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Linkshändigkeit und Musik

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Ein Leserbrief zur Replik von Stefan Schäufl (nmz 3/09, S. 9)
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Es ist immer ein Risiko, sich in eine Diskussion einzuschalten, von der man nicht alles mitbekommen hat. Dennoch möchte ich es wagen, auf die Replik „Gefangen im Zirkelschluss?“ von Herrn Schäufl zu antworten. Als Musikerin und umgeschulte Linkshänderin meine ich, einiges zum Thema beitragen zu können.

Ich verweise zunächst auf das Buch „Der umgeschulte Linkshänder“ von Johanna Sattler, das ich mit großem innerem Gewinn gelesen habe. Die Autorin ist zurzeit die Einzige, die zu diesem Thema seriös geforscht hat. Sie nennt die Umschulung das „größte unbekannte Experiment am menschlichen Gehirn“ und ihre Forschungen ergaben, dass etwa 30 Prozent der dem Menschen zur Verfügung stehenden Energie zur Kompensation der Umschulung eingesetzt werden müssen. Auf die Literatur aufmerksam wurde ich durch den Besuch des 1. Deutschen Symposiums zum Thema „Linkshändigkeit und Musik“, das im September 2005 von der Landesmusikakademie Hamburg veranstaltet wurde. Neben anderen Gastvorträgen berichteten auch der Pianist Geza Loso und Walter Mengler, Cellist im Symphonieorchester Aachen, von ihrem Studium und – so muss man es wohl sagen – von ihrem musikalischen Leidensweg, bis sie sich selbst und ihrer linken Hand vertrauen konnten und sich auf das linkshändige Spiel zurückschulten.

Dabei muss man sagen, dass nach Johanna Sattler eine Rückschulung nach jahrelanger anderer Prägung ebenfalls nicht ohne Risiko ist. Beide Redner erklärten übereinstimmend, dass die Führungshand diejenige ist, die für die Gestaltung der Melodieverläufe zuständig ist. Dies sei beim Streicher die Bogenhand und beim Klavier die Hand, mit der die Melodien gestaltet werden (oft die Töne in der rechten Hälfte der Tastatur). Sehr eindrücklich schilderte Herr Loso seine Probleme, wenn sein Lehrer ihn bat, im Bass nicht zu dominant zu spielen und das etwas zu unbewegliche Spiel der rechten Hand bemängelte. Er wusste genau, was sein Lehrer von ihm wollte, doch er konnte es muskulär nicht umsetzen. Jeder, der sich mit professioneller Musikausübung beschäftigt, weiß, dass es dabei letztendlich immer um feinste muskuläre Spannungsunterschiede geht, um Nuancen. Weiterhin berichtete Herr Loso, dass er zunächst auf einer Holzplatte eine seitenverkehrte Tastatur aufmalte und die Stücke „trocken“, sozusagen linksherum, übte. Später, im Jahr 2000, gelang es ihm, die renommierte Firma Blüthner aus Leipzig dazu zu bewegen, den weltweit ersten Flügel für Linkshänder zu bauen.

Klingt das „verrückt“? Auch war ich beeindruckt von der schlichten Aussage von Herrn Mengler, dass auch rein visuell-ästhetische Gründe eine Rolle spielen für den Widerstand gegen links spielende Streicher. Sie spielen ja im Orchester sozusagen gegen den Strich! Der Argumentation von Herrn Schäufl, dass beim Streichinstrument auch die „greifende“ linke Hand führen könne, kann ich persönlich nicht nachvollziehen. Man spricht bei der Entwicklung der Händigkeit von Führungs- und Haltehand oder tatsächlich auch von der „dominanten“ Hand. Entwicklungsgeschichtlich gibt es hier die Notwendigkeit der Hierarchie, da dies die Geschicklichkeit insgesamt sehr erhöhte. Beim Streichinstrument wird aber nun die Melodielinie (Tempo, Agogik, Klangfarbe) tatsächlich mit der Bogenhand gestaltet.

Vielleicht ist der umgeschulte linkshändige Streicher mit einem besonders sauberen Ton gesegnet, das nützt ihm aber auch nicht viel, wenn er die „Seele“ im Ton nicht erwecken kann. Als rechtsschreibende Linkshänderin weiß ich, wie es ist, das Gefühl zu haben, auf der falschen Seite zu stehen. Als Sängerin bin ich zum Glück beim Thema Linkshändigkeit in der Musik nicht betroffen. Möge sich innerhalb der Instrumentalausbildung der Wind weiter drehen und zunächst die Wissenslücken über Umschulung und ihre Auswirkungen für den Linkshänder geschlossen werden.

Mechthild-Veronika Burckhardt, Kassel

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