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Ganz ohne Schwellenangst ins Konzerthaus

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Ein Gespräch mit dem Intendanten der neuen Philharmonie Essen, Michael Kaufmann, Teil II
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Sie werden sicher des öfteren mit der Frage konfrontiert, ob eine Stadt wie Essen mit einem eigenen Opernhaus, einer Schauspielbühne, einer Kunsthochschule und zahlreichen weiteren Kulturstätten eine Philharmonie wirklich benötigt? Welche Chance hat das Haus zum Beispiel, sich neben dem Aalto-Theater und dem Schauspielhaus zu behaupten?

Michael Kaufmann: Ich bin sicher, dass dieses Haus weiterhin das Haus aller Menschen der Stadt und Region bleibt und durch die gesellschaftlichen Veranstaltungen – wir werden ja nicht nur den Konzertsaal, sondern letztlich ein herrliches Veranstaltungszentrum mit sechs unterschiedlich großen Sälen haben – kommen die Leute ohne Schwellenangst zu uns in die Philharmonie. Da verspreche ich mir positive Impulse. Man muss die Hand ausstrecken und sagen: Das war seither euer Haus, kommt einfach auch, wenn wir hier Konzerte machen. Wenn es bei jeder Veranstaltung zehn oder zwanzig Leute wären, die da rausgehen und glücklich waren an diesem Abend und das draußen weiter erzählen, dann wäre sehr viel erreicht!

Aber wir brauchen natürlich auch Zeit und dürfen unser Publikum nicht überfordern. Wir werden in der ersten Spielzeit voraussichtlich „nur“ 150 Veranstaltungen haben und uns sukzessive steigern. Ich finde die Diskussion, wie sie teilweise zu dem Konzerthaus Dortmund stattfindet, bestürzend. Die Frage nach dem Erfolg des Hauses wird teilweise so ultimativ gestellt – und das nach gerade mal der ersten Spielzeit –, dass das nur meinen Protest hervorrufen kann. Wir sind keine börsennotierten Unternehmen, deren Erfolg nach Quartalszahlen zu bemessen ist. Ob ein Konzerthaus Erfolg hat oder nicht, das zeigt sich frühestens nach drei bis fünf Jahren. Das gilt natürlich auch für uns.

: Befürchten Sie nicht Reibeverluste aus der Nähe des Aalto-Theaters zur benachbarten entstehenden Philharmonie?

: Es wird weniger Reibeverluste geben als in anderen Städten, weil die Städtische Tochtergesellschaft „Theater und Philharmonie Essen GmbH“ unter ihrem Dach Oper, Schauspiel, Orchester und jetzt als neue Sparte die Philharmonie hat. Da nimmt man viele Klärungsprozesse im Haus vor, die ansonsten konfrontativ und öffentlich zwischen den Intendanten verlaufen würden; ich bin froh, dass wir dafür einen hervorragenden Geschäftsführer haben, der formal über uns Intendanten steht. Ob wir das immer „friedlich“ schaffen, muss man sehen, weil ja jeder versuchen muss, seine Interessen zu vertreten. Dass wir uns auf eine hausinterne Konkurrenz einstellen müssen, ist für mich eindeutig, weil es die Oper über viele Jahre gewohnt war, die Nummer eins der Kulturvermittler zu sein. Man wird sich daran gewöhnen müssen, dass die Vielzahl an Freizeitangeboten sich jetzt noch vergrößern wird. Was Werbung und Marketing und die Bemühungen um einen regionalen Kartenverkauf betrifft, wird man vor allem in der Anfangszeit richtig reinhauen müssen.

: Wir reden vom selben Orchester...

: Genau, es ist wie beim Gürzenich in Köln oder der Staatskapelle Berlin. Der Wettbewerb in der Philharmonie – zwischen den Gastorchestern und den Essener Philharmonikern – wird deshalb gut, weil das Orchester unseres Generalmusikdirektors Stefan Soltesz zwölf Abonnement-Konzerte pro Jahr spielt und damit ein richtiges eigenes Konzertprofil entwickeln kann. Es wird für das Orchester eine echte Herausforderung, eine zusätzliche Chance, sich als Konzertorchester gegen die Konkurrenz zu profilieren. Auch hier sehe ich die Chancen in Essen hervorragend, weil die Struktur einfach stimmt: Orchester, die Oper und Konzert spielen, sind doch im Allgemeinen den reinen Opern- und/oder Konzertorchestern überlegen. Durch die Bündelung der Kompetenzen in der Oper auf den Generalmusikdirektor, der auch Opernintendant ist, wird auch Qualität aus einer Hand produziert. Ich halte diese Struktur für richtig, weil ich denke, dass die Zeit der regieführenden Intendanten – von wenigen Ausnahme-Persönlichkeiten abgesehen – vorbei ist; Musiker stellen sich dienender zu einem Haus auf und arbeiten nicht nur auf einen einzelnen Inszenierungs-Erfolg hin. Meist ist auch ihr Ego, ein Haus „zu besitzen“ weniger stark ausgeprägt und deshalb spielen sie in einer Struktur häufig besser im Team mit den Menschen, die die Kompetenz für die operativen Aufgaben haben.

: Die Programmvielfalt während des Richtfestes war ein Vorgeschmack auf das, was die Essener in ihrem Haus künftig erwarten wird…

: Im Prinzip stand das Programm schon für den Anspruch, ein sehr vielfältiges Gesicht zu entwickeln und von Anfang an zu verhindern, dass ein bestimmter musikalischer Stil oder ein Genre a priori höher gewertet wird als das andere. Natürlich muss man eine gewisse Art von Tradition, vielleicht auch Starkult pflegen, sonst bekommt man später kein Geld für die Top-Orchester und Solisten und die grundsätzlichen Grundfesten gingen verloren. Aber worauf es mir ankommt ist, die Grenzen in der Wahrnehmung fließend zu machen.

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