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Berlins Musikschullehrer demonstrieren. Foto: Gisela Sonnenburg.
Berlins Musikschullehrer demonstrieren. Foto: Gisela Sonnenburg.
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Protest nach Noten und Paragraphen

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Musikschullehrkräfte wehren sich mit ver.di gegen Einbußen
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Es ist der letzte Tag im August. Schon zum dritten Mal demonstriert ver.di für die Berliner Musikschulkräfte auf dem Gendarmenmarkt. Die Architektur hier ist kulturhaltig, ja weltberühmt: Konzerthaus, Deutscher Dom, Französischer Dom – und mittendrin stehen rund 400 musikalische Demonstranten mit Schildern und Transparenten. Die Touristen staunen. Dass es viel Musik gibt in Berlin, wussten sie. Dass man die Ausbilder des musikalischen Nachwuchses mit schlechten Verträgen auf die Straße zwingt, ist den meisten neu.

Eine Tribüne ist vor dem Konzerthaus aufgebaut. Die Band „Sax Attack“ spielt lockeren Jazz. Durch das Programm führt die energische Ulla Weber, Musikschullehrerin im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg. „Ohne Lobby! Musik nur Hobby?“, so fragt im Telegrammstil das knallgelbe Plakat hinter ihr. Ulla Weber kann dazu was erzählen: Sie war, nach zwei Staatsexamen, zuerst Musiklehrer­in an einer Grundschule und wechselte dann auf die Musikschule. „Das war in Bezug auf das Einkommen damals fast kein Unterschied“, so Weber. Man staunt, denn heute, knapp zwanzig Jahre später, wird nur noch die Hälfte eines Grundschullehrergehalts mit Unterricht an einer Musikschule verdient.

„Einen historisch gewachsenen Missstand“ kann man das nennen – um ihn endlich abzuschaffen. Entsprechend dem Demo-Aufruf: „Jetzt reicht`s!“ Denn eins hat sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt: Musikschullehrer, die in Berlin im Gegensatz zum übrigen Bundesgebiet überwiegend nur Honorarverträge haben, statt angestellt zu sein, bleiben dennoch bis zur Rente in diesem Job. Anerkannt wird diese Leis­tung vom Berliner Senat immer weniger: Anlass der jüngsten Proteste sind neuartige Verträge, die die Musikschullehrer seit diesem Sommer zu Hungerkünstlern machen.
Ab jetzt sollen sie keine Honorarpauschalen mehr erhalten, sondern jede Unterrichtsstunde einzeln abrechnen. Für Vorbereitungsarbeiten gibt es nur noch zwischen sieben und zehn Euro pro Stunde, fürs Unterrichten um die 20 Euro. Aber alles muss extra genehmigt werden. Viel Energie verpufft: Der unbezahlte Verwaltungsmehraufwand bringt niemandem was, verlangsamt aber. Auf Ausfallhonorare sollen die Musikschullehrer künftig sogar bis zu zwei Monate warten. Betroffene sagen, dass sie durch den Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen und anderen Unkosten auf Hartz-IV-Niveau leben werden.

Diese miserable Aussicht soll jetzt die Wende herbeiführen. Stefan Gretsch, Bundesvorsitzender der Fachgruppe Musik bei ver.di, ist überzeugt, dass die Musiker bei den Berliner Haushaltsberatungen im Oktober eine Chance haben, endlich Angestelltenverträge zu bekommen. Denn, so betonte er in seiner Rede: „Es gibt Erfolge! Es ist öffentlicher Druck entstanden, der wirksam ist. Und: Die Parteien bewegen sich, vor allem an der Basis!“ Die großen Berliner Fraktionen waren, mit Ausnahme der CDU, auch auf der Demo vertreten: Thomas Birk von den Grünen (siehe Interview), Renate Kittler von der Links-Partei und Gotthard Krupp von der SPD unterstützten die Forderungen nach Festanstellungen und Tarifverträgen für Musikschullehrer. Gretsch konnte frohlocken: „Der Senat steht alleine, isoliert von den eigenen Parteien und der öffentlichen Meinung.“ Applaus!

Freudiges Gejohle und Trillerpfeifenkonzerte galten auch Christian Höppner, Präsident des Deutschen Kulturrats: „Musikalische Bildung ist ein Grundrecht und kein Freizeitvergnügen!“ Und: „Es geht um die Wertzumessung musikalischer Bildung in dieser Stadt!“ Dem schloss sich Markolf Ehrig, Sprecher des Orchestervorstands des Konzerthauses, an. Der Spitzenmusiker zur Musikschullehrerschaft: „Wir wollen Solidarität bekunden, denn ihr seid unsere Nachwuchsschmiede.“ Da konnte auch ein Regenschauer die Stimmung nicht vermiesen. Im Gegenteil: Steffen Küchler – von der Landes­elternvertretung an den Berliner Musikschulen – erhielt von Stefan Gretsch Geleitschutz mit Regenschirm. Küchler hatte im Strafgesetzbuch verblüffende Beschreibungen von „Betrug“ (§ 263 StGB) und „Nötigung“ (§ 240 StGB) gefunden. Ob der Berliner Senat da nicht sogar in der Täterschaft steht?

Dessen Oberhaupt Klaus Wowereit und die derzeitige Bildungssenatorin, Sandra Scheeres, ließ Ulla Weber von den Demonstraten schließlich gewitzt besingen, sogar vierstimmig, auf die „Bruder-Jakob“-Melodie: „Meister Wowi, Meister Wowi, hörst du uns? Wir fordern auch nichts Schweres, sag das der Frau Scheeres, Tarife müssen her, das wär fair!“

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