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Öffentliche Hand muß die Richtung angeben

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Freie Kulturwirtschaft und Kulturpolitik in deutschen Großstädten
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Andreas Wiesand und neuerdings sogar der Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft werden nicht müde, den Eindruck zu erwecken, heute werde die Kultur vor allem von der freien Kulturwirtschaft und weniger von der Kulturpolitik bewegt. 80 Prozent unserer Kulturbetriebe arbeiteten kommerziell und marktorientiert. Nach der amtlichen Umsatzstatistik sind sie bereits 1990, allein in den alten Bundesländern, mit 500 Milliarden Mark beteiligt gewesen. Obwohl dazu auch Kitsch und Schund (die 90 Prozent der deutschen Spielfilmproduktion, welche nie in die Kinos gelangen) und die Flut der Waren gehören, die der „Verhübschung“ unseres Alltags dienen sollen, nehmen sich die paar schlappen Milliarden, die die öffentlichen Hände für Kultur noch ausgeben, tatsächlich bescheiden aus. Vor allem viele Kommunen machen eine schlechte Figur.Die Kulturstadt Frankfurt wirkt heute wie jener Frosch, der ein Ochse werden wollte. Köln fuhrwerkt seit Peter Nestlers Ausscheiden mit personellen Notlösungen herum. Bochum, Mühlheim an der Ruhr und Freiburg wählten ihre tüchtigen Kulturdezernentinnen und Kulturbürgermeister nicht mehr. Berlin lebt schon wieder vom Bund und damit auf unser aller Kosten; es fordert eine „Hauptstadtkultur“, für die es bis heute kein Konzept vorgelegt hat, und die auch keiner braucht. Denn die deutschen Großstadtbewohner begannen schon in den siebziger Jahren, das doppelte Bewußtsein eines Stadtbürgers und Weltbürgers auszuformen, und bewogen ihre Städte, kulturpolitisch aus dem Nationalstaat nach Europa und in die Welt auszuwandern. Sie werden von dort nicht zurückkehren, weil sie vom Dialog fast aller Kulturen geprägt sind, der unter den weiten Mänteln ihrer jeweiligen Stadtkultur jahrzehntelang geführt worden ist. Vielmehr werden sie die Zentren sein, von denen aus der Nationalstaat europäisiert und damit letztendlich abgeschafft werden wird. Schließlich soll man in München neuerdings die Meinung vertreten, die Forderung „Kultur für alle“ sei zwar richtig gewesen, man habe dabei aber die Kosten nicht bedacht. Wohlgemerkt, dies soll in einer rot-grün regierten Stadt gesagt worden sein, welche die geringste Arbeitslosigkeit aller deutschen Großstädte auszuhalten hat, und in der die Bayerische Staatsregierung mit Unterstützung aller Parteien des Landtags soeben erst vorführte, wie es überall sein sollte: Bayern stellte einer Landesstiftung aus Privatisierungsgewinnen 300 Millionen Mark für zusätzliche Kulturförderung zur Verfügung und verbesserte damit erneut seine kulturpolitische Handlungsfähigkeit. In das Hohe Lied von der freien Kulturwirtschaft, die an die Stelle der Kulturpolitik getreten sein soll, und in das gar garstige Lied von der neuen verdammten Bedürfnislosigkeit derer, die Kulturpolitik machen müßten, es aber lieber lau mögen, kräht nun auch noch der Fünf-Prozent-Winzling „Sponsoring“ lautstark hinein. Vorbei sind die schönen Tage von München, als PKW-Produzent Audi Sergiu Celibidache und die Münchner Philharmoniker wenigstens mit einem Fünfunddreißigstel der Gesamtkosten auf ihrem Weg zum Weltruhm begleiteten, BMW Hans-Werner Henze und seine Internationale Münchner Musiktheater-Biennale immerhin mit einem Sechzehntel des Budgets unterstützten – und es für die beiden Unternehmen eine Sache der Ehre war, sich inhaltlich nicht einzumischen. Die Stadt München hatte dabei aber dennoch das gute Gefühl, den beiden Partnern gegenüber solide Gegenleistungen zu erbringen, zumal damals der eine in den USA große Imageschwierigkeiten hatte, und der andere in Japan nur schwer Fuß fassen konnte. Die Hoffnung, solche beglückenden gemeinsamen Erfahrungen könnten die freie Wirtschaft dazu bewegen, der Stadtkultur mehr Geld zukommen zu lassen, wenn es ihr wieder gut, aber der Stadt schlecht gehe, erfüllte sich nicht. Die richtige Rollenverteilung, bei der die Kulturpolitik die Richtung angibt, den gesellschaftlichen Rahmen setzt, dafür sorgt, daß nur die Künstler die Inhalte bestimmen, aber die Interessen der fördernden Wirtschaft dennoch großzügig berücksichtigt werden, kam vielerorts abhanden. Obwohl vor allem die Städte das Heer der Modernisierungsverlierer auffangen mußten, das die freie Wirtschaft offenbar „freizusetzen“ gezwungen war, und obwohl die führenden deutschen Unternehmen gleichzeitig traumhafte Gewinne erzielten, erhielten die öffentlichen Hände immer weniger Sponsorengelder. Zudem versuchen derzeit die neuen Fachleute für Sponsoring, von den Corporate Identities ihrer Unternehmen Sinnstiftungen abzuleiten, mit denen sie eigenständige Kulturprogramme und damit eine private Kulturpolitik begründen möchten. Manche laden sogar die öffentlichen Hände schon ein, ihre Programme und Projekte mitzufinanzieren, das heißt die neuen Sponsoren der alten Sponsoren zu werden. Was ist zu bedenken, zu tun? Die öffentlichen Hände müssen ihre Fähigkeit, für die gesamte Kulturentwicklung in der Gesellschaft die Richtung anzugeben und durchsetzen zu können, zurückerobern und damit ihre Würde wieder herstellen. Die Großstädte spielen dabei die Hauptrolle, nicht nur weil sie immer noch den Löwenanteil aller Kulturaktivitäten tragen, sondern weil sie schon längst globalisierte und europäisierte Lebensverhältnisse bewältigen müssen. Auch in Zeiten bitterster Finanznot können die Großstädte ihre führende Rolle in der Kulturpolitik wieder erlangen, wenn sie klare Ziel- und Handlungskonzepte haben und ihre Gesamthaushalte nur um wenige Prozentpunkte zugunsten der Kulturhaushalte umschichten. Wer dies immer noch nicht glauben kann und sich nicht mehr daran erinnert, daß dies zahlreiche Großstädte in West- und Norddeutschland Ende der siebziger Jahre unter ebenso großen Schwierigkeiten bereits taten, möge die Kulturentwicklungen der Städte Osnabrück und München ab Mitte der siebziger Jahre studieren. Die Dokumentationen liegen vor. Aktuell müssen die zahllosen sogenannten hundertprozentigen Töchter der Städte, also die Kultur-GmbHs, Stiftungen et cetera in „Optimierte Regiebetriebe“ (KGSt) umgewandelt und den dafür gewählten, also allein zuständigen professionalisierten Kulturchefs unterstellt werden. Die Zeiten, in denen politischen Generalisten und ehrenamtlichen Stadträten die eine oder andere kulturelle Spielwiese zur Selbstdarstellung überlassen werden konnte, sind endgültig vorbei. Die Kulturchefs müssen unverzüglich die Freiheit haben, mit den solchermaßen vervollständigten Kulturbudgets für Ausgaben, Einnahmen und Personal so schalten und walten zu können, wie es das neue Steuerungsmodell der Verwaltungsreform schon längst vorschreibt. Damit könnten die Kulturinstitute ihre vielen Möglichkeiten für höhere Eigenfinanzierungen ausschöpfen, also private Geldquellen erschließen und geldwerte Dienst- und Sachleistungen einwerben. Das Zweitwichtigste ist es, mit der freien Kulturwirtschaft „Public Private Partnerships“ zu vereinbaren. Diese sind, im Gegensatz zum hektischen Auf und Ab des Sponsoring, institutionalisierte Kooperationen, die auf Dauer angelegt sind. Sie zwingen die öffentlichen Hände und die freie Wirtschaft, so miteinander umzugehen, daß Konflikte möglichst vermieden und gemeinsame Erfolge gezeitigt werden können. Das bisher größte und riskanteste Projekt dieser Art ist die Stiftung „Literatur- und Medienhaus München“. Auch dieses zeigt nach fünfjähriger Planung und eineinhalbjährigem Betrieb, daß die Stadt große Vorleistungen erbringen mußte. Sie übernahm sowohl den Löwenanteil der Investitionen als auch den weitaus größten Anteil der laufenden Kosten, um die Münchner Verlage und Buchhandlungen zu dem fast unglaublichen Engagement von nahezu acht Millionen Mark bewegen zu können. Ohne die kommunale „Primärenergie“ wird also auch hier keine private „Sekundärenergie“ erschlossen werden können. Und noch eine Münchner Erfahrung sei dem hinzugefügt: Dies alles wurde möglich, obwohl die Stadt der Kulturwirtschaft kein einziges Mal mit dem Gestus der Unterwürfigkeit begegnete. Hier fanden zwei selbstbewußte und unabhängige Partner zur Bewältigung einer gemeinsamen Daueraufgabe zueinander. Demzufolge darf das Sponsoring für eine Stadt nur das drittwichtigste Gebot der Stunde sein. Dabei geht es zunächst um die Wiederherstellung der richtigen Rollenverteilung. Zwischen denen, die Autos bauen, Bücher verlegen, Stahl oder Suppen herstellen, und den öffentlichen Händen besteht keine „Verantwortungsgemeinschaft“ (so der Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft) für die Kulturfinanzierung. Dafür sind die öffentlichen Hände, vor allem die Kommunen, zuständig. Diesen allein obliegt es, für die Ressourcen der Kulturpolitik zu sorgen. Und wenn sie es allein nicht vermögen, müssen sie andere dazu bewegen, mitzuwirken. Dies kann zum Beispiel dadurch geschehen, daß Produkte aus dem städtischen Kulturbereich angeboten und so dargestellt werden, daß die freie Wirtschaft diese aus wohlverstandenem eigenen Interesse kaufen möchte. Diese Geschäftsbeziehungen unterscheiden sich aber in einem entscheidenden Punkt von allen sonstigen: Die Stadt sollte niemals mehr als zehn Prozent eines Projektes oder Programmes einem Sponsor überantworten. Wie das Allerlei der obengenannten eigenständigen Programme mancher neuen Sponsoringabteilung zeigt, muß die Stadt immer häufiger mit überraschendem Aussteigen und Umsteigen der Sponsoren rechnen. In einem solchen Fall darf ein Projekt und ein Programm nicht scheitern, sondern nur quantitativ eingeschränkt werden. Das ist auch für das Klima aller weiteren Geschäftsbeziehungen wichtig: Wenn ein Sponsor entschwindet, muß dies – wie der Fall BMW/ Münchner Musiktheater-Biennale zeigt – unauffällig geschehen, damit Schuldzuweisungen vermieden werden und „Gesichtswahrungsprobleme“ erst gar nicht entstehen können. Dies hat es BMW möglich gemacht, ein anderes wichtiges städtisches Projekt, den international bekannten Film über eine Münchener „North-Side-Story“, unmittelbar danach zu fördern. Dabei ist es erfahrungsgemäß wichtig, daß sich die Kulturchefs, also die politischen und fachlichen Spitzen der Städte, mit den Chefs für Öffentlichkeitsarbeit in den Unternehmen absprechen. Diese sind nämlich erfreulicherweise an Kulturprojekten nur insofern interessiert, als diese für das Image und für die Produktwerbung der Unternehmen nützlich sind. Von dem verständlichen Streben ihrer Kultursponsoring-Experten, an Stelle der öffentlichen Hände eine eigene, aber nicht legitimierbare Kulturpolitik zu betreiben, sind sie in der Regel noch frei. Aber auch die Angebote der Kulturfachleute in den Unternehmen, ihre Projekte von der öffentlichen Hand mit finanzieren zu lassen, sollten von den Städten nicht von vornherein abgelehnt werden; wenn ein solches Vorhaben überwiegend in das kommunale Kulturkonzept paßt, kann die Stadt die Kulturabteilung eines Unternehmens ebenso behandeln, wie die vielen gemeinnützigen Träger der Kulturarbeit auch. Für die Bürger ist es unwichtig, wer was bezahlt, wenn das, was sie nachfragen oder als wichtiges Angebot erachten, ihnen so begegnet, daß sie die Absicht, die sie verstimmen könnte, nicht spüren. Sponsoren werden deshalb – und trotz der obengenannten zehn Prozent – aber nicht zur quantitée négligeable. Seltsamerweise gewähren Stadträte die „restlichen“ 90 bis 95 Prozent für ein Projekt oft gerne, wenn der Kulturchef darauf hinweisen kann, daß ein wichtiges Unternehmen bereit ist, fünf bis zehn Prozent zu geben. Der Vollständigkeit halber sei noch hinzugefügt, daß die zahlreichen Nachlässe und Kunstwerke, welche zum Beispiel München überlassen und von der Stadt günstig gekauft wurden oder durch Mietnachlässe erworben werden konnten, weil der internationale Ruf der aufnehmenden Einrichtungen hergestellt worden war, an dieser Stelle nicht erwähnt wurden. Diese neuen „Geschäfte“ mit Künstlern, Schriftstellern und ihren Familien sind inzwischen jedoch mindestens ebenso bedeutsam geworden wie das klassische Sponsoring.

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