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von Helmut Hein
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Am Anfang war Pop Bruch mit allem, was bisher war: „Break through to the other side“, hieß die Devise. Nicht nur die „Doors“ wollten die „Pforten der Wahrnehmung“ durch alle erreichbaren Räusche öffnen; Revolte war angesagt, Bildersturm. Die Suche galt dem anderen Zustand und dem heiligen Augenblick. Rimbaud regierte: „Man muss absolut modern sein.“ Rock-Musik war Protest – nicht nur gegen das „Establishment“, sondern gegen alle etablierten Formen; und der Künstler ein hochexpressiver Freuden- und Schmerzensmann, der vor allem eins sein musste: authentisch. Unter diesen Umständen war die eigene Stimme Pflicht – der „singer“ musste stets auch ein „songwriter“ sein – und die Cover-Version fast ein Verbrechen; jedenfalls eine Schande. Ende der 60er-Jahre schien vergessen, dass nicht nur King Elvis, sondern auch fast alle großen Beat-Bands als Interpreten zumindest begonnen hatten, als Nach-Sänger großer Vorbilder.

Aber selbst das reinste „Jetzt!“ wird irgendwann Geschichte: Aus dem Erlebnis und seiner Beschwörung werden Erinnerung und Erzählung. Der „big bang“ der Ursprungs-Initiation verwandelt sich in einen komplizierten Kosmos, wo alles, was schon passiert ist und noch passieren soll, seinen Platz hat. Pop wird reflexiv und raffiniert: der rhapsodische Daseins-Moment verliert sich zwar nicht, aber er entlässt einen labyrinthischen Lebenslauf.

Man könnte es auch so sagen: eine Kultur wird „reif“, ihre Protagonisten altern. Das kann man verdrängen, verzaubern – oder zum Thema machen. So wie Paul Simon auf seinem ersten Studio-Album nach zehn Jahren Pause samt semi-seriösem Abstecher zur nicht mehr ganz so heftig boomenden Musical-Kultur (sein „Capeman“ als eher problematisches Broadway-Eroberungsprogramm): „You`re the one“ (bei WEA) ist voller Melancholie, weil er erfahren hat, dass Zeitvergehen vor allem Scheitern-Können heißt; aber auch voller renitenter Vitalität, etwa in dem programmatischen Song „Old“, der den Jugendwahn der Pop-Kultur mit dem Hinweis kontert, dass alle wirklich wichtigen Dinge dauern und dass „sub specie aeternitate“ sich Altersfragen relativieren: „God is old/we`re not old“, konstatiert Paul Simon, der nächstes Jahr sechzig wird. Seine Durchlässigkeit für Welt-Musik ist geblieben; der Skandal hat nachgelassen. Paul Simon ist kein Ausbeuter, auch kein Seelenverkäufer, der mit exotistischen Oberflächenreizen lockt, sondern einer, der ständig neue Versionen schafft, des eigenen Lebens, der eigenen Songs, aber auch der fremden Daseinsformen und Musikgenres, die er sich permanent aneignet. Paul Simon – ein freundlicher Proteus des Pop.

Und einer, der es auch gerne sieht, wenn seine eigenen Songs nachgesungen werden. Vor allem, wenn das eine Frau tut, die so souverän ist, die scheinbar ewigen und fatalen Pop-Mythen der Schöpfung, des Neuen und des „Selbstausdrucks“ einfach zu missachten und konsequent ausschließlich „sekundär“ zu sein, ein durch Intelligenz und Einfühlung bezauberndes „Cover-Girl“ unter all den fragwürdigen Originalgenies. Holly Cole macht die Interpretationen bekannter Songs zur hohen Kunst: zu einem Genre, das sich zu den „Originalen“ nicht kannibalisch oder parasitär verhält, sondern all das an ihnen, was noch unabgegolten ist, zum Leben erweckt. Bei guten Interpretationen lernt man, mehr als sonst, das genaue Hören; die Cover-Version ist Schatten und Double, sie verleiht einem Song Tiefe, sie fasziniert und irritiert auch. Holly Cole kommt vom Jazz; sie scheut vor scheinbar Unmöglichem nicht zurück; ihr Repertoire verdankt sich aber nicht der Lust an stimmtechnischer Virtuosität. Auf ihrem neuen Album „Romantically Helpless“ (Tradition & Moderne/Indigo) finden sich nicht nur Neu-Inszenierungen von Paul Simon („One Trick Pony“) und Randy Newmans „Ghosts“, das in ihrer äußerst reduzierten Version, nur Stimme und Akustikgitarre, fast noch abgründiger wirkt, sondern auch „Dedicated to the One I Love“, das man, heller und harmloser, schon von den „Mamas & Papas“ kennt.

Version heißt immer auch Rückbezug. Bei PJ Harveys (ohne Übertreibung!) Album des Jahres „Stories from the City, Stories from the Sea“ (Mercury/Universal) bedeutet das: Bruch mit dem eigenen, ins Extrem und dadurch in Hermetik und Isolation getriebenen Düster-Avantgardismus. Aber nicht als reiner Bruch, als „Bekehrung“, sondern so, dass die subversiven Schönheiten erhalten bleiben, sich freilich an beinahe schon mainstreamige Songformen binden und fast wie Echos aus der wüst-produktiven Bohème der 70er-Jahre klingen; gewissermaßen PJ Harvey als späte Schwester Patti Smiths, die aber von vielem, was seiher passiert ist, profitiert und deshalb weiter weiß. Ein must!

A propos Familienverhältnisse: Dass der Brit-Pop der 90er von dem der 60er in vielerlei Hinsicht „lebt“, ohne deshalb epigonal zu sein, weiß man mittlerweile. Die Webb-Brothers verarbeiten in einem aufregenden de-facto-Debüt – das erste Album erschien unter Ausschluss der Öffentlichkeit – die Karriere ihres Vaters Jim Webb („Wichita Line Man“), schließen aber auch fast schon irritierend bruchlos an ein Songwriting an, das irgendwann bei den Beach Boys, aber auch bei den Hollies begann und dann, selbst wenn die Akteure, was nicht immer der Fall war, weiterlebten und -arbeiteten, versandete. „Maroon“ (bei WEA) ist bestes Sixties-Songwriting, wie es in den Seventies plötzlich nicht mehr möglich war, und jetzt plötzlich wieder da ist.

Dass eine Version beides sein kann: Destruktion und Rettung, Liebe und Hass, das zeigen die durch den Titel-Song zur Mafia-Serie „The Sopranos“ zu ein wenig Bekanntheit gekommenen „Alabama 3“, die sich auf ihrem neuen Album „La peste“ (Virgin), heftig maskiert, halb Zorro, halb Zombie in die Untiefen der Pop-Geschichte wagen und auch einen der beliebtesten und umstrittensten „Evergreens“, nämlich „Hotel California“ durch heftig-perkussives Hämmern, je nach Geschmack, entweder fleddern oder aber härten und revitalisieren.

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