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Freiheiten im abgegrenzten Gebiet des Kollektivismus

Untertitel
Erbschaften Neuer Musik der DDR auf Wiederveröffentlichungen von Berlin Classics
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Der sozialistische Realismus war eine Konfektionsgrösse, die sich nicht alle Komponisten und Musiker in der ehemaligen DDR anzogen. Manche hatten (und haben heute noch, sofern sie nicht gestorben sind) einen durchaus kritischen Blick fürs Eigene, ihnen individuell Gemäße. Was nicht unbedingt radikaler Nonformismus bedeuten musste, aber zumindest auch nicht unbedingter Affirmatismus.

Die Oper „Der Schuhu und die fliegende Prinzessin“, die Udo Zimmermann (geb 1943) nach einem Märchen von Peter Hacks schrieb, deutet auf ein „Land ihrer Sehnsucht“, wo die Menschen freundlich sind. Der erzählende Leierkastenmann kontrastiert mit der szenischen Darstellung und der kargen Klangkulisse. Volkskunst, drängende Orchesterpartien und lyrische Gesänge bilden einen kräftigen Spannungsbogen. Die unerwünschte Liebe des menschenähnlichen Schuhu, zur Prinzessin kann sich trotz ihrer Isolation erhalten, als liebende Einzelne überwinden sie gesellschaftliche Zwänge. In gewisser Weise ist diese Oper, deren ästhetisches Modell an Strawinskys „L’histoire du soldat“ erinnert, eine subtile Auflehnung gegen den Kollektivismus.

Näher an der Avantgarde des Westens ist Friedrich Goldmann (geb. 1941). Seine Sinfonie 1 entlehnt jazzige Motorik und komplexe dramatische Entwicklungen in den Ecksätzen, während das Lento fast impressionistische Klangflächen hat. Dichter ist das polyphone Netz in der Sinfonie 3, in der das feine Gewebe um Haltetöne vibriert, wie ein Spinnenopfer. Symbol für eine resignative Protesthaltung?

Atonal grell ist die „Flötensinfonie“ von Friedrich Schenker (geb. 1942), bei der sich drei Solisten virtuos mit Verschiebungen der Klangfarben zu intensiven Dialogen mit dem Orchester verbinden. Als Gegensatz von Konsonanz und Dissonanz im freien Metrum hat Reiner Bredemeyer (1929-1996) sein „Oboenkonzert“ strukturiert. Metallische Perkussion, eng liegende Streicherfäden und sprudelnde Rhetorik der Oboe sind wie sich überschneidende Gesprächsebenen gestaltet. Das „Schlagstück 5“ für Klavier und Perkussion hingegen entwickelt sich wie ein improvisierendes Jazzduo, freche Ironie zeigt sich in den „Bagatellen“ nach Beethoven. Stilistisch hat Bredemeyer von allen hier vorgestellten Komponisten das breiteste Spektrum.

Gedenken der Opfer faschistischer Gewalt ist „Engführung“ (nach Texten von Paul Celan). Paul-Heinz Dittrich (geb. 1930) hat in diesem Oratorium in der Asche der Toten nach Resten menschlicher Würde gekratzt, nach den Tränen und dem Leid gehorcht, und dennoch „eine Vision des einlösbaren Glücks und der Freiheit“ in die Partien des Solosoprans (hervorragend: Sigune von Osten) entdeckt. Dieses Werk hat vielleicht inhaltlich der offiziellen Lesart der Geschichte entsprochen, in seiner Partitur, die subtil Celans Verskunst folgt, hat es Qualitäten von nobler Menschenwürde. Ganz so ernst ist die „Kammermusik V“ nicht. Dennoch entfaltet Dittrich hier einen unkonventionellen Diskurs aus solistischem und Ensemblespiel. Hall, Echo und andere Live-Elektronik Effekte lockern die strenge Tonsprache auf. Skurrile Linearität mit lachenden, schimpfenden und klatschenden Phrasen hat die „Zusammenstellung – Musik für Bläser“ von Friedrich Goldmann. Auch die Groteske hatte also einen Platz im Kleiderschrank der Neuen Musik.

Nun war die DDR nicht gerade ein offenes Forum für unangepasste Klänge. Deshalb haben Komponisten, sofern sie nicht anders abgesichert waren, auch für Filme, sowie Radio- und Fernsehproduktionen geschrieben. Aus der Garderobe ihrer Neuen Musik sind für die Reihe „NOVA rediscovered“ solche Werke sorgfältig ausgewählt worden, die noch nicht von den Motten des Zeitgeistes zerfressen sind, somit eine haltbare Substanz über den Tag hinaus haben. Die bisher auf sechs CDs wieder veröffentlichten Aufnahmen zeigen Formbewusstsein und relativ kompromisslose Stilniveaus, mithin gewisse Freiheiten in abgegrenztem Gebiet. Die mit biografischen Anmerkungen und genauen Werkbeschreibungen ausgestatteten Alben präsentieren ein Erbe, das weiter erschlossen werden sollte.

Diskografie

Neue Musik in der DDR
NOVA rediscovered, alle CDs bei Berlin Classics, edel

Udo Zimmermann: Der Schuhu und die fliegende Prinzessin – Szenen
RSO Leipzig, Ltg.: Peter Gülke
BC 0013012

Friedrich Goldmann: Sinfonie 1 & 3
RSO Leipzig, Ltg.: Friedrich Goldmann
BC 0013022

Reiner Bredemeyer: Di As (+ -), Oboenkonzert u. a.;
Staatskapelle Berlin, Ltg.: Otmar Suitner
BC 0013032

Friedrich Schenker: Flötensinfonie;
Werner Tast: Flöte; RSO Leipzig, Ltg.: Wolf-Dieter Hauschild
BC 0013042

Paul-Heinz Dittrich: Engführung (nach Texten von Paul Celan)
Sigune von Osten: Sopran; Vokal- und Instrumentalensemble; Dresdner Philharmonie, Ltg.: Herbert Kegel
BC 0013052

Friedrich Goldmann: Zusammenstellung & Paul-Heinz Dittrich; Kammermusik V, Bläservereinigung Berlin; Eckhard Rödger: Synthesizer
BC 0013062

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