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Titelseite der nmz 2020/05
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Theo Geißler über die Notwendigkeit des Gemeinsinns
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Feine Beispiele? In etlichen Städten präsentiert sich Corona-Street-Art mit massig eher heiteren Graffitis. Schriftsteller promoten Neuerscheinungen und komplexe Lyrik, lesen sie im Internet vor. Solisten, Bands, Kammerensembles und ganze Orches­ter musizieren, teils per Skype oder Zoom verbunden, teils von Balkon zu Balkon Opera aller Genres. Musikpädagogen entwickeln viel Fantasie, um digitalen Fernunterricht möglichst qualitätvoll anbieten zu können. Über Straßenschluchten hinweg formieren sich Liederzirkel. Lebendiges Kulturleben im lebensgefährlichen Ambiente von Covid 19? (Oder, wie Martin Hufner auf Seite 7 dieser Ausgabe feststellt: eine Schau auf brotlose Kost-Nix-Kunst?)

Das momentan bunte Bild und der Wohlklang täuschen: Wer in unser zwangserstarrtes Gemeinwesen noch ein wenig Vitalität, Lebensfreude, Optimismus und humane Perspektive trägt, all die genannten teils hochkreativen, teils schlicht spontanen Kulturtransporteure, all diese idealistischen, oft professionellen Gesellschafts-Beatmer sind – sofern sie hauptsächlich von ihrer Kunst leben müssen – auf mittlere Sicht hochgradig existenzgefährdet. Gerade Solokünstler, freie Musikpädagogen, Ensembles, Komponisten und sonstige Autoren können oft keine „regelkonformen“ Betriebskosten nachweisen, die sie angesichts aller wegbrechenden Erwerbsmöglichkeiten wenigstens für den Empfang der kurzfristigen Segnungen von Bundes- oder Landeshilfen im Gießkannen-Tröpfel-Modus berechtigten. Und angesichts ausfallender Gewerbesteuereinnahmen denken die Bürgermeister zahlreicher Kommunen schon darüber nach, ob sie neben Freibad, Musik- und Volkshochschule samt Bücherei und Dreisparten-Theater auch noch die Kindergärten schließen müssen.

Schon jetzt bewirken – nicht zuletzt ausgelöst durch die vermutlich populis­tisch agierenden, wirtschaftspolitisch in Regelaufweichungen gedrängten Bundesland-Präsidenten – unabsehbare verantwortungslose Gleichgültigkeiten des Seins. Schutz-Aufweichungen, von unserer derzeit klug steuernden Bundeskanzlerin zu Recht als Öffnungs-Diskussionsorgien benannt. Wie der Deutsche Kulturrat mahnt, dürften die kulturellen Institutionen und mit ihnen die Künstler – Autoren, Kunstpädagogen, Schauspieler, Regisseure, Orchestermusiker, freie Ensembles, Bildende Künstler … – nach derzeitigem Stand des gesellschaftlichen materiellen Verteilungskampfes zu den Letzten gehören, die in den Genuss einer ihrer gesellschaftlichen Bedeutung angemessenen dauerhaften Investition mit Blick auf ihre Fortexistenz gelangen. Grund dafür ist auch ihre scheint’s un­überbrückbare Aufsplitterung in zwanghaft verteidigte Partikularinteressen. Ganz schlechte Voraussetzungen für eine überzeugende Argumentation ihrer Existenznotwendigkeit, ihrer modisch gesprochen unbedingten Gesellschafts-Relevanz im Haifischbecken der Profi-Bundestags-Lobbyisten aus dem Industrie- und Bankensektor. Hallo Verbände, Kulturmenschen! Bitte mehr Präsenz dank enger Kooperationen, noch deutlichere Medienarbeit statt nett formulierter Appelle und Hilferufe im kleinen Kreis. Denn: Kultur ist nicht der Kitt sondern das Fundament unseres künftigen Zusammenlebens. Feine Beispiele? Siehe oben.

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