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Gleichung mit einem Unbekannten

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Richie Beirach hat den Komponisten Federico Mompou für den Jazz entdeckt
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Mit 13 hat der New Yorker Jazz-Pianist Richie Beirach sein erstes Konzert gegeben, bald war er einer der Wichtigen in seiner Zunft. Er war mit Bill Evans befreundet, spielte mit Größen wie Jack DeJohnette, John Abercrombie oder John Scofield und hat allein 60 Alben unter seinem Namen eingespielt. Am populärsten wurde seine Zusammenarbeit mit dem Ex-Miles-Davis-Saxophonisten Dave Liebman. Doch Beirachs vielleicht größte Leidenschaft galt schon früh der Verschmelzung von Jazz mit der klassischen Musik, weshalb es nicht verwundert, dass er den japanischen Komponisten Toro Takemitsu und Jazz-Geiger Szbigniev Seifert als stärkste musikalische Einflüsse für sich reklamiert. Seinem Ruf als „Bartóks Großneffe in New York“ hat Beirach zuletzt vor einem Jahr mit „Round about Bartók“ alle Ehre gemacht, seiner ersten Einspielung für Sigi Lochs ACT-Label. Im Trio mit George Mraz am Bass und dem deutschen Geiger Gregor Huebner versenkte er sich in die klassische Moderne Osteuropas von Bartók bis zu Kodály und Scrijabin.

Mit 13 hat der New Yorker Jazz-Pianist Richie Beirach sein erstes Konzert gegeben, bald war er einer der Wichtigen in seiner Zunft. Er war mit Bill Evans befreundet, spielte mit Größen wie Jack DeJohnette, John Abercrombie oder John Scofield und hat allein 60 Alben unter seinem Namen eingespielt. Am populärsten wurde seine Zusammenarbeit mit dem Ex-Miles-Davis-Saxophonisten Dave Liebman. Doch Beirachs vielleicht größte Leidenschaft galt schon früh der Verschmelzung von Jazz mit der klassischen Musik, weshalb es nicht verwundert, dass er den japanischen Komponisten Toro Takemitsu und Jazz-Geiger Szbigniev Seifert als stärkste musikalische Einflüsse für sich reklamiert. Seinem Ruf als „Bartóks Großneffe in New York“ hat Beirach zuletzt vor einem Jahr mit „Round about Bartók“ alle Ehre gemacht, seiner ersten Einspielung für Sigi Lochs ACT-Label. Im Trio mit George Mraz am Bass und dem deutschen Geiger Gregor Huebner versenkte er sich in die klassische Moderne Osteuropas von Bartók bis zu Kodály und Scrijabin.In derselben Besetzung realisierte er nun ein noch weit ausgefalleneres Projekt: „Round about Federico Mompou“ heißt die ebenfalls auf ACT erscheinende, spannende Auseinandersetzung mit einem fast vergessenen Komponisten. Der Autodidakt Federico Mompou, 1893 in Barcelona geboren und dort 1987 gestorben, hat ein sperriges Werk hinterlassen. An keiner Schule oder Mode orientiert, lassen sich seine schlichten Klavierstücke am ehesten mit denen Erik Saties vergleichen. Neben der französischen Moderne – Mompou lebte lange Zeit in Paris – spielt darin aber auch die Volksmusik seiner katalanischen Heimat eine große Rolle. Aus Mompous Hauptwerk „Musica Callada“ – Schweigende Musik – hat Beirach acht Miniaturen ausgesucht und im Trio bearbeitet. Oliver Hochkeppel sprach mit ihm darüber. : Kaum jemandem ist bislang der Name Federico Mompou ein Begriff. Wie sind sie auf ihn gestoßen?

Richie Beirach: Eine meiner Schülerinnen hatte eine Mompou-Platte für 99 Cents in einem Secondhandladen gekauft. Sie hörte sie sich an, war begeistert, rief mich an und kam auch gleich damit vorbei. Unglaubliche Musik: Sehr kurz, sehr nah am Jazz, aber ohne „Virtuosität“, irgendwie im Stil des frühen Bill Evans oder Keith Jarrett. Perfekt.

: Und Sie beschlossen sofort, etwas daraus zu machen?
: Ja, ich besorgte mir sofort Noten und fing an, die Musik zu spielen und auch gleich dazu zu improvisieren. Das war 1990. Seitdem habe ich immer wieder mal ein oder zwei Stücke eingespielt, aber dieses Album ist das erste nur mit Mompous Musik.
: Nun stecken zwar jazzartige Elemente und Rhythmen in Mompous Kompositionen, aber sie sind auch sehr streng und logisch aufgebaut. Ist das schwer zu interpretieren?
: Nein, eigentlich war es sehr einfach, es zu Jazz zu machen, denn die Harmonik ist einfach und gut zu bearbeiten. Nicht in allen Stücken, aber in denen, die wir ausgesucht haben. Die Melodien sind perfekt für Improvisation, zumindest die Leitmotive. Und das Tempo der Stücke ist langsam, was auch gut ist. Ein Problem wird das nur bei einem ganzen Album von einer Stunde, deshalb haben wir uns bei den entsprechenden Improvisationen entschieden, mehr Rhythmik einzusetzen. Wir haben auch entdeckt, dass manche Harmonien und Melodien sich für eine neue Form der Improvisation eignen, die auch die Jazz-Anforderungen in Sachen Rhythmik erfüllt. So verzichteten wir auch auf Schlagzeug, das hätte die Intimität dieser Musik zerstört. Zumal wir mit George Mraz einen fantastischen Bassisten hatten. George ist sehr wichtig für mich, er ist so etwas wie der sechste Finger an meiner linken Hand.
: Vorab haben sie ihr Album bei einem Konzert beim Montreux Jazz Festival vorgestellt. Wie waren die Reaktionen?
: Fantastisch. Das Publikum war begeistert, und das liegt sicher auch an Mompou. Wir haben ja überhaupt nicht versucht, einen Hit, einen kommerziellen Erfolg zu kreieren, aber es scheint irgendetwas in Mompous Musik zu liegen, das die Leute sehr anspricht. Sie ist eben einfach, aber nicht dumm. Es steckt Tiefe drin, wie bei Mozart oder Haydn.
: Mompou hat ja fast alles für Klavier solo komponiert. Warum haben sie sich für ein Trio entschieden?
: Ja, das meiste von ihm ist für Piano solo, deshalb habe ich zusammen mit George für Klavier und Bass arrangiert. Das war in Wahrheit sehr einfach: die klaren Melodien nahmen wir für das Klavier oder die Violine, und auch die Bassnoten sind bei Mompou sehr sauber, sehr kontrapunktisch.
: Wenn das so einfach ging, warum hat dann noch kein Jazzer Mompous Musik bearbeitet?
: Schauen Sie, ich bin 54 Jahre alt, ich studiere Musik seit meinem fünften Lebensjahr, ich dachte, ich kenne alles – und selbst ich kannte Mompou nicht. Er ist sehr unbekannt, erst jetzt wird er etwas bekannter, es gibt ja diese ECM-Aufnahme seiner Solostücke, die ich aber für furchtbar halte. Sie ist so trocken und eiskalt, das hat nichts mit Spanien zu tun. Alicia de Larrocha hat Mompou wunderschön eingespielt. Sie kannte ihn persönlich und war mit ihm befreundet. Er hat ihr sogar einige Kompositionen gewidmet. Und erst kürzlich hat Stephen Hough ein Album gemacht. Aber unsere ist die erste Einspielung von Jazz-Musikern. Und das freut mich natürlich, weil ich seit zehn Jahren daran arbeite. Es war meine Idee. Übrigens hat nicht einmal Sigi Loch, der ein sehr beschlagener und kreativer Produzent ist, vorher von Federico Mompou gehört. Niemand kennt ihn, und das hat mich gereizt. Ich mag es, Neuland zu betreten.
: Sie haben Sigi Loch erwähnt. Das ist jetzt ihr zweites Album für sein Label. Wie kamen Sie zu ACT?
: Durch Gregor Huebner. Wir haben schon früher einiges zusammen gemacht, aber nun wollten wir ein Label, dass sich mit Promotion auskennt. Und ACT macht das in Europa ausgezeichnet. So haben wir uns mit Sigi getroffen, und er war sehr interessiert an mehreren Projekten von uns. Vor allem an den außergewöhnlichen. Wissen Sie, ich spiele gerne Standards, aber ich mag sie nicht mehr aufnehmen.
: Sie arbeiten gerne mit Violinisten, früher mit Mark Feldman, jetzt mit Gregor Huebner. Als Pianist, was reizt daran so?
: Der erste Geiger, mit dem ich spielte, war Zbigniew Seifert, der so tragisch starb. Ich liebte ihn. Klavier und Geige passen so unglaublich gut zusammen, weil die Violine in einem viel höheren Register spielt und es deshalb keinen Konflikt gibt. Das Cello zum Beispiel kommt sich mit dem Klavier ins Gehege. Der vibrierende Ton der Geige erinnert mich auch an Saxophon oder Gitarre, er hat dieselbe Intensität, wenn der Musiker die Violine so einsetzt. Sowohl Mark wie Gregor haben diesen Sound. Ich mag Geigenmusik überhaupt sehr gerne.
: Ist mit den jüngsten Erfolgen beispielsweise von Didier Lockwood oder Regina Carter endgültig das Klischee widerlegt, dass Geige kein Jazzinstrument ist?
: Es tut mir leid, aber Regina Carter ist für mich eine Enttäuschung. Sie ist „out of tune“ und „out of time“. Didier Lockwood ist ein richtiger Geiger, das stimmt. Aber es gibt immer noch viel weniger Geigen im Jazz als andere Instrumente. Und das kommt mir entgegen, da gilt genau dasselbe, was mir auch an Mompou gefallen hat: dass es noch nicht so abgegriffen ist. Man hat die Chance, etwas Frisches zu machen, wie eben ein Klavier-Geigen-Duo. Ich hatte das nie geplant, aber seit es sich ergeben hat – warum nicht?
: Apropos frisch. Sie sind seit Juli frisch gebackener Professor in Leipzig.
: Ja, ich habe New York verlassen, auch wenn ich mein Apartment noch behalten habe. Ich habe jetzt 35 Jahre in New York gelebt, das reicht. Außerdem ist das Klima für den Jazz, den ich spiele, dort nicht mehr sehr günstig. Man denke nur ans Lincoln Center, wie unglaublich konservativ es da zugeht. Nur Bebop, das ist idiotisch. Ich musste entdecken, dass es in den Vereinigten Staaten kaum mehr Arbeit für mich gibt, das meiste habe ich zuletzt in Europa oder Japan gemacht. Meine Musik wird in Europa besser verstanden als in meinem eigenen Land – es tut mir leid, das zu sagen, aber es ist wahr. Also habe ich die Professur an der Musikhochschule Leipzig angenommen. Ich hatte noch nie vorher eine feste Stellung, wusste also nicht, ob mir das behagt. Aber es hat sich herausgestellt, dass es ein wirklich toller Job ist. Ich gebe 18 Stunden die Woche, für acht Studenten, und ich liebe es. Ich liebe das Lehren, genau wie die Stadt, die wundervoll ist. Ich habe eine große Wohnung ganz in der Nähe der Schule und die Bezahlung ist ausgezeichnet. Regelmäßiges Einkommen ist nett. Man stelle sich vor: Ich habe von Juli bis September frei und werde trotzdem weiterbezahlt. (lacht)
: Sind Sie mit dem Unterricht und der Mompou-Tour ausgelastet, oder gibt es schon neue Projekte?
: Ich habe schon etwas im Kopf, aber es ist zu früh, darüber zu sprechen. Es gibt ja auch noch unser Quartett mit Billy Hart. Es wird also bald etwas Neues bei ACT erscheinen. Aber jetzt ist erst einmal die Tour dran. Wir haben das Mompou-Album ja erst im Mai eingespielt. Es war die schnellste Veröffentlichung, die ich je erlebt habe.

Plattentipp
Richie Beirach, Gregor Huebner, George Mraz: Round about Federico Mompou
ACT 9296-2.

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