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Green Card für Kontrabassisten

Untertitel
Eine Betrachtung zur Wettbewerbs-Situation bei den Kontrabassisten
Publikationsdatum
Body

nmz 2000/10 | Seite 24
49. Jahrgang | Oktober

Green Card für Kontrabassisten
noch nicht obsolet

Eine Betrachtung zur Wettbewerbs-Situation bei den Kontrabassisten · Von Klaus Trumpf

Wettbewerbe für Kontrabass sind sehr selten. Gemessen an 450 etablierten Klavier-Wettbewerben kann man eher von einer Peinlichkeit sprechen, die professionelle Wettbewerbsveranstalter und administrativ-verantwortliche Musikinstitutionen (in Deutschland und weltweit) einer Instrumentengruppe zubilligen, die zwar nicht unbedingt die erste Geige zu spielen gewillt, aber doch von der fundamentalen Gewichtung ein entscheidendes Wort mitspricht.

Was eigentlich veranlasst die Verantwortlichen, zum Beispiel beim ARD-Wettbewerb in München, natürlich zugunsten einer Erhöhung der Kapazitäten für weitere Gesangs- und Klavierwettbewerbe, einige Instrumente aus dem Wettbewerbsprogramm auszuschließen? Wichtige Orchesterinstrumente scheinen den Entscheidungsträgern nicht so attraktiv zu sein. War nicht gerade seit der Etablierung dieser Instrumente (der erste internationale Kontrabass-Wettbewerb fand 1969 in Genf statt) ein enormer Niveau-Anstieg international, weltweit zu verzeichnen? So fehlen Vergleiche, die für eine Weiterentwicklung, zumindest jedoch für eine Niveau-Erhaltung dringend erforderlich sind.

Der neue Johann-Matthias-Sperger-Wettbewerb soll dieses Defizit ausgleichen. Guter Anlass war der 250. Geburtstag des bedeutendsten Kontrabassisten des 18. Jahrhunderts, Johann Matthias Sperger, der als Komponist ein reichhaltiges Werk an Sololiteratur für Kontrabass hinterlassen hat. Wie kaum ein anderer Komponist hat Sperger, tief eingedrungen in die spezifische Klangwelt und die Möglichkeiten des Solo-Kontrabasses der Wiener Klassik, unvergleichlich kreativ die Gegebenheiten des Instrumentes in virtuos-technischer sowie in musikalischer Hinsicht erfasst, genutzt und voll ausgeschöpft. Von der Musikwissenschaft erst spät entdeckt und beachtet, obliegt es nun den Praktikern, sein bisher zum Teil vernachlässigtes Werk zu rekonstruieren. Ein Denkmal gebührt ihm allein schon dafür, dass beinahe die gesamte Konzertliteratur der Wiener Klassik für Solo-Kontrabass in seinem Repertoire und Nachlass zu finden war und dadurch der Nachwelt erhalten geblieben ist. Die Würdigung geschah nun in Form dieses internationalen Kontrabass-Wettbewerbes. Er fand in Mecklenburg-Vorpommern statt, unweit seiner langjährigen Wirkungsstätte an der Hofkapelle Ludwigslust, im restaurierten ehemaligen Anwesen der Familie von Flotow, im Gutshaus und der großartig ausgebauten Konzertscheune Woldzegarten/Müritzkreis, organisiert vom dort ansässigen Verein Natur, Bildung, Kultur.

In privater Initiative wurden Sponsoren gesucht und auch im privaten Bereich gefunden. An dieser Stelle muss die absolute Zurückhaltung kompetenter deutscher Musikinstitute und -institutionen wie des Deutschen Musikrates, der Deutschen Stiftung Musikleben, der DOV bis zur GVL und sogar der Musikschulen angeprangert werden, obwohl ihnen allen die prekäre Situation speziell des deutschen Kontrabass-Nachwuchses bekannt ist. Allein die ESTA mit ihrem Präsidenten Prof. G. Mantel hat die Dringlichkeit erkannt und zumindest die Werbung und die Portokosten übernommen. Weitere finanzielle Hilfen kamen von Seiten der Instrumentenhersteller, von Verlagen, privaten Sponsoren und aus dem Ausland.

Auch in diesem Zusammenhang wundert es dann nicht, dass der deutsche Kontrabass-Nachwuchs international weit abgeschlagen und nicht konkurrenzfähig ist. Seit Jahren nehmen kaum deutsche Studenten an internationalen Wettbewerben teil; die Solostellen in den führenden Orchestern können fast nur noch an ausländische Mitbewerber vergeben werden, ebenso die Kontrabass-Professuren an den deutschen Hochschulen. Der permanente Mangel an Kontrabassisten bei allen deutschen Jugendorchestern und Musiziergruppen ist seit Jahren bekannt und führt zu bezeichnenden Ergebnissen: Nicht einmal das Bundesjugendorchester bekommt eine spielfähige Kontrabassgruppe von 3 Spielern aus Deutschland zusammen.
Diese Situation ergab die Idee für einen Wettbewerb, der deutsche Teilnehmer anlocken und sie zum internationalen Vergleich animieren sollte. Ergebnis: Von 24 deutschen Musikhochschulen beteiligten sich lediglich 6 mit insgesamt 10 deutschen Studenten.

Während Beobachter aus England, Polen, der Schweiz, Tschechien und Österreich kamen, war die deutsche Resonanz beschämend: Wo waren die Studenten und Pädagogen, die sich ein Bild von der internationalen Nachwuchsbühne hätten machen können? Keine Hochschule, außer denen, die Kandidaten geschickt hatten, nutzte die Gelegenheit zur Information.
Keine Orchestermusiker waren vertreten, sich ein Bild über ihre zukünftigen Kollegen zu machen, obwohl im Vorfeld alle Orchester in Deutschland, Kontrabassgruppen und Musikdramaturgen angeschrieben wurden und Konzertangebote für Preisträger, eine übliche internationale Gepflogenheit, gemacht wurden. Von 140 Adressaten antworteten zwei: die Anhaltische Philharmonie Dessau und das Mecklenburgische Kammerorchester Schwerin. Diese breitgestreute Gleichgültigkeit und Ignoranz etablierter Institute und Orchester bedeuteten eine erschreckende Erfahrung für die Organisatoren. Das traditionsreiche Fundament, das uns die großen Namen der deutschen Kontrabass-Historie, auch speziell im pädagogischen Bereich bereitet hatten, erscheint völlig verspielt und verschenkt. Deutscher Kontrabass-Nachwuchs wird weiterhin an Boden verlieren, und so werden wir auch weiterhin und sogar noch verstärkt den ausländischen Kapazitäten die Green-Card vermitteln müssen.

Hohe Anforderungen in diesem erfolgreich verlaufenden Wettbewerb stellte die neunköpfige, international besetzte Jury unter dem Ehrenvorsitz Alfred Planyavskys (Wien). Weitere Jury-Mitglieder: David Walter (USA), Lev Rakov (Moskau), Miloslav Gajdos (Tschechische Republik), Ovidiu Badila (Trossingen), Miloslav Jelinek (Brünn) und Klaus Trumpf (München). Ein praxisorientiertes Programm und gut dotierte Preise (für den 1. Preis wurde von dem italienischen Geigenbauer Luciano Golia ein Kontrabass gestiftet) lockten 65 Teilnehmer aus allen Teilen der Welt nach Woldzegarten. Hohes künstlerisches Niveau vieler Teilnehmer machte es der Jury schwer, „nur” 20 Kandidaten für die 2. Runde auszuwählen. Die 3. Runde, ein in die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern integriertes öffentliches Konzert mit dem Schweriner Kammerorchester, bestritten dann mit einem Kontrabass-Konzert vom Namensgeber des Wettbewerbes die drei Bestplatzierten.

Das Ergebnis: 1. Preis: Roman Patkolo (Slowakei), 2. Preis: Ion Cristian Braica (Rumänien), 3. Preis: Ruslan Lutsyk (Ukraine), der auch den Publikumspreis erhielt.

Die Worte des Schirmherren des Wettbewerbes, Maestro Zubin Mehta, werden in Zukunft hoffentlich auch im Land des Veranstalters Gehör finden: „Die Idee, einen internationalen Musikwettbewerb für Kontrabass ins Leben zu rufen, kann ich nur aus ganzem Herzen unterstützen, da dieses Instrument mit all seinen Möglichkeiten meiner Meinung nach viel mehr gefördert und beachtet werden müsste!“ Der zweite J.M.Sperger-Wettbewerb wird im Juni 2002 stattfinden.

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