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Lange Tradition, vielgesichtige Ausdrucksweise

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Anmerkungen zum Artikel „Eine Hommage an die sorbische Lausitz“, nmz 9/10, S. 3
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Es ist mir ein Herzensbedürfnis, dem Autor des Artikels (nmz 9/10 2010 S.5) Christian Tepe, als auch der Redaktion der NMZ dafür zu danken, auf das hochbrisante Thema der Kunstmusik der Sorben in der Ober- und Niederlausitz aufmerksam gemacht zu haben.

Die kleinste westslawische Nation droht unterzugehen, wenn ihre Kultur und die Sprache nicht gezielt gefördert werden, selbstverständlich mit allen – nicht nur pekunären – Mitteln. Denn nicht nur drohen immer noch Dörfer abgebaggert und zweisprachige Schulen geschlossen zu werden, wie Tepe zurecht anmerkt, jedes Jahr müssen Fördermittel in harten Verhandlungen erneut eingefordert werden.

Die Identifikation eines Volkes erfolgt immer über die eigene Sprache, Literatur und Musik – das gilt für die Volksmusik ebenso wie für die artifizielle Musik. Deshalb war es von der damaligen Hochschul- und auch Fachbereichsleitung Musikpädagogik der heutigen Hochschule Lausitz (FH) ein nicht zu überschätzender Vorausblick, als 1999 mit der Bestellung einer Honorarprofessur für sorbische Musikgeschichte der Grundstein für ein Zentrum für sorbische Musikforschung und -lehre gelegt wurde. Schon im Mai 2000 wurde am Fachbereich Musikpädagogik der Hochschule Lausitz die I. Internationale Konferenz zu Stand und Perspektiven der artifiziellen sorbischen Musik ausgerichtet.1 Im gleichen Jahr wurde von mir für die Studierenden des Fachbereiches ein obligatorischer Vorlesungszyklus zur sorbischen Musikgeschichte erarbeitet und erstmalig gelesen, der immer noch jedes Jahr innerhalb der musikgeschichtlichen Lehrveranstaltungen gehalten wird und auch prüfungsrelevant ist. Es stößt nach wie vor bei den Studierenden auf großes Interesse, sich praktisch – bei Vortragsabenden und Fachbereichskonzerten – wie auch theoretisch (verschiedene Diplomarbeitsthemen) mit den vielen Facetten der sorbischen Musik zu beschäftigen.

Die sorbische artifizielle Musik hat eine lange Tradition, eine vielgesichtige Ausdrucksweise und ganz spezifische Intonationen, die geprägt sind durch die Andersartigkeit der sorbischen Sprachen: des Niedersorbischen (in der Niederlausitz mit dem Zentrum Cottbus) und des Obersorbischen (in der Oberlausitz mit dem Zentrum Bautzen). Selbstverständlich dienen daher die musikalischen Genres wie Oratorium und auch Oper am ehesten dem Ausdruck eigenen nationalen Bewußtseins – insbesondere im 19. Jahrhundert, als man auf der Opernbühne begann, in der Muttersprache zu singen, das Volk selbst darzustellen und Volksmusikintonationen in der Komposition zu verwenden (wie, beispielsweise  „Der Freischütz“ von C.M. von Weber, „Iwan Sussanin“ von M. Glinka oder „Die verkaufte Braut“ von B. Smetana u.a.). Wenn in Korla Awgust Kocors Oper „Jakub a Kata“ noch Einflüsse des Kompositionsstils  Mendelssohns, Webers und sogar Rossinis hörbar sind (bezeichnenderweise nicht die Einflüsse der sogenannten „Neudeutschen“ um Richard Wagner und Franz Liszt), so ist im Singspiel „Smjertnica“ von Jurij Pilk (1858–1926) deutlich der Einfluss slawischer Kompositionsstile, so etwa der A. Dvorák spürbar. Das drückt sich auch in der Wahl des Sujets aus: sowohl „Rusalka“ als auch „Smjertnica“ (Todesgöttin) sind slawische Sagengestalten. Auch der leider in Jan Rawps „Sorbische Musik“ nicht erwähnte Komponist und Musikwissenschaftler Dieter Nowka (1924–1998) hat in seiner Oper „Jan Suška“ sowohl sorbische Intonationen verwandt, als auch ein Thema aus der sorbischen Geschichte – den Lohsaer Bauernaufstand – vertont. Im übrigen hinterließ Nowka ein beeindruckendes musikalisches Œuvre und eine epochale „Europäische Kompositionsgeschichte“2.

Was Tepe bei Kocor so treffend als „spezifisches nationales Idiom“ charakterisiert, ist bezeichnend ebenso für Pilk, Nowka und andere – weniger werden ursprüngliche Motive aus der sorbischen Volksmusik verwendet – aber die Frische und der „Zauber der blühenden Melodik“ (Tepe) ist bis heute ein Charakteristikum der sorbischen Kunstmusik geblieben. Das bedeutet aber andererseits, daß die sorbischen Komponisten ihre eigene Volksmusik durchaus kannten – und kennen. Die wichtigste Quelle hierfür stammt von Jan Arnošt Smoler (1816–1884), der sich nach dem Theologiestudium der Erschließung des sorbischen Volksliedes und -brauchtums widmete. Das Kompendium „Volkslieder der Wenden in der Ober- und Niederlausitz“ wurde 1841/43 erstmals in Grimma verlegt – Nachdrucke Berlin 1953, Bautzen 1884/1992. Nicht zufällig ist die Erstausgabe nur wenige Jahre vor dem von Kocor und Zejler initiierten 1. sorbischen Gesangsfest (1845) erschienen.

Die Tradition des Volksmusiksammelns  wurde im 20. Jahrhundert wesentlich durch Tonaufnahme und Rundfunk befördert. Der RBB (Studio Cottbus) verfügt über einen Schatz an Aufnahmen, auf denen beispielsweise die letzten Kantorkas (Vorsängerinnen der Spinntestubenmädchen) ihr Liedrepertoire dem Aufnahmegerät anvertrauten. Benno Njekela (1934-1998), selbst Komponist, hatte das Archiv angelegt. Sein „Nachfolger“ als Redakteur und Komponistenkollege Ulrich Pogoda (* 1954) schuf u.a. eine zauberhafte Sonate für Violine und Klavier,  ein Konzert für Klavier und Orchester, ein sinfonisches Poem „Maria Grollmuss“ und weitere zahlreiche Werke für die unterschiedlichsten Besetzungen. Pogodas Kompositionsmethode mit submodalen Reihen sowie seine intonatorischen Bezüge veranlassten Rezensenten – meines Erachtens nicht ganz zu Unrecht – ihn als „sorbischen Janacek“ zu bezeichnen.

Anlässlich eines Konzertes des polnischen Organisten Prof. Marek Toporowski – einem ausgewiesenen Kenner und Interpreten „Alter Musik“ – konnte dieser für die sorbische Musik begeistert werden. Und – was ist Musik ohne Interpreten, die sie mit Empathie spielen – es ergab sich eine ganz spontane Wiederbelebung der sorbischen Kompositionen für Orgel: Jan Cyž (geb. 1955), Ulrich Pogoda, Detlef Kobjela u.a. entdeckten ihre Liebe zur Orgel neu und bereicherten damit auch „ihren“ Interpreten Toporowski, der diese Werke einem breiten internationalen Publikum zugänglich macht.
Ich breche an dieser Stelle meine Ausführungen ab – im Bewusstsein, auch hier nur eine Auswahl getroffen haben zu können, aber in der Hoffnung, auch Leser der NMZ vielleicht in einem Konzert mit sorbischer artifizieller Musik in einem der Lausitzer Musikzentren begrüßen zu können.

1    Kathinka Rebling (Hrsg.): I. Internationale Konferenz zur artifiziellen sorbischen Musik. Materialien und Beiträge. PETER LANG Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-631-36657-4. Im November 2010 wird die 10. Konferenz stattfinden. 
2     Dieter Nowka, Europäische Kompositionsgeschichte, ecomed Verlagsgesellschaft AG & Co., KG, Landsberg/Lech 1999, ISBN 3-609-51600-3

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