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Peter Galliard (Alfred), Moritz Gogg (Georges, Miriam Clark (Mademoiselle Isabelle, Miriam Gordon-Stewart (Rosine) und Trine W. Lund (Antoinette) in Oscar Strasnoys „Le Bal“. Foto: Klaus Lefebvre
Peter Galliard (Alfred), Moritz Gogg (Georges, Miriam Clark (Mademoiselle Isabelle, Miriam Gordon-Stewart (Rosine) und Trine W. Lund (Antoinette) in Oscar Strasnoys „Le Bal“. Foto: Klaus Lefebvre
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Mit Schlagwerk, Kuhglocken und Singender Säge

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Uraufführung an der Hamburgischen Staatsoper: Oscar Strasnoys „Le Bal“
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Lichtkästen im Foyer der Staatsoper Hamburg verweisen stolz auf herausragende Uraufführungen dieses Opernhauses: Korngolds „Die tote Stadt“ (1920), Henzes „Prinz von Homburg“ (1960), Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ (1997) sowie die Ballette „Peer Gynt“ von Schnittke (1989) und „Odyssee“ von Couroupos (1995). Die angekündigte Werkeinführung zur jüngsten Uraufführung, „Le Bal“ von Oscar Strasnoy, fiel allerdings „wegen Verhinderung der Referentin“ kurzfristig aus, und offenbar war kein Dramaturg, Studienleiter, Korrepetitor oder die Dirigentin selbst in der Lage, als Einführungsreferent einzuspringen – kein leuchtendes Beispiel für ein Kulturinstitut …

Umso erfreulicher die Novität selbst, denn der 2008 vergebene Kompositionsauftrag an den 1970 in Buenos Aires geborenen Oscar Strasnoy förderte eine veritable komische Oper. Basierend auf dem gleichnamigen Roman der in Auschwitz ermordeten Irène Némirovsky, spielt die Handlung im jüdisch-großbürgerlichen Milieu nach dem ersten Weltkrieg. Um in der Crème der Pariser Gesellschaft zu glänzen, plant das neureiche Ehepaar Kampf einen Ball, zu dem ihre Tochter Antoinette 200 Einladungen zu schreiben hat, aber selbst ausgeschlossen werden soll. Die Tochter wirft 199 der Einladungen in die Seine, und das Fest platzt mangels Gästen.

Kurzweilig und durchaus witzig hat Strasnoy diese dünne Handlung in einer klangreich strukturierten Partitur mit Nähmaschine und schleichenden Glissandi, gackerndem Schlagwerk, Kuhglocken, Flexaton und Singender Säge im Parlandostil umgesetzt. Auf die Zeit der gespielten Handlung verweisen die Modeinstrumente der Zwanzigerjahre, und einige Klangreize gemahnen deutlich an Schreker. Ein Bühnenorchester mit Banjo, Akkordeon, Klarinette, Violine, Kontrabass spielt Charleston. Dem stehen Streicher-Cluster und rhythmisch vertrackte, hysterische Ausbrüche der Mutter gegenüber, die von Miriam Gordon-Stewart hinreißend verkörpert wird, in der Skurrilität noch überboten von der verrückten Klavierlehrerin (Miriam Clark) ihrer rivalisierenden Tochter (Trine W. Lund).

Im turbulenten Treiben des von Simone Young bestellten „temporeichen Ensemblestücks“ ist der kanadische Regisseur Matthew Jocelyn, der selbst das Libretto verfasst und seinen französischen Text durch eingeschobene englische Lieder verfremdet hat, ganz in seinem Element. Das ist witzig bis skurril überbordend inszeniert, so dass es wiederholt lautes Gelächter und Szenenapplaus evoziert.

Weniger gelungen sind Jocelyn die Randakte. Arnold Schönbergs Monodram „Die Erwartung“ ist das expressionistische Psychogramm einer Frau, die auf der Suche nach ihrem Liebhaber durch einen beängstigenden nächtlichen Wald irrt, wo sie den Geliebten erschlagen auffindet. Bleibt in Marie Pappenheims Libretto die eigentliche Handlung ebenso in der Schwebe – wie in Schönbergs Partitur, mit traditionsbewusster Figuration, die Tonalität – so herrscht in Hamburg Eindeutigkeit: Die Frau (hochdramatisch besetzt mit Deborah Polaski) ist selbst die Mörderin, der in der Plexiglaszelle der Gerichtsmedizin Fingernägel geschnitten und die Beinhaare rasiert werden, während sie ihre tödlich endende Beziehung retardierend durchlebt.

Als Schlussakt erfolgt die zweite Produktion von Wolfgang Rihms „Gehege“, im Gegensatz zur Münchner Uraufführung ohne die nachfolgende „Salome“, aber im unüberhörbaren Bemühen, Strauss’ Schlussgesang der Herodestochter mit seiner Veroperung des Schlussmonologs aus dem Finale von Botho Strauß’ „Schlusschor“ zu toppen. Die Frau, die nächtlich in einen Zoo eindringt, um sich dem (Reichs-)Adler zur Kopulation aufzudrängen, und die dem Riesenvogel schließlich eine Kralle abschneidet, nimmt in der Schauspielvorlage Bezug auf die deutsche Wiedervereinigung. In der Hamburger Version der Oper gewinnt die unmögliche Beziehung zwar durch Überraschungs-Blackouts an Intensität, aber vom Adler ist nur ein Gerippe übrig, in dem sich ein Penner eingenistet hat, der bunte Kleider hortet und im Fernseher repetierend Filme der Maueröffnung betrachtet. Das verunklart, trotz der brillant singenden und agierenden Sopranistin Hellen Kwon.
Durch überlange Pausen, die der Aufführungsdauer der Einakter selbst kaum nachstehen, obgleich der Bühnenraum auf einer gleichbleibenden Grundlösung basiert (Ausstattung: Alain Lagarde), verliert das ursprünglich als Durchsteher geplante Triptychon an Intensität.
Das überdurchschnittliche Solisten-ensemble, die Philharmoniker Hamburg und ihre hier musikalisch differenzierende Generalmusikdirektorin ernten einen vollen Erfolg. Für den anwesenden jungen Komponisten Strasnoy gab es auch (unberechtigte) Buhrufe.

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