabteilung, dem Deutschen Musikarchiv in Berlin. Dort erhält man automatisch alle Titel, die in Deutschland erscheinen, als Pflichtexemplare. Alles wird nach bestimmten Regeln katalogisiert und folglich verfügt man dort über die meisten Daten. Es ist also sinnvoll, davon ausgehend Qualitätsstandards festzulegen und sie zunächst innerhalb des Verbandes für alle nutzbar zu machen, damit sie anschließend den Bibliotheksnutzern zugute kommen.

: Woran wird im Moment innerhalb der Ländergruppe gearbeitet?
: In den städtischen Musikbiblio-theken gibt es derzeit Überlegungen zur Verbesserung des Angebots für Kinder. In Stuttgart wurden gerade separate Regale nur mit Kindernoten und Kinder-CDs aufgestellt. Bisher waren diese zwischen den Noten und CDs für Erwachsene einsortiert und höchstens durch eine Fahne mit dem Hinweis „Leicht spielbar“ kenntlich gemacht. Jetzt wird die Literatur dezidiert zusammengestellt und soll nicht nur den Pädagogen die Suche erleichtern, sondern auch Kinder mit der Institution Bibliothek vertraut machen.
Im Bereich der Rundfunk- und Orchesterbibliotheken haben wir erste Kontakte mit dem Deutschen Musikverlegerverband und der DOV aufgenommen hinsichtlich der Thematik Leihmaterial.

: Hat die Bibliothek mit ihren Printmedien und Tonträgern im digitalen Zeitalter eine Zukunft?
: Ich glaube, dass die Zukunft des Bibliothekars noch viel stärker in seiner Vermittlungstätigkeit liegen wird. Es zeigt sich immer wieder, dass längst nicht alles im Internet steht oder dass wir Bibliothekare die Fragen wesentlich gezielter und schneller recherchieren können. Natürlich gibt es zunehmend unkörperliche Musik, zum Beispiel in Gestalt von Datenbanken mit Audiofiles oder Noten-Volltexten, für die wir Lizenzen erwerben. Das ist eine Erweiterung des Angebots, ist eine zusätzliche Ebene, die man als Bibliothekar kennen und nutzen muss. Aber die Bibliothek wird sich nicht erübrigen.

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