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Das IRO im Bräuhaus der Landesakademie Ochsenhausen. Foto: D.L. Schaefer
Das IRO im Bräuhaus der Landesakademie Ochsenhausen. Foto: D.L. Schaefer
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Im Stillen gedeiht die Kunst oft besser

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Das Interregionale Jugendorchester (IRO) in der Musikakademie Ochsenhausen
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Der Dirigent ist noch nicht ganz zufrieden. „You don’t need so much power, I need more dolce.“ Dieses Musik-Esperanto versteht hier jeder: Haarschöpfe in allen Naturfarben außer Grau beugen sich einsichtig wieder über die Noten. Das Interregionale Jugendorchester (IRO) 2006 probt Brahms in Schönbergs Instrumentierung, im Bräuhaus der Landesmusikakademie Ochsenhausen.

Ochsenhausen mit seiner ehemals bedeutenden Benediktiner- Reichsabtei liegt geographisch etwas seitab der großen Pilgerwege der Musikfreunde. Vielleicht hat gerade das auch sein Gutes. Denn da ist gleichsam im Schatten ein Projekt gewachsen, das von Jahr zu Jahr an Kontur und Substanz gewonnen hat.

Seit 1992 kommen hier jeden Sommer etwa hundert wildfremde, junge Musiktreibende zusammen, um innerhalb einer Woche ein Orchester zu formen, das ein anspruchsvolles musikalisches Programm bewältigt.

Es sind Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 23 Jahren aus den Partnerregionen Baden-Württembergs, wozu inzwischen neben euro-päischen Regionen wie Coimbra, Emilia Romagna, Flandern, Katalonien, Lombardei, Polen, Rhône-Alpes, der Russischen Föderation, Sachsen und Wales auch außereuropäische Regionen gehören, wie das japanische Kanagawa und Ontario in Kanada. Die Vehikelsprache ist für alle Englisch, der Umgangston polyglotte Freundlichkeit und Kollegialität.

Fünfzehn Jahre ist das nun her, dass das Ministerium für Kultus, Bildung und Sport Baden-Württemberg diese flexible Institution ins Leben rief – und so schnell werden „Kinder“ erwachsen. Die Regionen schicken ihre besten jungen Musiker nach Ochsenhausen, für die Katalanen zum Beispiel stellen die Teilnahme und Flugreise eine Belohnung dar, in anderen Regionen muss der in Ochsenhausen subventionierte Tagessatz von 24 Euro und auch die Anreise aus privaten Mitteln bezahlt werden. Wie geht das mit den Instrumenten? Vor allem bei den Kontrabässen und den Celli springen Leihgeber ein, wie die Musikhochschulen in Tübingen, Biberach oder Trossingen, erklärt Organisator Andreas Kreißig. Die meisten Jugendlichen haben schon in Schul- oder Jugendorchestern gespielt, jedoch sind die acht Stunden Probenzeit in Instrumentengruppen oder im Orchester eine ungewohnte Herausforderung. Da tönt, brummt und flötet es dann in Ochsenhausen aus allen möglichen Stuckräumen, die für die Musiker und die wechselnden Dozenten zur schönen Probenkulisse werden.

Wie sich das Orchester jeweils zusammensetzt, hängt vom Casting ab, das der jeweilige Dirigent am Wochenende nach der Anreise vornimmt. Ein Wahnsinnsunternehmen, wenn man es recht besieht – und das Schwerste an allem überhaupt. Aus 90 Teilnehmern hat diesmal Nicolas Pasquet, Professor an der Weimarer Franz-Liszt-Hochschule und erfahrener Dirigent, das Orchester besetzt. Für das Schostakowitsch-Violinkonzert, das die erst 26-jährige Solistin Sophie Jaffé aus Berlin beeindruckend virtuos und beseelt interpretierte, sind Bläser und Perkussion besonders wichtig. Dass im Hintergrund eine beachtliche Organisation unauffällig und reibungslos abläuft, dafür ist die Landesakademie für die musizierende Jugend in Baden-Württemberg verantwortlich, die zusammen mit dem Landesmusikrat Baden-Württemberg das IRO trägt. Ihr technischer Leiter Manfred Kallfass und ihr Pressesprecher Andreas Kreißig leisten dafür zusammen mit 31 Mitarbeitern die Knochenarbeit. Kallfass hat noch die Anfänge der Stiftung der Akademie erlebt, die 2006 ihr 20-jähriges Bestehen feiern konnte. Erste Kurse fanden ab 1989 statt, inzwischen gibt es 170 Eigenkurse und 50 Belegkurse, die von Schulen oder Laiengruppen oder für die Leh-rerfortbildung abgehalten werden. Auch damit erwirtschaftet die Landesakademie inzwischen 57 Prozent selbst, das ist eine solide finanzielle Basis.

Beim Mittagessen, zur Kaffeepause und zum Abendessen trifft man sich im barocken Speisesaal. Der Service ist familiär herzlich, das Essen, von viel Gemüse und Salat aus dem eigenen Garten begleitet, gesund: kein Fastfood, kein Alkohol. Schließlich soll die Probewoche effizient sein. Überhaupt muss Disziplin nicht oft eingefordert werden – die gehört zu dieser Kunst einfach dazu. Beim Mittagessen ergeben sich Möglichkeiten zum Gespräch – die Solistin bespricht mit dem Dirigenten noch ein paar Details oder der künftige Leiter des Landesmusikrates, Prof. Wolfgang Gönnenwein, schaut herein, um der Solistin noch mal zum letzten Preis zu gratulieren. Er sieht die Zukunft des IRO in der Internationalität, in der konkreten Zusammenarbeit auf kultureller Ebene und in der steigenden Bedeutung des Orchesters als Auswahlmedium für die Qualifizierung der jungen Musiker.

Wenn man die Konzerte der letzten Jahre noch im Ohr und das erste „Tourneekonzert“ 2006 in Weingarten gehört hat, braucht einem nicht bange zu werden um die künstlerische Zukunft der jungen Leute. Allerdings nur, wenn die Förderung nicht schwindsüchtig wird.

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