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Betty Fischer in „Die Königin“ von Oscar Straus. Handkolorierte Fotografie, 1927. Fotograf: Franz Xaver Setzer/© IMAGNO/Photoarchiv Setzer-Tschiedel
Betty Fischer in „Die Königin“ von Oscar Straus. Handkolorierte Fotografie, 1927. Fotograf: Franz Xaver Setzer/© IMAGNO/Photoarchiv Setzer-Tschiedel
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Vorzügliche Ausstellung im Deutschen Theatermuseum München: „Welt der Operette“
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Natürlich musste die berühmt-berüchtigte „Stelle“ über Johannes Heesters im bahnbrechenden Begleitbuch (erschienen im Christian Brandstätter Verlag) zu dieser Ausstellung über die „Welt der Operette“, die für das Österreichische Theatermuseum in Wien konzipiert wurde, wieder geschwärzt werden. Denn dass „Jopie“ zusammen mit dem Gärtnerplatztheaterensemble mit der Ralph-Benatzky-Operette „Axel an der Himmelstür“ im KZ Dachau zur „Truppenerheiterung“ (wie das einer der Kuratoren, Kevin Clarke nennt) aufgetreten ist, ist bis heute noch umstritten.

Und da sind wir schon mitten drin im ganz großen, bis vor kurzem in Deutschland und Österreich noch sehr altväterlich (oder stiefmütterlich) behandelten Thema „Operette“, in der Welt von Politik und Eros. Fast im Alleingang brachten nun die beiden Forscher Kevin Clarke und Marie-Theres Arnbom frischen Wind in die Diskussion um dieses besonders leichtgeschürzte Kind der „leichten Muse“. Die Essenz ihrer neuen Erkenntnisse präsentieren sie uns nun in dieser sehr sinnlichen Ausstellung, die jetzt nach Wien bis zum 10. März 2013 auch im Deutschen Theatermuseum München zu sehen ist.

Eigentlich hatte man Anfang der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts noch geglaubt, dass mit Volker Klotz‘ gründlichem Handbuch zur „Operette“ das Thema einigermaßen „abgeschlossen“ sei. Und auf ewig der „Zigeunerbaron“ in den deutschen Provinztheatern herumpoltern würde wie annodazumal. Doch dann kam die „Rössl“-Inszenierung in der Berliner „Bar jeder Zukunft“, die nicht „kleine Oper“ sein wollte, sondern lustvolles Tingeltangel – mit den Geschwistern Pfister, Meret Becker und Max Raabe. Und plötzlich entdeckte eine jüngere Generation das alte Genre. Etwa zeitgleich wurde auch in zwei großen „Cinegraph“-Kongressen die „Tonfilmoperette“ als originäres deutsches Filmgenre rehabilitiert. Und in der CD-Edition „Entartete Musik“ erschienen Erst­einspielungen von transatlantischen Operetten wie Emmerich Kálmáns „Die Herzogin von Chicago“. Schließlich erklang auf CD wieder der oft sehr jazzige Originalsound der Benatzky- oder Abraham-Operetten. Immer deutlicher kristallisierte sich heraus, dass all die Einspielungen aus den 50er- und 60er-Jahren des Repertoires „verfälscht“ waren, kastriert gewissermaßen. Margit Schramm statt Fritzi Massary, Roy Black statt Richard Tauber. Begleitet wurden sie von irgendeinem deutschen Rundfunkorchester, das drittklassige Arrangements spielen musste. Operettenmelodien hatten nur noch als Material für die Funk-„Wunschkonzerte“ jener Jahre gedient. Wer will, kann in dieser Aussstellung den Unterschied hören zwischen den „originalen“ Schellackaufnahmen der Roaring Twenties und dem lieblosen „Blauen Bock“-Sound der Sixties. 

Zu dieser „jüngeren“, leichtfüßigeren Generation gehörten damals auch Kevin Clarke, der vor einigen Jahren Erik Charell, dem „Vater“ der „Weißen Rössl“-Revue sogar eine Ausstellung widmete und in seiner herausragenden „Doktorarbeit“ die „transatlantische Operette“ beleuchtet hat, und Marie-Theres Arnbom, die über das Wiener Cabaret „Die Hölle“ und Max Hansen, dem Original-Leopold aus dem „Rössl“, und Paul Morgan geforscht hat. Und die beiden ergänzen sich auf wunderbare Weise, sind ein „perfect match“. Während Clarke sehr klug (und queer!) die „Geburt der Operette aus dem Geist der Pornographie“ zur „pikanten“ Offenbach-Zeit skizziert („nichts für Betschwestern!“), beschreibt Arnbom im Begleitbuch das Wiener „Operetten-Imperium“ von Hubert Marischka bis zu seinem Konkurs 1935. Damals hatten die Nazis schon begonnen, die Operette zu „arisieren“. Nach dem „Anschluss“ 1938 hatten sie sogar den jüdischen „Walzerkönig“ Johann Strauß „arisiert“, weil sie auf seine Musik im Reich nicht verzichten konnten. Aber die Operetten von jüdischen Komponisten oder Librettisten verschwanden aus dem Repertoire. Zum „Geleit“ von „Reclams Operettenführer“ von 1939 schrieb der berühmt-berüchtigte Musik-Richter Hans Severus Ziegler (Organisator der „Entartete Musik“-Ausstellung): „Selbstverständlich hat das Dritte Reich die typisch jüdische und stark verjazzte Operette allmählich ausschalten müssen mit dem sehr erfreulichen Ergebnis, dass die Operettentheater aller großen und kleineren Städte, wo der arische Operettenkomponist gepflegt wird, nach wie vor volle Häuser zeigen.“ Kevin Clarke stellt diese Zeilen dem „Herzstück“ des Begleitbuchs voran, über die „entartete“ deutsche Operette und ihren „Nachsommer“ auf Wiener Bühnen 1933 bis 1938. Gespenstisch ist es, in der Ausstellung zu sehen, wie die Nazis beliebte Operetten von jüdischen Komponisten von „arischen“ Kollegen „überschreiben“ ließen. So changieren dort übereinander gelegte Notenblätter zwischen „jüdischen“ Originalen und „arischen“ Kopien. 

Die „Entjudung“ der Operette war ein schwerer Schlag für das Genre. Und letztlich hat es sich von diesem Schlag nie mehr richtig erholt. Alles, was mal „sexy“ gewesen ist an der Operette, wurde von den Nazis kastriert. Und seltsamerweise ist ausgerechnet diese Form der Operette nach dem Krieg aus den Ruinen wieder auferstanden. Und heute? „Selbst Aufführungen von Stücken, die eigentlich diesem Ur-Ideal des Genres verpflichtet sind, etwa die ‚Fledermaus‘ oder ‚Orpheus in der Unterwelt‘, das ‚Rössl‘ oder die ‚Gräfin Mariza‘ werden derzeit nostalgischer gespielt, als es sich ihre Komponisten je hätten träumen lassen.“ 

Kevin Clarke sieht das als späten Sieg von Ziegler. Und er stellt die Frage, „ob man das über sechs Jahrzehnte nach Ende des Nazi-Regimes widerspruchslos akzeptieren will oder ob es nicht doch langsam an der Zeit wäre, gegen solche Zustände vehement vorzugehen?“ Anregungen für die Zukunft des Genres gäbe es bei diesem Bummel durch die vergangene, glamouröse „Welt der Operette“ zuhauf. 

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