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Hilfe, die Kinder wollen mit mir singen

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Lücken in der musikpädagogischen Ausbildung von Erzieherinnen durch Fortbildung auffangen
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„Die Erzieherinnen der Kindergärten müssen darüber aufgeklärt werden, wie groß die Verantwortung ist, die sie tragen, wie schwer sie die Kinder in ihrer Humanität [...] schädigen, wenn sie sie mit schlechten Liedern füttern. [...] Die ständige Fortbildung jeder Kindergartenerzieherin müsste institutionell gewährleistet werden“.

Dieses Zitat entstammt nicht etwa einer aktuellen Bundestagsdebatte sondern ist bereits 75 Jahre alt; Zoltán Kodály trat seinerzeit so feurig für die Verbesserung der desolaten Situation des Singens im Kindergarten in Ungarn ein, weil er das Erlernen der „musikalischen Muttersprache“ als Grundbedingung für die volle aktive Teilnahme an der Musikkultur ansah.

Der unermüdliche Einsatz dieses Musikpädagogen führte zu einer bis heute vorbildlichen musik- und vor allem vokalpädagogischen Arbeit in Ungarn. Längst hat man dort begriffen, dass sich die Investition in eine fundierte musikalische Ausbildung der Erzieherinnen mehr als auszahlt.

In Deutschland ist man von diesem Zustand noch meilenweit entfernt, denn die Erzieherinnenausbildung wird regelrecht überfrachtet. Sie soll eine Art „Allround-Erziehungsfachkraft“ für die Betreuung von Kindern und Jugendlichen von 0 bis 27 hervorbringen – ein Ziel, das beim besten Willen nicht erreicht werden kann.

Die Analyse des derzeitigen Bayerischen Lehrplans der Fachakademie für Erzieherinnen zeigt beispielsweise, dass die musikalischen Lernziele der zweijährigen Ausbildung nur sehr vage und unverbindlich formuliert sind. Da die Gestaltung des Unterrichts im Ermessen des Musiklehrers liegt, kann nicht garantiert werden, dass musikalischen Themen im Laufe der zwei Ausbildungsjahre möglichst umfassend vermittelt werden. Musikalische Fähigkeiten sind zudem weder Aufnahmekriterium für die Ausbildung noch werden sie in der Abschlussprüfung gefordert. Seitens der Ausbildung also ein desolates Bild.

Die im Rahmen einer qualitativen Untersuchung zur Bedeutung von Musik an Bayerischen Kindergärten durchgeführten Interviews mit Erzieherinnen (Ziegler, 2002) kommen zum Ergebnis, dass in der beruflichen Praxis eine massive Unsicherheit darüber besteht, was als stimmphysiologisch und stimmbildnerisch richtiges Singen mit Kindern gelten kann.

Aber Singen-können entsteht nun mal nicht durch Reifung. Unterschiedliche musikalische Fähigkeiten resultieren aus unterschiedlich intensiven musikalischen Biographien der Kinder. Das spontane Singen der Kinder muss von der Erzieherin musikpädagogisch adäquat aufgegriffen, geübt und positiv verstärkt werden. Sonst verkümmert die spontane Lust, und singgehemmte Grundschulkinder sind die Folge.

Obwohl das Kindergartenalter inzwischen als sensible Phase für die „Kultivierung des vokalen Ausdrucks“ empirisch bestätigt worden ist (Stadler Elmer, 2002) und obwohl erweitertem Musikunterricht positive Transfereffekte nicht mehr abgesprochen werden können (Bastian u.a., 2000), wird derzeit nur für 28,8 Prozent der befragten Erzieherinnen die Einsicht in die Bedeutung des Singens für die kindliche Entwicklung adäquat durch die Fachakademie vermittelt (Brünger, 2003). Es bleibt folglich dem Zufall überlassen, ob ein Kind von einer Erzieherin betreut wird, die von sich aus gut und gerne mit den Kindern singt und deshalb auf regelmäßiges Singen Wert legt.

Aber Kinder singen gern, das erfahren die Erzieherinnen in der beruflichen Praxis täglich. 90 Prozent aller Befragten stimmten dem in Brüngers Untersuchung (Singen im Kindergarten, Peter Brünger, 2003) zu.

Erzieherinnen befinden sich somit im Dilemma, mit der Singfreude und dem Singbedürfnis konfrontiert zu sein und dieses zu erkennen, sie jedoch oftmals aufgrund der lückenhaften musikalischen Ausbildung nicht aufgreifen und erweitern zu können.

Erzieherinnen, die sich der musikalischen Erziehung nicht gewachsen fühlen, oder die existentielle Bedeutung des Singens für die kindliche Entwicklung nicht erkennen, vermeiden das Singen tendenziell und spezialisieren sich im Erzieherinnenteam auf andere pädagogische Teilgebiete – ein Verhalten, das das deutsche Konzept Kindergarten aufgrund fehlender Curricula erlaubt. Somit ist nicht gewährleistet, dass jedes Kind das Singen im Kindergarten richtig erlernt, beziehungsweise überhaupt zum Singen animiert wird. Es kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass sich Kinder im Kindergarten durch technisch falsch vorgeführtes Singen Stimmschäden zuziehen (Petermann, 1996). Dies ist angesichts der oftmals mangelnden Enkulturation des Singens durch die Familie alarmierend. Verbreitete Praxis ist es inzwischen, die musikalische Arbeit an Musikpädagogen abzugeben, die einmal pro Woche in die Einrichtung kommen und für 45 Minuten mit den Kindern Musik machen. Dies schadet dem Berufsstand der Erzieherin erheblich, als es ein bedingungsloses Eingeständnis mangelnder musikalischer Fachkompetenz bedeutet. Statt dessen scheint ein vielversprechender Weg die Nachqualifikation der Erzieherinnen durch entsprechende Fortbildungsveranstaltungen zu sein.
Die Untersuchung in Bayern zeigte, dass Erzieherinnen sich sehr für musikalische Fortbildungen interessieren, das Angebot aber eher dünn gesät ist (Ziegler, 2002).

erschiedene Verbände, wie der amj oder der Deutsche Sängerbund, greifen hier interessierten Erzieherinnen bereits unter die Arme. Kurse und Seminare mit Titeln wie „Hilfe, die Kinder wollen (mit mir) singen!“ oder Hilfe, ich soll dirigieren“ werden besonders intensiv nachgefragt. Langfristig gesehen ist es neben solchen Fortbildungsveranstaltungen notwendig, das Singen stärker als bisher in der Berufsausbildung auf der Fachakademie zu verankern.

In Bayern muss dies beispielsweise eine Konsequenz aus dem neuen Bildungs- und Erziehungsplan sein, der erfreulicher Weise der Musik und dem Singen einen höheren Stellenwert beimisst als bisher. Singen sollte ein Aufnahmekriterium für die Ausbildung zur Erzieherin sein. Die Ausbildung sollte eine Schwerpunktverlagerung von der Instrumental- auf die Stimmbildung vornehmen. Zudem wäre es für jede Auszubildende von Vorteil, bereits während der Ausbildung eine Spezialisierung auf eine bestimmte Altersgruppe vorzunehmen.

Schließlich sollte Musik fester Bestandteil der Abschlussprüfung sein. Die Forderung Kodálys „Die Besten zu den Kleinen“ könnte somit nach und nach vielleicht auch in Deutschland erfüllt werden.

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