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Theo Geißler: Theos Kurzschluss 2.0, mit Fotos von Martin Hufner, hrsg. von Olaf Zimmermann, ConBrio Verlag, Regensburg 2022, 200 S., € 12,80, Abb., ISBN 978-3-949425-01-1
Theo Geißler: Theos Kurzschluss 2.0, mit Fotos von Martin Hufner, hrsg. von Olaf Zimmermann, ConBrio Verlag, Regensburg 2022, 200 S., € 12,80, Abb., ISBN 978-3-949425-01-1
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Kurzschlüsse im Theo-Universum

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Zum neuen Essay-Band des nmz-Herausgebers Theo Geißler
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Sitzt er abends unter einer funzeligen 4,5-Watt-Ökolampe, umgeben von tausenden wild bekritzelten Karteikärtchen und sucht sich passende Schmähungen, schräge Vergleiche und lustvolle Provokationen für seinen nächsten Kurzschluss aus? Oder sprudelt sein gigantischer Synapsenspeicher wie ein schäumender Quell, wenn er bei der Lektüre aktueller Nachrichten auf ministerielle, bürokratische oder (kultur-)politische Absurditäten und Dummheiten stößt?

Seit nunmehr zwei Jahrzehnten erscheint die Zeitung des Deutschen Kulturrates, Politik & Kultur, schlauerweise PuK abgekürzt – und dies mittlerweile in zehn Ausgaben pro Jahr. Breit gestreut berichtet das Blatt über verschiedenste Themen der und zur Kulturpolitik. Einen festen Platz hat darin „Theos Kurzschluss“. Eine Kolumne oder doch eher eine Glosse, so haarklein lässt sich das nicht immer unterscheiden, in welcher sich Mitherausgeber und ConBrio-Verleger Theo Geißler über die Zustände in unserer schönen, neuen, digitalisierten Welt erregt, diese pointiert kommentiert oder vor ihnen kapituliert.

Der Eifer, der aus den scheinbar lässig hingeworfenen Spalten blitzt, spricht Bände – weshalb jetzt bereits der zweite als Sammlung „von 40 weiteren Glossen aus den Jahren 2017 bis 2022“ vorliegt. Vieles deutet daraufhin, um eine stringente Indizienkette aufzubauen, dass Geißler ein himmlisches, im Zweifelsfall auch teuflisches Vergnügen am Herumstochern in faulen Stellen gesellschaftlicher Zustände hat. Genüsslich webt er mal feine Spitzen, mal derbe Seitenhiebe gegen – fast – alles was rechts ist ein. Er sucht und findet die Schwachpunkte der politisch Mächtigen jeglicher Couleur, vom Landrat bis zur mittlerweile Ex-Kanzlerin. Nach dem bereits in der Antike überaus beliebten und bewährten Motto ,viel Feind, viel Ehr‘ verteilt er fröhlich fein dosierte Häme und pralle Ironie, auf dass sich das Hohngelächter zahlloser Leser*innen wie aus der mit frischem Brackwasser gefüllten Gießkanne über Parteien, Funktionsträger*innen und Fußballspieler*innen aus nah und fern ergießt.

Als Vorbild kann dabei keineswegs der scharfzüngige Filmemacher Michael Moore dienen, obwohl er dessen satirisch überspitzte Polemiken vermutlich zu schätzen weiß. Der vielfach ausgezeichnete Oberbayer geißelt in seinen fantasievollen, mit Polemik fein gewürzten Glossen selten einzelne Personen, ihn ärgern und jucken die Verhältnisse in Staat und Gesellschaft. Die lahme Bürokratie, falsche fiskalische Schwerpunkte, das europäische Mauscheln, die wirtschaftliche und politische Ignoranz deutscher Eliten, Überheblichkeiten und Selbstüberschätzungen, konservative Breitarschigkeit und liberale Geisterbeschwörungen gehören zu seinen Lieblingszielen auf die er anlegt.

Angetan, um nicht zu sagen vollkommen fasziniert, ist er auch wieder und wieder von den Ergebnissen und Möglichkeiten unserer digitalen Welt, ob diese nun unter Zweipunktnull, Dreipunktnull oder Xpunktnull in den Köpfen und Programmierstuben herumspukt. Da katapultiert sich der meist nur vordergründig spottlustige Mahner, der eine „brave new world“ heraufziehen sieht, schon mal mit rhetorischem Wumms in eine abscheuliche Zukunftswelt, die von Chimären aus Mensch-und-Affe bevölkert ist. Damit geht er einen Schritt weiter als Franklin J. Schaffner vor 54 Jahren mit seinem wegweisenden SF-Klassiker „Planet der Affen“. Ein andermal versinkt er metertief in Albträumen und fabuliert wirr von der Krim „als 17. deutsches Bundesland“, zurückerobert von einem Admiral namens Trump. Schweißgebadet aufgewacht, lässt er sich von Franzi „ich-hab-noch-keinen-einzigen-Sklaven-in-Katar-gesehen“ Beckenbauer mit abgelaufenen DM-Geldbündeln das Maul stopfen.

Was den bald 75-jährigen begnadeten Polemiker dabei neben seiner Lust am Formulieren und Fabulieren auszeichnet, sind kühne Worterfindungen, köstliche Vergleiche und dass er auch vor sich selbst nicht Halt macht. Entweder kritisiert er aus persönlichen (Kindheits-)Erfahrungen heraus die Unzulänglichkeiten des Bildungssystems, damals wie heute, oder er müht sich als armer Tropf im Dschungel des kapitalistischen Beschäftigungssystems einige Brosamen zu ergattern. Dabei muss er notgedrungen scheitern. Das wiederum setzt seinen köstlichen satirischen Wendungen ein verzuckertes Sahnehäubchen des Mitleidens und beim Lesen ein breites Grinsen auf.

Der abgegriffene Titel „2punktnull“ sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass in dieser Sammlung witziger, kluger und manchmal gar tiefgründiger Meinungsbeiträge und feiner Bosheiten ein großes Lesevergnügen steckt. Gelegentlich allerdings kann man auch ins Grübeln kommen, wenn er Bezüge zu kurzfristig aktuellen Ereignissen herstellt, die mittlerweile längst im Orkus tiefsten Vergessens verschwunden sind. Eine kluge Auswahl an nüchternen, poetischen und komischen Fotos und ein paar knappe Hinweise auf Ereignisse des jeweiligen Jahres verleihen dem Büchlein zusätzliche Relevanz.

  • Theo Geißler: Theos Kurzschluss 2.0, mit Fotos von Martin Hufner, hrsg. von Olaf Zimmermann, ConBrio Verlag, Regensburg 2022, 200 S., € 12,80, Abb., ISBN 978-3-949425-01-1

 

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