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Johannes Fritsch. Foto: Hermann J. Baus
Johannes Fritsch. Foto: Hermann J. Baus
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Im Feedback stark

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Weltmusik und Hinterhof: Zum Tode des Komponisten Johannes Fritsch
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Von den 50er- bis in die 80er-Jahre galt Köln quasi als Mekka Neuer Musik wie Bildender Kunst. Überragende Komponisten mit ihren Schulen rivalisierten: Bernd Alois Zimmermann, Karlheinz Stockhausen, Mauricio Kagel, auch Hans Werner Henze. Unter dem Dach des mäzenatisch potenten WDR mit seinem Elektronischen Studio gab es zudem für Vernetzer, Abweichler und Quergänger mancherlei Freiräume: eine einmalige Verquickung sowohl der Künste (auch Literatur, Film, Theater) untereinander als auch globaler wie lokaler Aktivitäten, bis hin zur politischen „Straßenmusik“: ein Kunst-Bio-top voller Spannungen, Anregungen und Synergien.

Der Komponist Johannes Fritsch stand denn auch mehrfach für die Kreativität dieses anarchisch multiplen Kunst-Dschungels mit den Revieren der Musik-Großtiger Stockhausen und Kagel. 1941 geboren, studierte er zunächst bei Zimmermann, zu dessen epochalen „Soldaten“ er den Elektronik-Part beisteuerte. Überdies perfektionierte er sich als Bratscher. Dann geriet er in Stockhausens Bannkreis, spielte 1964–70 in dessen legendärem Ensemble, trug maßgeblich zu kollektiven Kompositionen wie Improvisationen bei, und wirkte bei den globalen Aufführungen „intuitiver Musik“ mit, meist mit seiner elektronisch verstärkten Viola: „Violectra“ war eines seiner markanten, stetig modifizierten Werke im Schnittfeld von Komposition, Elektronik und Improvisation. Nach dem langen Stockhausen-Gastspiel in Osaka trennten sich ihre Wege. Mit Abweichlern, gar Abtrünnigen konnte der damals zunehmend guruhafte Meister schwer umgehen. Die Jüngeren jedenfalls mussten sich von ihm absetzen. Später immerhin kam es wieder zur Versöhnung.

Ab 1968 waren allenthalben neue Festivals, Ensembles, Mitbestimmungsmodelle, auch der Verlag der Autoren entstanden: Autonomie, Eigenintiative, Kunst-Symbiotik waren gefragt; ebenso rumorte die Idee eines Verlags der Komponisten. Auch in Frankfurt trugen sich damals die Komponisten Dieter Schnebel und Rolf Riehm, die Musikwissenschaftler Fred Ritzel und Klaus Zehelein, die Kritiker Reinhard Oehlschlägel, Hans-Klaus Jungheinrich und der Autor mit dem Plan einer solchen Verlagsgründung. Heterogenität der Interessen, aber auch die Schwierigkeiten des Noten-Drucks ließen das Projekt nicht zustandekommen. Doch Johannes Fritsch, als Komponist immer profilierter, gelang ausgerechnet im eher anarchischen Köln das Kunststück, zusammen mit Rolf Gehlhaar und David Johnson, 1971 eine eigene Firma, „Feedback“-Studio und -Verlag, zu gründen, ein Hinterhaus in der Genter Straße 23 im „Belgischen Viertel“ zum internationalen Zentrum zu machen: Partituren wurden ediert, Stücke produziert, die Feedback Papers lanciert, die „Hinterhauskonzerte“ waren legendär, auch als Drehscheibe wahrer „Weltmusik“. Vieles traf und durchdrang sich hier: New York am Rhein. Technik, Elektronik bedeuteten Fritsch viel, nicht alles; und selbst historische Materialien hat er transformiert, nicht verschmäht. Ein Stück gar, „Osteophonie“, war nur für Knocheninstrumente bestimmt. Sogar eine Oper nach Robert Walsers „Aschenbrödel“ hat er geschrieben. Johannes Fritsch, ein multipler Musiker, ist am 13. Mai in Bonn gestorben.

Aus überaus traurigem Anlass gerade rechtzeitig ist nun im Schott-Verlag ein Band mit gesammelten Schriften von Johannes Fritsch herausgekommen. Er trägt den Titel „Über den Inhalt von Musik“ und bündelt Texte aus den Jahren 1964 bis 2006, nach Themenblöcken und innerhalb derer chronologisch geordnet.

Sie bieten also ein zeitlich wie inhaltlich reich gestaffeltes Spektrum von Fritschs Gedanken und Erfahrungen, das von großer Ernsthaftigkeit der Überlegungen, aber auch undogmatischer Offenheit zeugt. Ob zu eigenen oder fremden Werken, zu grundsätzlichen ästhetischen, aber auch nicht nur ästhetischen Fragen hat sich Fritsch substantielle Gedanken gemacht, immer wieder Aspekte des Komponisten, Interpreten, Lehrers, Vermittlers und Theoretikers aufgegriffen und miteinander verknüpft. Man wird sich mit ihm beschäftigen müssen. Übergreifende Reflexionen auf solch hohem Niveau und mit solch integrer Dringlichkeit sind nämlich überaus selten. Zumal Fritsch alles andere als der Typus des alles und vor allem alles besser Wissenden war. Insofern bildet der Band auch ein bewegendes Vermächtnis.

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