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Bringt das Konzept und die Stimme in eine ungewöhnliche Band ein: Cymin Samawatie. Foto: Juan Martin Koch
Bringt das Konzept und die Stimme in eine ungewöhnliche Band ein: Cymin Samawatie. Foto: Juan Martin Koch
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Jazz aus Tausendundeiner Nacht

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Mehr als die Vorzeigeband des interkulturellen Dialogs: das Berliner Quartett Cyminology
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So stellt man sich das ungefähr vor, wenn man mit einer multikulturell zusammengesetzten Band am Tisch sitzt: Da wechselt die Unterhaltung locker von persischer Lyrik des 14. Jahrhunderts zur Notation indischer Musik. Nur dass bei der Erörterung der Letzteren Drummer Ketan Bhatti (geboren in Neu Delhi) das Handy am Ohr hat und sich ausgerechnet der Bayer Benedikt Jahnel und die als Tochter eines Iraners in Braunschweig aufgewachsene Cymin Samawatie als diejenigen erweisen, die davon schon einige Ahnung haben.

Bhatti dazu lapidar: „Ich habe keinen so großen Bezug zu dem Land, bin da geboren, aber nicht aufgewachsen. Mein erster Schlagzeuglehrer hat immer gesagt, dass man das in meinem Spiel hört, dass es indische Bezüge gibt, und mehr und mehr interessiere ich mich dafür, habe mich aber noch nicht so damit auseinandergesetzt; Bene macht das jetzt für mich…“

So stellt man sich das ungefähr vor, wenn man bei einer multikulturell zusammengesetzten Band im Konzert sitzt: Da wechselt die musikalische Stimmung locker von saftigen Jazzbeats zu orientalischen Vokalisen. Nur, dass die vielleicht gar nicht orientalisch sind. „Die Reibungen, die wir einsetzen, sind oft nicht weit von der klassischen Harmonik entfernt, bei uns werden sie aber als persisch empfunden.“ Klar, denn gesungen wird auf persisch und Cymin Samawatie sorgt mit unverwechselbarem Timbre und eigenwilliger Phrasierung dafür, dass dieser Brückenschlag nicht cyminologisch-akademisch daherkommt, sondern einfach nur musikalisch plausibel.

Und dass die Vier von „Cyminology“ nicht nach der Vorzeigeband des interkulturellen Dialogs klingen, als die sie bisweilen herumgereicht werden. „Eigentlich finde ich es schön, wenn die Musik eine Bedeutung bekommt, die über sie hinaus weist“, zeigt Benedikt Jahnel sich empfänglich für die Verortung, um aber gleich zu ergänzen: „Wichtig ist, dass das nicht konstruiert ist. Es ist gut, dass so eine Band in Berlin ganz selbstverständlich zusammenkommt.“ Und Ketan Bhatti ergänzt: „In der Musik spielt das keine Rolle, es sind keine politischen Texte. Wir sind einfach eine sehr zeitgenössische Band, weil wir etwas widerspiegeln, was Realität sein soll; weg von diesem: Kultur ist dies oder jenes.“
Auch Jazz ist nicht genau dies oder jenes, sondern erweist sich mehr und mehr als die musikalische Sprache, die am überzeugendsten Dialekte unterschiedlichster Länder und Regionen in sich aufzunehmen vermag, ohne sie einfach unter einem Diktat von Swing und Groove assimilieren zu müssen.

Doch welche Dialekte kommen bei Cyminology seit ihrer Gründung 2002 eigentlich zusammen? Man könnte es schlicht als die Verbindung eines avancierten Jazz-Klaviertrios mit einer auf persisch singenden Vokalistin bezeichnen, wäre da nicht diese musikalische Verzahnung, die auf einer früheren Ebene einsetzt, der kompositorischen nämlich. Denn es sind nicht einfach Jazznummern, die nach Abliefern des gesungenen Themas den gewohnten Weg improvisierter Chorusse unter Führung des Klaviers einschlagen. Samawatie und Jahnel verstehen es, in ihren Stücken die Bögen weiter zu spannen. Immer mitgedacht ist in den ausschwingenden Melodielinien das Vokale, eine Qualität, die als Substanz das Zusammenspiel mit Bassist Ralf Schwarz prägt.

Die Präsentation dieser dem Textrhythmus entweder sehr genau folgenden oder einfach als Vokalisen gestalteten Melodien könnten oftmals schon das ganze Stück darstellen, weshalb sich manchmal auch ganz anders geartete Abschnitte anschließen, die erst allmählich und scheinbar improvisatorisch zum Ausgangspunkt zurückkehren. Rhythmische Variabilität bringt Ketan Bhatti ein, der seinem Drumset mit Besen, Schlegeln oder mit der Hand nicht nur jazzverwandte Beats entlockt, sondern es auch als Klangfarbe beimischt.

So sehr sich Cyminology auch als Einheit versteht – das PopCamp trug zur Schärfung des Bandprofils bei –, die Namensgeberin füllt mit ihrer Bühnenpräsenz doch klar die Rolle der Frontfrau aus. Und was mit altpersischen Gedichten anfing, die Samawatie zunächst auswendig lernte und dann im Jazzkontext zu vertonen begann, verleiht der Musik nun jene exotische Aura, die als unverwechselbares Merkmal einen Gutteil der Faszination und des Erfolges der Band ausmacht.

Die Texte, die teils von klassischen Dichtern, teils von ihr selbst stammen und deren Bedeutung Samawatie in Konzerten ein Stück weit andeutet, werden trotz oder gerade wegen ihrer Fremdheit zur zentralen Kommunikationsebene neben der Musik: „Für Iraner sind die klassischen Texte, die sie oft gut kennen, das Verbindungsglied zu einer Musik, die ihnen eher fremd ist; den anderen möchte ich gerne zeigen, dass es im Iran, einem Land, über das man viel Negatives hört, auch schöne Sachen gibt, die Sprache zum Beispiel.“

Im Iran selbst könnte die Band in dieser Form allerdings nicht auftreten: „Ich müsste mir andere Frauen suchen, dann könnte ich vor Frauen spielen; oder die Männer suchen sich einen Sänger und dürften dann vor einem gemischten Publikum auftreten. Aber der Tag wird kommen, an dem das anders sein wird; wir geben die Hoffnung nicht auf.“ Doch auch ohne Iran-Tournee sind Cyminology gut unterwegs: mit ihrer zweiten CD („Bemun“) im Gepäck, die von Frank Möbus produziert wurde. Der hat nicht nur hörbar am Aufnahmesound gefeilt, bei zwei Nummern steuert er auch seine ganz eigenen Gitarrenklänge bei; vielleicht ein Ausblick darauf, welche Dialekte dieses etwas andere Jazzquartett noch integrieren könnte.

Tourdaten: www.cyminology.de
Diskografie: Per se DMCHR 71043; Bemun DMCHR 71058 (Double Moon)

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