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Der Haselsteiner hat es ermöglicht: Festspielhaus Erl. Foto: Peter Kitzbichler
Der Haselsteiner hat es ermöglicht: Festspielhaus Erl. Foto: Peter Kitzbichler
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Geist und Geld, Kunst und Macht

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Der Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner hat dem Dirigenten Gustav Kuhn in Erl ein Festspielhaus spendiert
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Erl ist ein wundersames Dorf, das im Tal des Inns gegenüber von Oberaudorf liegt, rechts Tirol, links Bayern (in Fließrichtung). 1.500 Einwohner verteilen sich auf 17 Weiler, um die Kirche stehen ein paar Häuser mehr. Vor dem Bau einer Schallschutzwand konnte man von der Autobahn aus einen Bau sehen, der wirkt, als habe Corbusier dem domestizierten Fluss eine sanft geschwungene Kirche geschenkt. Das Ding ist keine Kirche, sondern das Passionsspielhaus, genannt „Zwölfapostelsilo“. Daneben steht nun das Festspielhaus, ein irrer Kristall, genannt „Tarnkappenbomber“. Den Bomber baute Hans Peter Haselsteiner, den Silo die Erler Bürgerschaft.

Haselsteiner hat gerade 20 Millionen Euro ausgegeben, damit Erl ein neues Festspielhaus bekommen konnte. Lebte Haselsteiner in München, man könnte leicht auf die Idee kommen, dass München dann schon längst einen neuen Konzertsaal hätte. Aber er kommt aus Wörgl, familiäre Wurzeln hat er auch in Ebbs. Wörgl ist 20 Kilometer von Erl entfernt, Ebbs liegt direkt daneben. Doch der Grund, weshalb Haselsteiner hier sein Geld für die Kultur ausgibt, ist nicht so sehr seine Heimatverwurzelung, sondern Gustav Kuhn. Haselsteiner ist 68, Kuhn ist 67, und zusammen sind sie die wunderbarste Kombination aus Geist und Geld, Kunst und Macht, die es seit Ludwig II. und Richard Wagner gab. Sie ist der vorläufige Höhepunkt einer 400 Jahre langen Geschichte.

In Erl gibt es seit 1613 Passionsspiele.  Alle sechs Jahre spielen die Erler Passion, 2013 ist Jubiläum, dafür wird der Rhythmus einmalig auf fünf Jahre verkürzt. Zu der Passion gibt es herrliche Geschichten, die schönste spielt im Jahr 1933. Damals erließ die Nazi-Regierung die so genannte „Tausend-Mark-Sperre“: Wer von Deutschland nach Österreich reisen wollte, musste tausend Reichsmark zahlen. Die Folge: Der Fremdenverkehr brach zusammen, auch zu den Passionsspielen kamen viel weniger Besucher, der örtliche Festspielverein ging pleite, aber der Vorsitzende, der damalige Ortspfarrer, hatte eine Lösung: Er ließ den Holzschuppen, der zu der Zeit als Passionsspielort diente, anzünden, um Geld von der Versicherung zu erhalten. Sich selbst verschaffte er ein Alibi, reis­te nach Innsbruck, tätigte aber von dort den für seine spätere Karriere verhängnisvollen und in Erl legendären Anruf: „Brennt‘s scho?“ Da damals Telefonate über Vermittlung und Umstöpselung funktionierten, kam der schöne Plan ans Licht, und der Pfarrer ins Gefängnis.

1959 bauten sich die Bürger den Zwölfapostelsilo, drei Jahre lang hindurch spielte man Passion, und als man im Jahr 1967 das Haus wieder aufschloss, wohnten darin 180 Siebenschläfer. Deshalb beschloss man, das Passionshaus zwischen den religiösen Spielen zu nutzen. Die Akus­tik darin ist legendär, 1.500 Menschen finden Platz, die Stühle sind hart, und man fühlt sich ein wenig an einen Luftschutzbunker erinnert. Also gab man ein für den Ort passendes musikalisches Osterspiel in Auftrag, beim – wegen seiner Vergangenheit im Dritten Reich nicht hundertprozentig unbedenklichen – Komponisten Cesar Bresgen. 1970 kam das heraus, der Dirigent war ein junger Mensch, der gerade bei Bruno Maderna studiert hatte: Gustav Kuhn.

Von Erl ging Kuhn hinaus in die Welt, ohne sich je wirklich von dem Ort zu trennen. Er machte eine erstaunliche Dirigentenkarriere, dirigierte an der Bayerischen Staatsoper, hatte in Karajan und Sawallisch Freunde und Förderer, dirigierte in Glyndebourne, bei den Salzburger Festspielen, an der Wiener Staatsoper und in Covent Garden, hatte ein paar feste Leitungspositionen inne und befand nach mehr als einem Vierteljahrhundert internationaler Karriere, dass ihm der Musikbetrieb auf die Nerven gehe – „nur Intrige, Falschheit, Blödheit“. Also nahm er das ganze Geld, das er mit dem Dirigieren und inzwischen auch Regieführen verdient hatte, gründete in einem Kloster in der Nähe von Lucca eine Akademie für Sänger, Musiker und Dirigenten und die Festspiele in Erl.

Hans Peter Haselsteiner ist der Vorstandsvorsitzende der Strabag, eines der größten Baukonzerne Europas, von dessen Aktienvolumen 35 Prozent in seinem Besitz sind. Haselsteiner liebt Oper. Über viele Jahre hinweg besuchten er und seine Frau die Bayreuther Festspiele, bis sie Schlingensiefs „Parsifal“-Inszenierung sahen und von Bayreuth erst einmal die Nase voll hatten. Dann sah seine Frau 2004 in Erl das „Rheingold“, rief danach sofort den Gatten an, teilte ihm mit, dass das hier etwas für ihn sei, Haselsteiner kam auch gleich, sah die drei übrigen Teile des „Ring“ – und wurde im Jahr darauf Präsident der Tiroler Festspiele Erl.

Bei der Eröffnung des neuen Festspielhauses am 26. Dezember 2012 sagt Haselsteiner in seiner Rede, „jeder, der mit Gustav Kuhn in Berührung kommt, ist ein Opfer. Die Menschen tun nach einer Art Spontaninfektion verrückte Dinge und sind dabei auch noch glücklich.“ Haselsteiner erhält bei der staatsaktigen Eröffnung den mit Abstand meisten Applaus, der Erzbischof segnet das Haus, der Bundespräsident Heinz Fischer eröffnet es, aber der Haselsteiner hat es ermöglicht.

Man kennt sich in Tirol. Haselsteiner duzt die Landeshauptmänner, die Wege der Politik in Tirol sind kurz. Und effizient. Haselsteiner wollte ein Haus für Kuhn, aber nur, wenn Staat und Land bezeugen, dass sie es auch wollen. Haselsteiner zahlte 20 Millionen, Tirol und Österreich jeweils acht. Für 36 Millionen Euro bekam Erl ein Festspielhaus plus spektakulärer Garage, auf deren Dach Haselsteiner seinen Bungalow hat. Von dort hat er den schönsten Blick auf sein Werk, das der Architekt Roman Delugan (Büro DMAA) entwarf, ein spektakulärer Bau, der auch deshalb so schnell und günstig entstehen konnte, weil Haselsteiner als Bauherr und Profi seinen eigenen Richtlinien folgte. Das heißt, kein Euro wurde für überflüssige Dinge ausgegeben, der Bau ist effizient, und dabei schön – für repräsentativen Glanz sorgt die Architektur selbst, kein Klimbim.

Im Grunde ist diese Haltung vom alten Passionsspielhaus abgeleitet. Dieses ist extrem spartanisch, man kann es nicht heizen, deshalb friert es im Winter durch, weswegen das Holz darin so trocken und die Akustik so gut ist. Im Winter geht darin gar nichts, und außerdem musste der Opernbetrieb alle sechs Jahre wandern, dann, wenn Passion gespielt wird. Das passte Haselsteiner nicht, er wollte „die Festspiele zukunftsfähig machen“, wollte einen Ort schaffen, an dem man auch im Winter oder in den Passionssommern spielen kann. Und so kam es dann, dass er über eine von ihm ins Leben gerufene Stiftung in 18 Monaten das Festspielhaus hinstellte, gute Kontakte zu einer Baufirma hat er ja. Bevor Haselsteiner kam, hatte Gustav Kuhn eine halbe Million Schulden angehäuft – „aber nur bei der Bank“ (Kuhn). Der Strabag-Mann bereinigte auch dies und trägt über die Stiftung auch Sorge für den Unterhalt der Winterfestspiele. Für die im Sommer ist der Verein der Festspiele zuständig, zu deren Hauptsponsoren die Strabag gehört.

Haselsteiner ermöglicht es Gustav Kuhn, die Kunst zu machen, für die dieser steht und die ihm selbst gefällt. Wie man sich das vorzustellen hat, zeigte in diesem Winter Verdis „Nabucco“, nicht von Kuhn inszeniert, sondern von seinem Stellvertreter Andreas Leisner, aber von Kuhn dirigiert. Das Haus klingt gut, die Musik entwickelt enormen Druck, die Akustik fördert die Transparenz. Angeblich gibt es hier den größten Orchestergraben der Welt, in einem Haus für 850 Zuschauer. Allein das bedeutet: Die Musik bestimmt die Aufführung. Beim „Nabucco“ in cremiger Eleganz, bei Bartóks „Blaubart“ am eigentlichen Eröffnungsabend mit expressionistischer Härte. Die Inszenierung ist beim Verdi ein Figurenarrangement, beim Bartók ein von Kuhn selbst entworfenes, durchaus suggestives, sorgsam belebtes Bild – um szenische Deutung geht es in Erl nicht unbedingt, so will es Haselsteiner, und so will es Kuhn auch, wollte es, bevor Haselsteiner das erste Mal in Erl erschien.

Für Gustav Kuhn ist Erl auch der Ort, an dem er die jungen Leute aus seiner eigenen Akademie präsentieren kann. Vor allem, aber nicht nur, mit einem Mainstream-Programm. In diesem Winter kamen 8.500 Zuschauer, die Auslastung betrug 98 Prozent. Im Sommer gibt es vier Verdis. Die werden voll sein.

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