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Neue Musik braucht Vermittlung

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Symposium „Wege zur Neuen Musik“ beim 3. Stuttgarter Musikfest für Kinder und Jugendliche
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Die Musikhochschule Stuttgart hatte im Rahmen des in Breite und Vielfalt beeindruckenden „3. Stuttgarter Musikfest für Kinder und Jugendliche“ erneut zu einem mehrtägigen Symposion eingeladen. Von den Symposien 2000 und 2002 waren wichtige Impulse für die Kinderkonzertpraxis in Deutschland ausgegangen. Nun das Thema: „Wege zur Neuen Musik. Perspektiven der Musikvermittlung“.

Ein Blick in das Programm und die Eröffnungsrede durch den Rektor Werner Heinrichs zeigten unübersehbar, dass der Begriff „Musikvermittlung“ nun auch in Stuttgart inflationär und beliebig verwendet wird. Er steht nicht mehr vor allem für Vermittlung in Konzerten, sondern für alle Formen der Vermittlung in Schule, Musikschule und Hochschule, in Medien und Konzert; er wird überdies unausgesprochen mit dem höchst fragwürdigen Anspruch verknüpft, vorwärtsweisende und effektive neue Möglichkeiten zu eröffnen. Wenn es dann wie in Stuttgart bei Vorträgen und Berichten konkret wird, erweist sich, wie schwierig es ist, die Breite zu Perspektiven zu bündeln und Ansprüche einzulösen. Vorzüglich spielte Ryo Fukuhara zu Beginn „Interieur I“ von Helmut Lachenmann, eine längere Komposition für Schlagzeug solo. Doch gab es trotz des Tagungsthemas weder vorher noch nachher eine Einführung oder eine Diskussion über die Musik. Ist Musik so gut, dass sie keine Vermittlung braucht? Das Gegenteil forderte Klaus Zehelein in dem sich anschließenden außerordentlich überzeugenden Gespräch mit Werner Heinrichs: „Neue Musik braucht immer Vermittlungsarbeit!“. Viele der Aussagen von Zehelein könnten Leitlinien für die Vermittlung Neuer Musik sein: „Kunst ist da, damit man etwas über sich erfährt.“ „Mache nur etwas, was dir Spaß macht“. „In der Vermittlung geht es um die ganze Musik.“ Er erinnerte mit Recht an die Arbeiten von Gertrud Meyer-Denkmann. Der Verlauf der Tagung zeigte, dass und wie aus Arbeit Meyer-Denkmanns an „neuer musik im unterricht“(1972) noch immer Anregungen für morgen zu gewinnen sind. Anschließend wurde am 1. Tag von Projekten berichtet. Catherine Milliken schilderte kompetent die Aktivitäten des Ensemble modern über die Konzerte hinaus: die Weiterbildung junger Musiker in einer eigenen Akademie, über offene Programme für Komponisten, über Response-Projekte. Sehr lebendig, anschaulich konnte Anke Eberwein in einzelnen Vorhaben wie „stadt-klang-fluss“ oder „stadtklänge“ vorwärtsweisende Möglichkeiten der Vermittlung Neuer Musik darstellen und Einblicke geben in die Aktivitäten des „Büro für Konzertpädagogik“. Schließlich beschrieb Marion Demuth Musiktheaterprojekte aus Hellerau/Dresden. Für wen aber sollten die Projektbeschreibungen gut sein? Für Studierende? Für Experten, die vieles kannten? Für Musiklehrer/-innen? Die unzureichende Ausrichtung auf eine bestimmte Adressatengruppe hätte gut aufgelöst werden können, wenn nicht allein „fertige Produkte“ vorgestellt worden wären, sondern die Zuhörer „in Prozesse verwickelt“ worden wären, wie es Zehelein eingangs gefordert hatte. In dem dicht gefügten Programm gab es aber keinen Raum für solche Diskussionen und Prozesse. Denn es ging sofort weiter ins Konzert „Ist ein Klang in’n Brunnen g’fallen. Schülerinnen machen Musik“.

90 begeisterte Schüler/-innen aus den Klassen fünf und sechs drängten sich in dem lang gestreckten Raum, dazu Eltern, die Teilnehmer/-innen am Symposion. Eine erwartungsvolle Stimmung. Im Konzert wurde spürbar, wie wichtig es ist, Neue Musik selbst zu musizieren, Neue Musik selbst zu erfinden ( und „dabei etwas über sich selbst zu erfahren“) und ihr Sinn zu geben. Und es wurde erkennbar, wie unterschiedlich dies geschehen kann. Im ersten Teil variierten Schüler/-innen das Lied „Ist ein Mann in´n Brunnen g’fallen“ auf Monochorden, Glockenspielen und Blasinstrumenten; die Melodie wurde permutiert in einem selbst entwickelten Verfahren, ein wenig vergleichbar mit den Rationalen Melodien von Tom Johnson. Im zweiten Teil führte eine fünfte Klasse mit Gläsern, wassergefüllten Dosen, Stimme und Tüten eine eigene „Wassermusik“ vor. Klangphase an Klangphase reihte sich aneinander. Das, was bei den Schüler/-innen zu Recht Entdeckerfreude und Begeisterung weckte, war für den in der Neuen Musik erfahrenen Lehrer zurückführbar auf Modelle der 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Hierin spiegelt sich ein Dilemma der Rezeption Neuer Musik: Sie hat bis heute keinen selbstverständlichen und festen Platz in der Ausbildung, im Unterricht in Musikschule und Schule gewonnen – trotz der Bemühungen seit fast vierzig Jahren. Sie lebt mancherorts nur als Workshop. Der Rückblick als Perspektive?

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