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Noch keine Revolution in Sicht

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6. Weimarer Frühjahrstage für zeitgenössische Musik, 30. März bis 3. April
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Die Farbe Orange ist in den letzten Monaten zum Symbol der Hoffnung auf radikale Änderungen und frischen gesellschaftlichen Wind geworden. Seit ein paar Jahren begrüßen die Organisatoren der Weimarer Frühjahrstage das Publikum mit dieser optimistischen Farbe. Obwohl bei dieser sechsten Ausgabe in Weimar die ästhetische Revolution ausblieb und die meisten Komponisten sich leider noch nicht vom akademischen Korsett befreien konnten, lohnte der Besuch in der „klassischen“ Stadt.

Johannes K. Hildebrandt, Chef des noch nicht ganz zur ersten Liga zählenden Festivals, setzt sich dafür ein, Musik aus verschiedenen ästhetischen Schubladen zu präsentieren. 13 Konzerte innerhalb von fünf Tagen vermittelten einen guten Eindruck von dieser Ausrichtung. Neben zahlreichen Kammerkonzerten waren auch Improvisationen (Julean Simon und sein Midi Wind Controller), Vokalstücke (das Ars nova Ensemble mit klassischem A-capella-Repertoire des 20. Jahrhunderts), Orchesterwerke (Schlusskonzert der Sinfonietta Dresden) und elektroakustische, im Studio der Musikhochschule Weimar entstandene Werke zu hören. Zu letzteren stellte außerdem das Duo Arnd Müller und Janet Rühl eigene getanzte Visionen vor.

Touch oder don’t touch

Eine der interessantesten Aufführungen und gleichzeitig eine Verbeugung vor dem breiteren Publikum war das effektvolle Konzert des Kammerensembles Neue Musik Berlin mit den Theremin-Spielerinnen Barbara Buchholz und Lydia Kavina in der Hauptrolle. Dieses russische Instrument hat wahrscheinlich das größte theatralische Potenzial, über das ein Musikwerkzeug überhaupt verfügen kann. Die malerischen Gesten, schauspielernden Figuren und körperlichen Tänze der Musikerinnen begleiten den Klang, der irgendwo zwischen weinerlicher Geige, rührender Säge und vibrierender Stimme liegt. Auch die zeitgenössischen Komponisten entdecken in diesem Instrument wunderbare Möglichkeiten. Sie gehen in ihren Erforschungen in zwei Richtungen: Sie suchen neue Klangfarben, indem sie das Theremin in ihre eigene komplizierte Musiksprache integrieren, oder spielen mit Klangeffekten und jonglieren spontan mit klanglichen Erinnerungen.

Caspar Johannes Walter, der stark in seinem Glissando- und Mikrotonalitäts-Idiom verwurzelt ist, hat in „Vakuum-Halluzinationen“ für zwei Theremins und Streicher diese beiden Richtungen verbunden. Dünne und schlitternde melodische Linien formen nicht nur raffinierte musikalische Strukturen, auch Kadenz-Fetzen und Quasi-Zitate von Vergangenem klingen an. Eine ähnliche Methode, jedoch konsequenter, benutzt Michael Hirsch, dessen „Rezitativ und Aria“ eine Mischung aus kurzen Motiven und den Fragmenten jener Phrasen darstellt, die am Ende des Werkes ein großes Bild formen, wie ein Puzzlespiel mit tausenden von Teilen. Andere Wege schlugen Johannes K. Hildebrandt in dem kohärenten, witzigen „Bruchstück III“ und Moritz Eggert ein. Sein illustratives Stück, das von Pedda Borowski mit interessanten grafischen Variationen begleitet wurde, trägt einen Titel, der alles sagt: „The Son of the Daughter Of Dracula Versus The Incredible Frankenstein Monster (From Outer Space)“.

Musik für Trios

Namen wie Carin Levine, Pascal Gallois und Peter Veale brauchen keine Empfehlung. Diese großartigen Interpreten Neuer Musik können aus nahezu jedem Stück ein Meisterwerk machen. Nahezu jedem, denn man benötigt dazu auch ein Minimum an gutem Willen des Komponisten. Man könnte vermuten, dass Sven-Ingo Koch ein Problem mit zu vielen musikalischen Ideen hat. Seine „Jenseitswanderer“ für Fagott solo und „er schaut die schlange an“ für Flöte, Oboe und Fagott sind Beispiele für eine Musik, die einen breiten, aber leider ungeordneten Effektkatalog darstellt. Im Gegensatz zu den jungen deutschen Komponisten steht der Ungar Peter Köszeghy, der ähnliche Mittel benutzt, aber ein logisches, dynamisches und dichtes Werk komponierte: „Magma (Äther)“ für Flöte, Oboe und Fagott. Eine andere Ästhetik verfolgt der Franzose Joel-Francois Durand. Priorität in seinem „In the mirror land“ für Flöte und Oboe hat die Melodie. Die kompositorische Reife spiegelt sich in der polyphonen Komplizierung, den aufgebrochenen rhythmischen Strukturen und der lyrischen Atmosphäre.

Das Mondrian Trio aus der Schweiz fühlt sich nicht nur bei Uraufführungen zeitgenössischer Musik wohl, sondern auch bei wenig bekannten Werken aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Dieses junge, mit einem glänzenden und tiefen Klang ausgestattete Ensemble verbindet große musikalische Sensibilität mit interpretatorischer Bravour. Bisweilen fehlte den Musikern allerdings die letzte Präzision, um das Ganze in eine Form zu fassen. Bei Nikolai Roslawez’ zweitem Klaviertrio, in dem die modernistische Tradition aus Wien auf Expressionismus, Anleihen an den Neoklassizismus und Elemente der Zwölftontechnik trifft, schienen die Details wichtiger als das Gesamtbild. Eine ähnliche Situation ergab sich bei den vielfarbigen und mehrdimensionalen „8 Variationen über ein griechisches Volkslied“ von Nikos Skalkottas. Michael Roths spannende „Verinnerung“, mit ihren subtilen Geräuschen und intimen Flageoletts dagegen waren beim Mondrian Trio ebenso gut aufgehoben wie die virtuose und wirbelnde „Scène“ von Bettina Skrzypczak.

Meisterwerk aus Tschechien

Schließlich das Finalkonzert mit der Sinfonietta Dresden unter der Leitung von Ekkehard Klemm: Lothar Voigtländer gönnte den Zuhörern in seiner „Orchestermusik III“, einer Collage musikalischer Blöcke, keine Atempause, was in der hochgesteigerten Expressivität einer Gefühlsmanipulation gleichkam. Peter Helmut Lang hingegen imitiert in „The scream of the sea“ die Musiksprache von Igor Strawinsky unkritisch, bis zur Aufgabe eigener Identität. Die Sonate für elf Streicher „Das Schweißtuch der Veronika“ des Tschechen Marek Kopelent hob sich da deutlich ab. Die Musik, sorgfältig und kompromisslos komponiert, ist eine raffinierte Studie in der Verbindung modaler Akkorde. Wie ein ornamentaler Fächer füllt sie den Raum mit Klängen von bewundernswerter Schönheit.

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