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Rock‘n‘Popmuseum in Gronau: ein Zuhause für die Popkultur

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Ein Ortstermin mit Jürgen Stark im ersten Museum für
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Wer die Kulturgeschichte der Popularmusik des 20. Jahrhunderts in zeitgenössisch-multimedialem Ambiente erzählen will, der braucht ein effektives Netzwerk. Wer das auch noch ausgerechnet im kulturell zerstrittenen und nach Weltkrieg Zwei desorientierten und 50 Jahre geteilten Deutschland erledigen möchte, der braucht selbst geschichtlichen Atem, Geduld und den langen Weitblick bei der Ausdauer.

Keine Frage, man kann Devotionalien sammeln und das in Ausstellungsräumen aufgebahrte kurzfristig „Museum“ nennen, man kann es als Fan weit bringen, wie die zahllosen Automobil-, Schnaps- und Erotikmuseen derzeit landauf, landab künden. Wer dagegen die meist schrillen Ergebnisse aus Underground und Subkultur an der Schnittstelle zum heute allgegenwärtigen Pop einer Nachwelt erhalten und erklären will, der muß zum Handwerkszeug der Hochkultur greifen, sich seriös absichern um kommendem Streit ein wirklich relevantes Forum bieten zu können. In Gronau entsteht so gesehen derzeit ein äußerst ambitioniertes Projekt, welches per illustrem Kuratorium keine Auseinandersetzung scheut und den produktiven Streit sucht. Das rock‘n‘popmuseum will Informationslücken schließen, dabei gut unterhalten und der Szene endlich einen Think-tank mit offener und kreativer Haltung liefern – geschlossene Gesellschaften gibt es schließlich schon zur Genüge. Content? Für die Sängerin Dee Dee Bridgewater ist es selbstverständlich, dass „heute jeder Jazzmusiker, der was auf sich hält, zwei, drei Titel von Brecht und Weill im Repertoire hat.“ Aber weiß das auch der 14-jährige Schüler aus Bottrop? Auch Sting hat „Meckie Messer“ gesungen; Coco Schumann wurde unlängst endlich als „deutscher Django Reinhardt“ von der Kritik um Jahrzehnte zu spät entdeckt, und als die Comedian Harmonists vor Jahren den „Lifetime Award“ beim deutschen Schallplattenpreis Echo erhielten, da geschah es mit dem Hinweis, dass diese Popgruppe eigentlich die erste gecastete Boygroup der Welt gewesen war. All diese Namen finden im Rahmen einer chronologisch geordneten Dauerausstellung ihren Platz im neuen Haus der Popgeschichte – geordnet nach Epochen vom Ragtime über das Berlin der 20-er Jahre bis zu HipHop und Dancefloor am Ausklang des Jahrtausends. Vis-á-vis zur holländischen Grenze und zum Grenzbereich Twente/Enschede liegt Gronau. Dessen berühmtester Sohn Udo Lindenberg hatte gemeinsam 1997 mit seinem inzwischen verstorbenen Freund Hermann Eiling und Elmar Hoff, Leiter des Kulturamtes der Stadt, die Idee für ein Museum dieser Art – Lindenbergs „Atlantic Affairs“ bewegt sich interessanterweise auf ähnlichem Erinnerungskurs. Das ehemals florierende Textilgeschäft liegt am westfälischen Zipfel am Boden, zahlreiche Fabrikgebäude stehen leer. 2001 dirigierte Bürgermeister Karl-Heinz Holtwisch persönlich jenen Gronauer Kran, der die letzte Platte der Dachkonstruktion an den Platz der Bestimmung brachte, danach war Richtfest.

Udo Lindenberg dankte „dem Oberindiander“ für dessen Engagement, auch Konzertveranstalter Fritz Rau war voll des Lobes. Eine zentral gelegene ehemalige Turbinenhalle, um die herum ebenfalls ein neues Gelände für ganzjährige Landesgartenschauen entsteht, bildet das Zentrum. Diese umfasst eine Nutzfläche von 2.600 qm, wovon 2.200 qm für Wechsel- und Dauerausstellungen zur Verfügung stehen. Vieles von der historischen Bausubstanz konnte gerettet werden, für die Stadt ein Kraftakt, denn inzwischen wurden mehr als zehn Millionen Euro als Investitionsvolumen für das Projekt aufgebracht, an denen sich das Land NRW, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, der Kreis Borken und die Bundesanstalt für Arbeit beteiligen. Für Gronau bedeutet dieses – vor allem auch im Rahmen angestrebter binationaler Kooperationen mit den Holländern – eine gewaltige Investition in die Zukunft und einen riesigen kulturpolitischen Spatenstich. Die Einmaligkeit dieses Projektes wird seit geraumer Zeit nicht nur allen Beteiligten immer klarer, denn tatsächlich findet man weltweit nichts vergleichbares. Die Ausrichtung des Museums soll daher auch international sein, dargestellt wird populäre Musikkultur hier dreisprachig: deutsch, holländisch und englisch. Dieses ist dem Projektleiter und Geschäftsführer des Museums, Andreas Bomheuer, wichtiges Anliegen. Bomheuer sammelte Erfahrungen als Leiter der soziokulturellen Zentren in Nordrhein-Westfalen und war auch maßgeblich daran beteiligt die Zeche Carl in Essen nicht nur als Kulturdenkmal zu erhalten, sondern darin auch ein lebendiges Zentrum für Musik und Szene entstehen zu lassen. Seit seinem Amtsantritt wurde die Kommunikation mit den Holländern intensiviert, bietet sich hier im Grenzland doch auch die Chance zu europäischer Musikkultur zu finden und gemeinsam dem internationalen Phänomen Popmusik konkrete Projekte und Events folgen zu lassen. Das benachbarte Musikkonservatorium der Saxion Hogschool Enschede befindet sich bereits mitten im Aufbau einer Popakademie, daran beteiligt unter anderem der auch auf deutscher Seite bekannte Künstler Nippi Noya. Das Museum soll Brückenfunktion haben und ein Magnet für die Region werden. Einen wesentlichen Beitrag hierzu liefert die Karlsruher Agentur Unit-E unter der Leitung von Gilles Piot, der über viele Erfahrungen aus den Bereichen Museen und Ausstellungen verfügt. Der Experte für „Wissenschaft, Architektur und Graphik“ plant eine spektakuläre Konstruktion an den Aussenfassaden, so soll es hier Übertragungsflächen für Popkonzerte auf riesigen Bildschirmen und auch Licht-Kunst-Installationen geben, die von virtuellen Welten künden. Im Museum wird bereits der Eingangsbereich mehr Pop als Museum sein, ein Shop und ein Internet-Café sind geplant, bereits vor der Tür und im Eingangsbereich erwarten die Besucher erste Exponate.

Ebenfalls im Außenbereich befindet sich der „Walk of Fame“, wo Namen bekannter Künstler für ewig in Stein gehauen und ausgelegt werden. Eröffnet wurde dieser Weg der Namenssteine mit der Rocklegende Can. Den im letzten Jahr verstorbenen Gitarristen Michael Karoli und seine und die Leistungen der Band würdigten zahlreiche Laudatoren, darunter auch Prof. Dr. Müller-Heuser, Ex-Präsident des Deutschen Musikrates, der unter anderem auch vor zahlreichen Persönlichkeiten aus Kultur und Politik, eine „Überwindung der künstlichen Trennung von E- und U-Musik“ forderte und Can ein gutes Beispiel für dieses Ansinnen nannte. Im Museum gab es ebenfalls erste prominente Runden bei denen Exponate wie die Totenmaske Rio Reisers und eine US-Militärjäcke, die Elvis Presley in Deutschland während seiner Dienstzeit hier getragen hat, an das Museum übergeben wurden. Anwesend dabei auch Achim Reichel, der dem Museum seine erste E-Gitarre aus alten Rattles- und Star Club-Zeiten versprach.

Auch Wolfgang Niedecken stiftete bereits seine erste akustische Gitarre samt handgefertigtem Plattencover aus frühen BAP-Tagen und die Fantastischen Vier fuhren unlängst in Gronau mit ihrem alten knallroten Ford Admiral vor, dessen Kofferraum ausschließlich aus einer riesigen Bassbox besteht und laut Smudo deren „deutsche Antwort auf die amerikanischen Boom Cars“ war. Innen wird es zahlreiche Installationen geben, in sogenannten „Emotionsbereichen“, die sinnlich an Archetypen des Musikempfindes und kultureller Entstehungsprozesse erinnern und in Themengebiete via Selbsterfahrung einführen. Auf ebener Erde steht eine riesige Bühne, die einem Altar gleicht und das wesentlichste der Musik in den Mittelpunkt rückt: die Künstler. Hier soll es exklusive Konzerte, Workshops und Panel geben, jede Menge Show in Verbindung mit der Rock- und Pop-Historie. Im Untergeschoß dann neben archetypischen Emotionsflächen zu den Themen Rhythmus und Bewegung, Trance, Provokation, Kult und Gemeinschaft die Dauerausstellung, die als multimediale Patchwork-Fläche mit unterschiedlichsten Elementen die Geschichte der Popularmusik von den zwanziger Jahren bis heute erzählt. Das Kapitel DDR darin vollendet integriert, hieran arbeiten DDR-Kenner mit. Gemeinsam mit der Deutschen Phono-Akademie wurde bereits eine konkrete Zusammenarbeit im Rahmen ihrer Initiative „MachtMehrMusik“ und eine Vernetzung mit Schulen verabredet. Jüngster Coup des rnpm ist die Ansiedlung des ehemaligen Can-Studios. Nach der oben genannten Würdigung der Gruppe, die soeben beim Deutschen Schallplattenpreis einen „Echo für ihr Lebenswerk“ erhielt, wurde gemeinsam zwischen Can-Mitgliedern, ihrem Studio-Mastermind René Tinner und dem rnpm die Idee entwickelt, das im Auflösungsprozeß befindliche alte Can-Studio aus Köln-Weilerswist für die Nachwelt zu erhalten und in Gronau neu zu installieren. Eine passende Halle wurde schnell gefunden, das Studio, welches alte und neue Technik sinnvoll vereint, soll nun neben dem Museum Geschichte fortschreiben. Oder wie Irmin Schmidt meint: „Ich freue mich, dass dieses ungewöhnliche Studio, die Magie dieser Produktionsstätte, nun auch kommenden Künstlergenerationen zur Verfügung stehen wird und werde gerne mithelfen, dass es in Gronau zu einer kreativen Institution ersten Rangeswird.“ Und Andreas Bomheuer ergänzt: „Die Kulturgeschichte der Popularmusik bedeutet Erinnerung an mächtige und kraftvolle Epochen, der weitere Verlauf ist unberechenbar und spannend. Das Can-Studio ist diesbezüglich so relevant wie Goethes Arbeitszimmer – nur lebendiger.“

Ansprechpartner

Wissenschaftlicher Beirat

Jürgen Balitzki
ORB Radio 3,

Martin Büsser
Herausgeber testcard
E-Mail: mail [at] testcard.de (mail[at]testcard[dot]de)

Klaus Farin
Archiv der Jugendkulturen e.V.
archiv [at] jugendkulturen.de (archiv[at]jugendkulturen[dot]de)

Sven Ferchow
neue musikzeitung, musicoutlook
sven.ferchow [at] musicoutlook.de (sven[dot]ferchow[at]musicoutlook[dot]de)

Gerd Gebhardt Vorstandsvorsitzender Deutsche
Phonoakademie
verbaende [at] phono.de (verbaende[at]phono[dot]de)

Theo Geissler ConBrio Verlagsgesellschaft
geissler [at] nmz.de (geissler[at]nmz[dot]de)

Dieter Gorny Geschäftsführer VIVA Fernsehen
GmbH, Tel. 0221/5744 1000-13

Jörg A. Hoppe Film- und Fernsehproduzent MME
joerg.hoppe [at] mme.de (rjoerg[dot]hoppe[at]mme[dot]de)

Dr. Helmut Knirim
Leiter des Westfälischern Museumsamtes
wma. [at] lwl.org.de (wma[dot][at]lwl[dot]org[dot]de)

Jan Koemmet
Dozent für Popdesign kontakt [at] koemmet.com (
kontakt[at]koemmet[dot]com)

Wolfgang Kraesze
Radio eins, Potsdam office [at] radioeins.de (
office[at]radioeins[dot]de)

Dr. Walter Lindenbaum
Musikdidaktiker walter [at] lindenbaum.de (
walter[at]lindenbaum[dot]de)

Dr. Andrea Niehaus
Leiterin des Deutschen Museums Bonn
walter [at] lindenbaum.de (dmb_webmaster[at]stellar[dot]de)

Dr. Michael Rauhut
Autor/Dozent
Tel. 030 / 9271794

Oliver Schulten
Geschäftsführer Deutsche Phonoakademie
phono-akademie [at] phono.de (phono-akademie[at]phono[dot]de)

Hollow Skai
Publizist und Punkpromoter
hollow [at] skaichannel.de (hollow[at]skaichannel[dot]de)

Joachim Westholt Haus der Geschichte Bonn
Haus der Geschichte
westholt [at] hg.de (westholt[at]hg[dot]de)

Dr. Klaus Wolbert
Leiter des Instituts Mathildenhöhe der Stadt Darmstadt
Tel. 06151/133350

Rock npopmuseum

Andreas Bomheuer
Tel. 02562/814 80

Jürgen Stark
stark1000 [at] aol.com (stark1000[at]aol[dot]com)

Gilles Piot
uniteps [at] web.de (uniteps[at]web[dot]de)

Manuela Holfert
uniteps [at] web.de (uniteps[at]web[dot]de)

Luise Mirsch
luise.mirsch [at] web.de (luise[dot]mirsch[at]web[dot]de)

Dr. Walter Fischer
waltfisch [at] web.de (waltfisch[at]web[dot]de)

Dr. Thomas Mania
luise.mirsch [at] web.de (thomas[dot]mania[at]rock-popmuseum[dot]de)

Matthias Grenda
Tel. 040/4134460

Martina Hagemann
martina.hagemann [at] rock-popmuseum.de (martina[dot]hagemann[at]rock-popmuseum[dot]de)

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