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Lieder von Liebe und Hass

Untertitel
Zum Tod des großen Songpoeten Leonard Cohen
Publikationsdatum
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Vor genau 49 Jahren, im Dezember 1967 erschien bei Columbia Records, der Heimat des frischen Nobelpreisträgers Bob Dylan, eine Langspielplatte mit zehn Liedern, die zum Soundtrack einer Generation werden sollten: „Songs of Leonard Cohen“.

Beim Erscheinen trieb sich die LP in den USA ein paar Wochen lang in den unteren Regionen der Top 100 herum und das war es dann. In Europa aber entwickelte die Platte des kanadischen Songpoeten ein Eigenleben jenseits der Charts. Und seine brummelige Verführerstimme erklang plötzlich aus vielen Lautsprechern zwischen London, Paris, Rom und München. Meistens nach Mitternacht, wie man auch den vielen sehr persönlich gefärbten Nachrufen entnehmen konnte. Wer in dieser Zeit jung war, ist seiner „Susanne“ nicht entkommen. Später waren es dann Lieder wie „First We Take Manhattan“ (in der Version von Jennifer Warnes) und das unvermeidliche „Hallelujah“ (mit Jeff Buckley), die sich komplett loslösten von seiner enigmatischen Persona. Und dazwischen lagen seelenvolle „Songs of Love and Hate“, die zu Hausfreunden wurden: „Sisters Of Mercy“, „So long, Marianne“, „Bird On A Wire“ (den sogar Brigitte Mira sehr bewegend für Fassbinder sang), „The Partisan“, „Chelsea Hotel“, „Came So Far For Beauty“, „I’m Your Man“, „Tower Of Song“, „Ain’t No Cure For Love“ oder „Dance Me To the End Of Love“.

Einer seiner stimmungsvollsten Songs von seiner Debütplatte durchzieht sogar einen der schönsten Filme aus der New-Hollywood-Zeit um 1970: „Winter Lady“. Mit diesem Lied klingt dann auch Robert Altmans Neo-Wes­tern „McCabe & Mrs. Miller“ mit Warren Beatty und Julie Christie ganz melancholisch im Schnee aus. Bis Mitte der siebziger Jahre hat sich der Songwriter, der eigentlich anfangs nur Schriftsteller werden wollte, auf seinen Platten meistens nur auf der Gitarre begleitet. Seine Arrangeure haben dazu dann nur noch einige kongeniale musikalische Farbtupfer beigesteuert. 1977 hat dann der geniale und größenwahnsinnige „Wall of Sound“-Erfinder Phil Spector Cohens Songs für „Death Of A Ladies’ Man“ bombas­tisch aufgeblasen und dafür viel Tadel erhalten. Manche allerdings halten die Platte auch für Cohens musikalisches „Meis­terwerk“. Spector hat Cohens Pathos in den Soundkosmos der Schlagerfabrik im New Yorker Brill Building integriert. Und damit Cohen auf die Pop-„Spitze“ getrieben.

Danach hat Cohen weiterhin großartige Songs geschrieben, aber manche der „billigen“ Arrangements aus der Spätphase waren gewöhnungsbedürftig. Eine Zeitlang hat sich der „ladies’ man“ danach in ein Zen-Kloster zurückgezogen. Am Ende seiner langen Lebensreise ist Leonard Cohen wieder zu seinen jüdischen Wurzeln zurückgekehrt. Wie David Bowie, hat er seinen Abschied auf seiner letzten Platte „You Want It Darker“ inszeniert. Er war bereit. „Hineni, hineni“ hauchte er dort auf hebräisch und setzte darauf ein „I am ready, my Lord!“. Die Platte ist wenige Tage vor seinem Tod am 7. November erschienen. Man spürte, dass hier plötzlich alle Koketterie, mit der Cohen ein Leben lang gespielt hatte, verschwunden war. Sein „Hier bin ich“ klang endgültig. Er wusste, wie man „Lebwohl“ sagen musste.

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