Hauptrubrik
Banner Full-Size

Festivals als Rettungsinseln für Europas Hochkultur

Untertitel
40 Kulturmanager beim Seminar „Festivalprofile“ des Instituts für Kulturmanagement in München
Publikationsdatum
Body
In der Erlebnisgesellschaft gewinnt die Kunstbetriebsform „Festival“ immer größere Bedeutung. Traditionelle Festspiele und neue Festivals aller Gattungen bekommen Jahr für Jahr neue Mitbewerber, die um die Gunst des Publikums buhlen. Hinter diesem Boom der Festivals steckt nicht nur das aktuel-le Bedürfnis erlebnishungriger Kunst-konsumenten. Längst ist ein Kulturkampf im Gange, der die deutsche Kulturlandschaft komplett flurbereinigt. Auslöser sind die knappen Kassen von Kommune, Land und Staat. Kürzungen allerorten bringen Staats- und Stadttheater, Orchester, öffentlich sub-ventionierte Kultur überhaupt in akute Gefahr. Selbst unangreifbar gewähn-te Bastionen der deutschen Kulturgeschichte kommen ins Wanken: So gab es kürzlich Überlegungen, den Bayreuther Festspielen und den Bamberger Symphonikern die staatlichen Zuschüsse zu kürzen. Pläne, die allerdings schnell wieder in der Schublade verschwanden. Für immer? Was tun?“ lautet die Frage. Die pragmatischen Antworten stammen hauptsächlich aus dem angelsächsischen Kulturraum und sind schnell aufgezählt: Sponsoring, Found raising, Marketing, Public Relation. Auch eine neue Spezies von Kultur-Machern trat in Erscheinung: der Kulturmanager. Bekannteste Ausbildungsstätte in Deutschland ist der Studiengang Kulturmanagement an der Hamburger Musikhochschule. Aber auch Ausbildungen in Ludwigsburg, Passau, Berlin und Hildesheim ergänzen das Bild. Im neuen Berufsbild ist lebenslanges Lernen unumgänglich. Der Kulturmanager sollte deshalb stets am Puls der Zeit agieren, immer im Austausch mit anderen seines Fachs sein. Hier greift das Konzept einer neugegründeten Einrichtung. Eckhard Heintz, ehemaliger Geschäftsführer der Gasteig-Betriebsgesellschaft in München, gründete Oktober des vergangenen Jahres das Institut für internationales Kulturmanagement, INK. Durch seine frühere Tätigkeit brachte Heintz Know-how und Kontakte mit, die sich sehen lassen können. Seine Dozenten sind hochkarätig, wie die Referentenliste des Seminars „Festivalmanagement – Festivalprofile“ zeigt, das Mitte Januar in den Räumen der Münchener Musikhochschule stattfand: Gérard Mortier, Salzburg, Franz Willnauer, Beethovenfeste Bonn, Joseph V. Melillo, Brooklyn Academy of Music, Tilmann Broszat, Münchener Biennale, Michael Herrman, Rhein, Gavin Henderson, Trinity College of Music, London, Martin Tison Engstroem, Verbier Festival. Die 40 Teilnehmer, die das Kaminzimmer der Münchner Musikhochschule bis zum letzten Platz füllten, waren beinahe ausnahmslos alle bereits „im Geschäft“, nicht wenige davon in leitenden Positionen. Franz Willnauer hat mit seinem Schleswig-Holstein-Festvial Maßstäbe gesetzt. Mit der Gründung im Jahre 1986 war es der Anfang einer neuen Festivalwelle, die seither unvermindert anhält. Seine Erfahrungen mit diesem jungen Festival kann Willnauer sicher brauchen, wenn er eines der ältesten Schlachtrösser der Festspielszene wieder neuen Schwung verpassen will: dem Bonner Beethovenfest. Gegründet 1870 von Franz Liszt, erlangte es vor allem in den dreißiger Jahren ungute Berühmtheit als Repräsentationsfestival der Nationalsozialisten. In den sechziger und siebziger Jahren legte die damalige Hauptstadt der jungen Bundesrepublik Wert darauf, mit Stars wie Bernstein und Karajan zu repräsentieren und gab dem Festival seine künstlerische und politische Bedeutung zurück. Seit 1986 werden die Feste so konzipert, daß neben das Schaffen Beethovens, das eines zeitgenössischen Komponisten gestellt wird. (1986 Messiaen, 1989 Bernstein, 1992 Berio). 1993, nach dem Verlust der Hauptstadtstatus an Berlin, wäre das traditionsreiche Festival beinahe Opfer kommunaler Kürzungen geworden. Ein neugegründeter Verein sprang ein und rettete die Beethovenfeste. Der neue Intendant Willnauer gab den anwesenden Kulturmanagern gleich ein Bild seiner Vision, quasi sein Glaubensbekenntnis als Kulturmanager. Ein Festival müsse erstens „künstlerische Qualität“ haben, zweitens „innovative Kraft“ besitzen und drittens „Würde in der Bewahrung von Traditionen“ zeigen. Vor allem der letzte Punkt deutet auf einen neuen programmatischen Weg Willnauers hin. Er weist Festivals heute eine neue Funktion zu. Sie wären eine der letzten Chancen unserer Gesellschaft, die immer mehr Defizite in der Tradierung von Kultur durch Schule und Elternhaus aufweisen würde, „europäische Kultur ins 21. Jahrhundert zu retten.“ „It’s all about seduction, alles dreht sich ums Verführen“, diese Hypothese stellte Joe V. Melillo von der Brooklyn Academy of Music innerhalb seines Vortrags zur Diskussion. Denn die renommierte Academy of Music erhält so gut wie keine Subventionen. Wie in den Vereinigten Staaten üblich lebt das Institut von Eintritt, Mitgliedsbeiträgen, Sponsorengeldern und Found raising. Gérard Mortier sprach das Problem des Booms deutlich an: „In Frankreich gibt es mehr Festivals als Käsesorten.“ Dort und überall in Europa sprießen die sogenannten Schloßfestspiele wie Pilze aus dem Boden. In seinem Vortrag beschäftigte sich Mortier mit der zukünftigen Aufgaben von Festspielen. Welche Rolle werden die wenigen großen Festivals wie Bayreuth, Salzburg, Luzern, Bonn, Glyndebourne, Aix-en-Provence in Zukunft spielen? Entwickeln sie sich zu Museen, die fraglos nötig sind, oder setzen sie Maßstäbe in der Präsentation zeitgenösischer Kunst? Welche Rolle er dabei Salzburg zugedacht hat, läßt sich aus den Programmen unter seiner Ägide ablesen. Martin Tison Engstroem vom Verbier Festival war als Vertreter einer Spezies von Festival eingeladen. Sein Konzept ist das „Resource Festival“ oder auch „Recreation Festival“. Im Zentrum des Seminars stand eine interessante Kooperation: Roland Steenke, Teilhaber der Unternehmensberatung Roland und Berger, tat sich mit Tilmann Broszat von der Münchner Biennale zum Dozententeam zusammen. Während Broszat die Gelegenheit bekam, Struktur und Funktionsweise der Biennale zu erläutern, verlangte Steenken von den Teilnehmern Eigeninitiative und Phantasie bei der Gründung und Planung eines Festivals am grünen Tisch. Er stellte ihnen eine Aufgabe, wie sie aus seiner Praxis stammen könnte: „Sie sollen für die Stadt Frankfurt ein Paul- Hindemith-Festival konzipieren. Der neue Kulturdezernent der Stadt Frankfurt, Herr Dr. Nordhoff, ist sehr betrübt darüber, daß die Stadt Frankfurt in den letzten Jahren extreme Imageverluste erlitten hat, und möchte auch durch ein solches Festival einen Neuanfang (nach innen und nach außen) signalisieren. Der Kämmerer hat dem Kulturreferat für die Durchführung einen Zuschuß von sieben Millionen Mark jährlich in Aussicht gestellt, solange es der Stadt mit diesem Festival gelingt, das angeschlagene Image der Stadt im Kulturbereich wieder aufzubessern und auch einen positiven Schub für den Fremdenverkehr zu erzeugen. Aus Bankenkreisen wurde signalisiert, daß man sich an einem solchen Festival finanziell beteiligen würde, wenn es zur Profilierung Frankfurts als Kulturmetropole beiträgt und das Konzept überzeugend ist.“ Die Teilnehmer stürzten sich ins Planen und konnten mit einem Budget von sieben Millionen Mark – der Etat der Münchner Biennale liegt mit 4,5 Millionen vergleichsweise niedrig – einige Konzepte vorstellen, die bei entsprechender Ausarbeitung durchaus tragfähig wären.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!