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Im Rahmen der Münchener Biennale für neues Musiktheater wurde vor dem Nationaltheater die „Tonhalle“ errichtet. Bespielt wurde sie in Form einer „musik-theatralischen Selbstbehauptung“. Foto: Biennale/Smailovic
Im Rahmen der Münchener Biennale für neues Musiktheater wurde vor dem Nationaltheater die „Tonhalle“ errichtet. Bespielt wurde sie in Form einer „musik-theatralischen Selbstbehauptung“. Foto: Biennale/Smailovic
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Schafft Neues  !

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Juan Martin Koch über neue Neue Opern-Kultur
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Unser Titelbild zeigt die Szenerie. Wie eine Miniatur-Staatsoper stand sie da vor dem Münchner Nationaltheater auf dem Max-Joseph-Platz: die „Tonhalle“, die im Rahmen der Biennale für neues Musiktheater bespielt wurde (siehe Seite 10). Das sollte wohl auch eine Diskrepanz augenfällig machen – vom sympathisch-subversiven Musiktheaterlabor auf der einen und dem selbstgefällig-saturierten Opernbetrieb auf der anderen Seite. Die Argumente hierfür sind schnell zusammengetragen.

Das Missverhältnis zwischen den wenigen neueren Werken und einem nur hier und da durch Ausgrabungen angereicherten Repertoire der immer gleichen, alten Stücke ist und bleibt grotesk. Moritz Eggert hat dies kürzlich in einer statistischen Auswertung vorgeführt: „84% der Stücke, die in deutschsprachigen Opernhäusern eine Premiere erleben, sind älter als 50 Jahre“, lautet ein Fazit seines Beitrags im „Bad Blog of Musick“, und weiter: „Das Durchschnittsalter der 84% Opern, die älter als 50 Jahre sind, ist 161 Jahre.“

Man könnte nun lange über die Gründe für dieses Missverhältnis, über schlechte neue Opern und darüber philosophieren, inwiefern eine gelungene Regie-Lesart eines Klassikers diesen gleichsam neu entstehen lässt. Fakt ist: Wo es keinen Raum für neue Stücke gibt, verkommt der Opernbetrieb zu einem künstlerisch mal mehr, mal weniger hochwertig bespielten Museum. Gewiss, es gibt verdienstvolle Initiativen für ein Weiterdenken der Gattung wie den „Fonds experimentelles Musiktheater“ in NRW oder für deren Infragestellen wie die Biennale, doch die Realität zeigt deren, freundlich ausgedrückt, begrenzte Wirkung. Was tun?

Bevor man nun die Quoten-Keule schwingt und Mittelkürzungen androht, kann vielleicht ein Rückblick auf eine erfolgreiche Initiative der Kulturstiftung des Bundes helfen: Deren „Netzwerk Neue Musik“ hat einiges bewegt, vielerorts leben die Netzwerke nach Auslaufen der Förderung weiter, haben sich mit ihren Veranstaltungen und Vermittlungsprojekten einen festen Platz im Kulturleben der jeweiligen Region erarbeitet. Wie wäre es, wenn unter dem Wagner’schen Motto „Schafft Neues!“ein ähnliches Projekt für Theater aufgelegt würde? Diese könnten sich mit Spielplänen bewerben, die mindestens zur Hälfte aus Stücken bestehen, die nicht älter als 50 Jahre sind. Die Hälfte dieser Stücke wiederum müsste von lebenden Komponistinnen(!) und Komponisten stammen. Einige Jahre lang gäbe es dann in, sagen wir zwölf Bundesländern ein solches „neues“ Opernhaus, dessen Produktionen auch an kooperierenden Spielstätten gezeigt werden könnten. Nach der Förderphase, die mit Wettbewerben (Publikumspreise!), überregionalem Austausch und reflektierenden Plattformen zu flankieren wäre, hätten diese Häuser sich dann eine Expertise und Selbstverständlichkeit im Umgang mit möglicherweise anders funktionierenden, den Apparat auf andere Weise fordernden Werken erarbeitet, die weiterwirken könnte. Und wer sagt eigentlich, dass nicht auch das Publikum bei entsprechend abwechslungsreichen, zwischen Experiment, Anspruch und geistreicher Unterhaltung changierenden Spielplänen mitziehen würde? Es ist höchste Zeit, diesen Versuch endlich zu wagen.

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