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Zuhause in Musik und Malerei: Günter Philipp. Foto: privat
Zuhause in Musik und Malerei: Günter Philipp. Foto: privat
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Klangbilder, Bilderklang und jede Menge Improvisation

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Zwanzig Jahre Tonkünstlerverband Sachsen: Ein Gespräch mit dem Ehrenpräsidenten Günter Philipp
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Im Oktober 2013 feiert der Tonkünstlerverband Sachsen sein zwanzigjähriges Bestehen (siehe auch S. 51). Im Zentrum der Festivitäten steht auch der Ehrenpräsident des jungen Verbands, eine Persönlichkeit, die weniger als Funktionär, vor allem aber als Künstler, Autor und Pädagoge wirkte. Es handelt sich um den 1927 geborenen Maler und Pianisten Günter Philipp. Dem doppelbegabten Künstler ist auch eine Ausstellung in der Landesmusikakademie Sachsen Schloss Colditz gewidmet. Günter Philipp studierte von 1947 an Klavier und Komposition bei Hugo Steurer und Wilhelm Weismann. Nachdem er das Studium wegen einer Handverletzung unterbrechen musste, studierte er bei Heinz Eberhard Strüning an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig.

Es folgte eine frühe Konzerttätigkeit, daneben war er als Publizist und Herausgeber von Klavierwerken Skrjabins, Ravels und Denissows und anderen tätig. Edisson Denissow komponierte für Philipp ein Klavierkonzert, das dann über ein Jahr nach Fertigstellung und geplanter Uraufführung 1978 schließlich mit dem Rundfunksinfonieorchester Leipzig unter Wolf-Dieter Hauschild aufgeführt wurde. Sowohl als Musiker wie auch als Maler hatte Philipp in der DDR unter vielfältigen Restriktionen zu leiden: Es gab Reiseverbote, aufgrund derer er die Mitwirkung an mehreren Ensembles aufkündigen musste, die Künstleragentur führte ihn nicht als Solisten, der Verband bildender Künstler nahm ihn nicht als Mitglied auf, denn er war ja Musiker, eine akademische Laufbahn wurde ihm verwehrt. Doch auch nach der Wende blieb Philipp unbequem und ein Solitär, sein Werk erfuhr von den Medien so gut wie keine Beachtung. Aus Anlass seiner Ausstellung im Rahmen des DTKV-Jubiläums führte Andreas Kolb ein Gespräch mit Günter Philipp.

neue musikzeitung: „Impromptus“, „Partituren“, „Improvisation“, „Pastorale“, „Landschaftsklang“ – viele Ihrer Bilder haben musikalische Titel. Was werden Sie jetzt in Leipzig hängen? Ist Musik das Thema der Ausstellung?

Günter Philipp: Nein, nicht konkret. Musikalische Titel bei Bildern sollte man nicht so ernst nehmen. Die meis­ten Titel werden erst hinterher angebracht oder gefunden. Aber meine Tendenz ist schon klar. Wenn ich an die alten Noten oder Notenschlüssel denke oder an das Klavierkonzert von Denissow: Natürlich habe ich das dann im Kopf beim Malen – aber einen direkten Zusammenhang gibt es da nicht.

nmz: Gerade die Improvisation scheint mir aber das verbindende Element.

Philipp: Ja, ein großer Teil meiner Bilder ist schließlich improvisiert.

nmz:  Sie führten den Improvisationsunterricht für Klavier und gemischte Gruppen 1972 an der Musikhochschule in Dresden ein. Wie kamen Sie zur Improvisation?

Philipp: Die ersten Anregungen habe ich durch die Tanzmusik bekommen, als ganz junger Mensch. Der eigentliche Beginn war aber etwas anderes: Als ich Student an der Leipziger Musikhochschule war, gab es den Kirchenmusiker Robert Köbler, der viel und gut improvisiert hat. Wir haben dann einfach zueinander gefunden und aus Freude an der Sache an zwei Klavieren improvisiert.

nmz:  Weltliche und geistliche Musik treffen sich in der Improvisation?

Philipp: Ja, vielleicht. Improvisation war mir seit meiner Leipziger Zeit wichtig, aber dort war es völlig ausgeschlossen, das Fach Klavierimprovisation an der Hochschule zu installieren. Als Professor Webersinke mich nach Dresden geholt hatte, war er eigentlich der erste, der anregte, einen solchen Studiengang in Dresden zu installieren. Das war erst auf freiwilliger Basis und später ist es dann von den anderen vier Hochschulen der DDR als Pflichtfach eingeführt worden.

nmz:  Muss ein vollendeter Künstler heute auch improvisieren können?

Philipp: Das kann ich so nicht sagen, dann würden ja viele ausscheiden, die überhaupt nicht improvisieren. Bei den klassischen Pianisten ist das Improvisieren überhaupt nicht üblich und wird auch nirgends richtig gelehrt.

nmz: Und wird es heute in Dresden noch gelehrt?

Philipp: Die Professur in Dresden gibt es natürlich noch. Die ganze Improvisationsausbildung hat meine Frau Ute Pruggmayer-Philipp übernommen, die wesentlich jünger ist als ich. Das macht sie schon seit 27 Jahren sehr gut und mit großem Erfolg. Früher habe ich mit einem Freund an zwei Klavieren gespielt. Wir haben einmal eine ganze Woche lang für den Berliner Rundfunk Aufnahmen an zwei Klavieren eingespielt, also frei improvisiert. Manchmal haben wir auch an drei Klavieren mit einem Schüler gemeinsam improvisiert.

nmz:  Edisson Denissow hat ein „Konzert für Klavier und Orchester“ (1977) für Sie komponiert, das in einer Einspielung mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig unter Wolf-Dieter Hauschild auch als CD vorliegt. Wie erinnern Sie sich daran?

Philipp: Wir hatten Funkaufnahmen mit Werken von Denissow, bei denen der Komponist anwesend war und sich entschloss, ein Klavierkonzert für mich zu schreiben. Eine Sache, die zu einer Odyssee wurde: Als 1977 der Zeitpunkt für die Uraufführung mit dem Leipziger Rundfunksinfonieorchester näher rückte, wurde das Stück abgesetzt, angeblich, weil es zu schwer für das Orchester war. Später hat man versucht, das Stück gegen die Intention des Komponisten anderen Pianisten zu geben. Die haben das sofort wieder als unspielbar zurück geschickt. Dieses Klavierkonzert ist das komplizierteste und anspruchsvollste, das mir bekannt ist.

nmz:  Das Ihnen gewidmete Klavierkonzert ist aber doch noch erklungen?

Philipp: Im Prinzip nur einmal für die Aufnahme und einmal im öffentlichen Sinfoniekonzert 1978. Seitdem nicht mehr.

nmz:  Warum diese ablehnende Haltung?

Philipp: Ich kann nicht für die Leute sprechen, die das damals entschieden haben. Aber da kamen sicher verschiedene Gründe zusammen. Das war zu einer Zeit, als in der Sowjetunion vieles von Denissow nicht gespielt wurde.

nmz:  Als opus summum Ihrer jahrzehntelangen Erfahrung als Pianist und Pädagoge legten Sie 1984 das Buch „Klavier, Klavierspiel, Improvisation“ vor.

Philipp: Sie haben gerade den Titel des ersten Buches genannt, das war noch zu DDR-Zeiten. Die Neufassung aus dem Jahr 2003 im Verlag Klaus-Jürgen Kamprad heißt „Klavierspiel und Improvisation“. Für die erste Ausgabe mussten x-verschiedene Gutachten eingeholt werden, für jedes Kapitel mehrere, das zog sich also jahrelang hin. Im ersten Buch musste vieles rausgenommen werden und vieles andere musste reingenommen werden, was ich nicht wollte, aber so waren die Zeiten damals.

nmz:  Um was geht es?

Philipp: Es haben sich verschiedene Ansichten bei mir herausgebildet, die auch durchaus abweichen von den üblichen Auffassungen. Es existieren in der Klavierpädagogik wahnsinnig viele Irrtümer, sogar abergläubische Vorstellungen, die so hartnäckig sind, dass sie bis heute noch nicht ausgeräumt wurden. Dazu zählt zum Beispiel im klaviermethodischen Bereich die Tonbildung oder das Pedalspiel.

nmz:  Sie nennen Ihr Buch ein „Bekenntnisbuch“ und beschäftigen sich darin nicht nur mit den musikalischen und technischen Grundlagen des Klavierspiels, sondern auch mit den psychologischen. Warum?

Philipp: Psychoakustik und Psychologie sind erheblich „unterbelichtet“ im gesamten Musikstudium und im Klavierstudium ganz speziell.

nmz:  Wann haben Sie Ihr letztes Konzert gegeben?

Philipp: Das war vor zweieinhalb Jahren, da war ich 83. Heute spielt sich das alles bei mir im Kopf ab, man muss nicht dauernd am Instrument sitzen. Malerei, Grafik und Zeichnen sind jetzt meine Hauptaktivitäten. Die Malerei hat für mich bereits in jungen Jahren die gleiche Rolle gespielt wie die Musik, nur war sie zu der Zeit, als ich noch viele Konzerte gab und an meinem Buch geschrieben habe, im Hintertreffen. Schon rein quantitativ ist die Malerei bei mir weiter vorne: 800 Ölbilder gibt es bis heute und dann kommen noch die Aquarelle dazu und die vielen Zeichnungen, die schon nicht mehr zählbar sind.

nmz:  Wo sind Ihre Bilder?

Philipp: Die Hochschule Dresden hat drei große Ölgemälde mit starken musikalischen Bezügen „Denissow-Klavierkonzert“, „Skrjabins Prometheische Phantasien“ und „Klangexplosion“ von mir geschenkt bekommen. Aber ein Ankauf stand trotz des Wunschs des damaligen Rektors nicht zur Debatte. Einige sind verkauft, aber das große Lager ist hier im Hause. Ich mache mir große Sorgen, was aus diesen Dingen mal werden soll.
nmz:  Gibt es Sehnsucht nach der DDR? Ostalgie?

Philipp: Überhaupt nicht. Natürlich gibt es Details, wo man sagt, dass das früher besser war, aber das sind kleine Randthemen. Im Großen und Ganzen war das eine ganz schlimme Zeit. Es gab bei mir viele Auseinandersetzungen mit dem Kulturministerium der DDR. Als die Wende kam, haben sich die Hochschulabteilungen Musik und Bildende Kunst zusammengesetzt und festgestellt, dass meine Unterdrückung die schlimmste im künstlerischen Bereich gewesen ist. Das will schon etwas heißen.

nmz:  Als „Wessi“ fehlt mir da die Vorstellungskraft …

Philipp: Die Auswirkungen, indirekte und unterschwellige Nachwirkungen – man kann gar nicht beschreiben, wie kompliziert das alles ist. Denn wenn man in bestimmten Bereichen nicht in Erscheinung treten konnte, existierte man praktisch nicht. Vom Verband Bildender Künstler bin ich ja viermal abgelehnt worden, insofern habe ich als Maler gar keinen „Namen“. Wenn man da nicht drin war, konnte man fast keine Ausstellungen machen und hat auch keine Aufträge bekommen. Die Musikhochschule in Dresden hatte beinahe zwei Jahrzehnte dreizehn Gemälde von mir in der Aula hängen.

Die Künstleragentur in Berlin hat mich zu keiner Zeit auf ihrer Angebotsliste gehabt. Verschiedene Leute, zum Teil prominente Kritiker, setzten sich damals für mich ein: Danach war ich mal ein Jahr auf der Liste, eher pro forma, und dann wieder weg. Manche Dirigenten haben mich trotzdem geholt oder recht häufig musste ich kurzfristig für jemanden einspringen. Manchmal habe ich erst einen Tag vor der Aufführung erfahren, dass ich spielen soll. Ich habe das sehr oft gemacht und dann sind die betreffenden Dirigenten dafür gerügt worden, dass sie mich genommen haben.

Nicht alle künstlerischen Benachteiligungen resultieren aus politischen Verhältnissen. So haben die Feuilletonredaktionen der Tagespresse einen Anteil an Ungerechtigkeiten und Machtmiss­brauch, den ich mir früher nie hätte vorstellen können. Besondere Konzerte wie etwa im Januar 1995 im Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik (Improvisationen mit zwei Klavieren, Vortrag und Bilderausstellung) oder 1997 das DTKV-Jubiläumskonzert mit Rundfunkaufzeichnung in der Aula der Musikhochschule Dresden und vieles andere wurden weder angekündigt noch rezensiert.

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