Hauptbild
Spielte sich in die erste Reihe: Fagottist Marc Trémel. Foto: Sigi Finkel
Spielte sich in die erste Reihe: Fagottist Marc Trémel. Foto: Sigi Finkel
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Leuchttürme zur Orientierung

Untertitel
Unter dreizehn ARD-Preisträgern sind zwei deutsche Bläser und ein deutsch-schweizerisches Quartett
Publikationsdatum
Body

Drei Leuchttürme und etliche Positionslichter hinterlässt der ARD-Wettbewerb, Steuerhilfe und Orientierung für die aufrückende Musikergeneration. Nur geht es dabei nicht primär um technische Wendigkeit, Tempo und Zeitgewinn, sondern um Tiefgang, Brillanz, Personalität. Das lehren Jahr für Jahr die Internationalen Musikwettbewerbe in München, wie sie der Bayerische Rundfunk nun zum 57. Male ausgerichtet hat.

Als seine Gewinner kann er nicht nur die Preisträger zählen, sondern gerade auch die zunehmende Resonanz in der Öffentlichkeit, das treue Publikum des fast dreiwöchigen Hörmarathons, das durch alle vier Durchgänge bis zum Finalkonzert Münchens größte Studios und Konzertsäle füllte und dabei „beglückende Momente geschenkt“ bekam. Gerade bei den Streichquartetten trifft man auf vorwiegend ältere Zuhörer, die mit  hohem Sach- und Kunstverstand, weil mit eigener (teilweise langer Amateur-) Spielerfahrung Anteil nehmen und in den Foyers kunstsinnig zu diskutieren und abzuwägen verstehen. So signalisierten die vom Publikum vergebenen Preise durchaus auch eigene Auffassungen. Hier finden sich junge Musiker nicht wie bei manch anderen Concours in unangenehmer Prüfungsatmosphäre, sondern erfahren lebendige Konzertsituation, aufgenommen und getragen von einer erlesenen Hörerschaft, wie sie sich Künstler für ihren konzertanten Berufsalltag herbeiwünschen.

Der Münchner ARD-Wettbewerb ist berüchtigt für Strenge und hohen Anspruch seiner Jurygremien, welche die Verantwortung für die Vergabe von immerhin mehr als 180.000 Euro an Preisgeldern und Stipendien plus reichlich Einladungen zu attraktiven Engagements haben. Das begann diesmal schon damit, dass im Vorsieb fast drei Fünftel der aus 52 Ländern kommenden 461 Bewerber hängen blieben. Von dann knapp 200 Kandidaten, davon 85% Prozent ausländische Bewerber, die in den vier diesmal ausgeschriebenen Kategorien an den Start gehen durften, wird nicht nur ganz selbstverständlich konzertreife musikalische Leistung erwartet, sondern in Verbindung damit Ausstrahlung ihrer individuellen künstlerischen Persönlichkeit. In dieser Hinsicht war es wohl ein besonderer Jahrgang, dem die 40 Preisrichter ein teilweise außerordentlich hohes Niveau bestätigten, was ihre Entscheidungen nicht leicht machte. Das führte bei Klarinette, Fagott und Streichquartette zur Doppelvergabe einiger Preise.

Erstmals seit über fünfzig ARD-Wettbewerbsjahren erspielte sich ein Fagottist einen ersten Preis: So zählt der Franzose Marc Trémel als erster Leuchtturm, an dem sich Fagott-Nachwuchs langfristig orientieren mag. Unter den (aus über 100 Bewerbern) 46 angetretenen Fagottisten erhielten der aus Esslingen stammende Christian Kunert und der Südtiroler Philipp Tutzer einen zweiten Preis, der Tscheche Václav Vonášek einen dritten Preis. Die Vorspiele vermittelten zugleich Einblicke in die schmale originale Fagottliteratur. Dazu gehört Trémels virtuos angepacktes Jolivet-Konzert oder das komplizierte, leicht verrückt wirkende Auftrags- und Pflichtwerk von Adriana Hölszky, das von jedem Interpreten zum fast Nichtwiedererkennen andersartig realisiert wurde. Der zweite Leuchtturm ist von Klarinettisten besetzt; denn erstmals seit 40 Jahren gab es für diese wieder einen ersten Preis, über den sich der 21-jährige Deutsche Sebastian Manz freut und der, wie die beiden dritten Preisträger – die Israelin Shelly Ezra und der Japaner Taira Kaneko – aus der Lübecker Klarinettenschmiede von Sabine Meyer und Reiner Wehle kommt. Dreimal konnte man im Finale Carl Nielsens langatmiges Klarinettenkonzert hören und vergleichen, wie die Interpreten auch rein physisch mit den virtuosen Anforderungen der Anblas- und Fingertechnik umzugehen und dem zerrissenen, überspannt wirkenden Werk eine fast dämonische Gestalt zu geben verstanden. Toshio Hosokawas „Metamorphosis“, das sich Shelly Ezra ausgewählt hatte, konzentrierte sich auf ein virtuoses Farbspiel der Klarinette, auf die Auslotung aller erdenklichen Klangkontraste.

Auch das Repertoire für das Fach Viola war ein Lernprozess für Spieler wie Zuhörer: allein Alfred Schnittkes langatmiges, aber spannungsgeladenes Viola-Konzert, das der jetzt in München studierende 26-jährige Chinese Wen Yiao Zhen, als mit dem zweiten Preis Bestausgezeichneter, atemberaubend interpretierte. Oder der Bratschen-Auftrag „Tikvah“ („hope“, eine Erinnerungskomposition an die tragischen Zwischenfälle während der München-Olympiade 1972), für welches sich der Brüsseler Dimitri Murrath einen Sonderpreis verdiente.

Kammermusik, die schönere Alternative zum mageren Stellenmarkt der Kulturorchester oder zur heiklen Gradwanderung für Solisten, scheint auch im Konzertleben ein immer festeres Standbein zu bekommen. Alle 11 zugelassenen Streichquartette (17 hatten sich beworben) wiesen ein überraschend hohes Niveau aus. Vier davon erreichten das Finale und zündeten damit den dritten Leuchtturm an; denn die Jury befand sie bei aller differenzierten klanglichen Eigenheit qualitativ doch so nahe beieinander und damit preis- und vor allem besonders förderungswürdig. Mit zwei dritten Preisen würdigten sie das deutsch-schweizerische Gémeaux Quartett, zuletzt im Schliff beim Hagen-Quartett in Salzburg, und das japanische Verus String Quartett, das – in seiner Perfektion deutlich spürbar – bei dem 1970 in München ausgezeichneten Tokyo String Quartet in die Schule ging. Als erstaunlich schnelle Aufsteiger erwiesen sich sowohl das Afiara String Quartet aus Kanada (2. Preis) wie das sozusagen mit Goldmedaille ausgezeichnete polnische Quartett Apollon Musagèt. Dessen Mitglieder gewannen Sympathie durch ihre feines unaufdringlich elegantes Musizieren, ihr Stilgefühl und gewachsene Homogenität, ob bei den Klassikern oder bei Janácek und Bartók oder bei der Uraufführung von Rodion Shedrins impressiven „Lyrischen Szenen“, dem ARD-Auftragswerk. 

Sicherlich machen die anspruchsvollen Wettbewerbsanforderungen, die von jedem Kandidaten in der Addition der Durchgänge eine Vorspielzeit von bis zu drei Stunden und mehr abverlangen, die relativ hohe Preissumme, die eingebundene Anschlussförderung, der fachliche Rang der Juroren, die Orchester-Mitwirkung im Semifinale (Münchner Kammerorchester mit dem Konzertmeister Daniel Giglberger), im Finale und bei den drei Abschlusskonzerten (Symphonieorchester des BR unter dem jungen Cornelius Meister) und schließlich eine perfekte Organisation den weltweiten Rang, Ruf und Zuspruch des ARD-Wettbewerbes aus.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!