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Hinter der Maske. Der Autor. Foto: Der Autor.
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Hirn aus, Gas ein

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Ferchows Fenstersturz 2020/11
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Das Geistige kommt in dieser Pandemie zu kurz. Okay. Große Leuchten hat die Musikbranche ja nie hervorgebracht. Im Land der Dichter und Denker motzt(e) man zwar gegen Atomkraftwerke – dann wurden jene allerdings auf einen Truck gepackt und dienten der energetischen Versorgung der Europa-Tournee. Doch Tourneen gibt‘s gerade nicht. Folge: Zahlreiche Aufmerksamkeitsdefizitsyndrome und Übersprungshandlungen in der Popbranche. Eine Anamnese zweier Fälle.

Fall eins: Der Wendler. Da versucht die Senftrommel seit 20 Jahren Schlagersänger zu werden. Aus dem Nichts fällt ihm ein Job als DSDS-Juror in den Schoß und eine Supermarktkette engagiert den Eier-Joe als Werbeträger. Na gut, denkste. Wieder ein U-Boot-Anschieber, der es geschafft hat. Endlich können die Schulden bezahlt werden und der alte Sack muss seine 19-jährige Frau nicht mehr auf den RTL-Strich bei „Let’s dance“ schicken. Aber was macht der Wendler? Setzt den Aluhut auf. Labert von Verschwörungstheorien. Leugnet Corona. Verliert beide Engagements. Und bildet nun ein Trio mit Attila Hildmann und Xavier Naidoo. Karriere tot. Vor dem Start. Warum nur? Nun, erstens war ihm eben langweilig (siehe Pandemie), zweitens ist er der Wendler. Und drittens: Zählen Sie mal die Buchstaben der Vornamen unseres Trios zusammen: Michael, Attila, Xavier. Ha. NEUNZEHN! Und wie alt ist dem Wendler seine Frau? Ha. NEUNZEHN! Klingelt’s? COVID-19! Was für ein Schock für den Jungen. Man sollte dem Wendler helfen. Bevor er noch auf die Idee kommt, Mozarts 19. Sinfonie mit den Berliner Theoretikern in „Ballermann Es-Dur“ zu vertonen. Oder einen Jury-Platz beim RKI einklagt.

Fall zwei: Capital Bra. Der neue Vorzeige-Rapper des Landes. Seit Bushido beim einst gedissten Staat den Handlanger macht. Capital Bra knüppelt also vor lauter Pandemieweile mit seinem Mercedes, den in Bayern übrigens nur EU-subventionierte Landwirte über 65 plus Hut auf dem Kopf fahren, mit 100 km/h durch Berlin. Obwohl nur 50 km/h erlaubt sind.

„Na und!“, werden Sie cholerisch brüllen. „Mache ich täglich!“ Ja, schön auch. Aber lassen Sie sich dabei von einem Kumpel filmen und das Video über das Einwohnermeldeamt für Idioten (früher soziale Netzwerke genannt) veröffentlichen? Sehen Sie. Capital Bra schon. Das ist wie bei geschlossenem Autofenster aus selbigem spucken zu wollen.

„Der Ende von Rap“: Anzeige ist raus. Und die Frage, wer den Titel „Deppchef“ verdient hat, muss noch geklärt werden: Fahrer oder Filmer.

Voller Ehrfurcht blicken wir in die USA. Die wissen, wie Aufmerksamkeit geht. Lieber Wendler, lieber Bra. Man kann auch mit Stil auffallen. US-Rapper Kanye West stopfte vergangenen Herbst in einem Video einen seiner 21 Grammys in die Festung der Einsamkeit (auch Toilette genannt) und begoss das Ganze irgendwie folgerichtig mit (s)einem Urinstrahl. Er wollte die Rechte an seiner Musik wiederhaben. Geht doch auch so. Deshalb mein Tipp für die kühle Jahreszeit. Immer schön lüften.

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