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Scheiredrescher, Sandlicht – und Satie geleast

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ConceptArt-Konzert der Weikersheimer Stadtkomponistin Babette Koblenz
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Die Uraufführung eines einzigartigen Werkkontextes und eine neue Dimension des Hörens erlebte im Juli das Publikum der Stadthalle Weikersheim. Für die insgesamt über 50 Musiker, die Babette Koblenz für ihr ConzeptArt-Konzert begeistert hatte, war bereits der musikalische Entwicklungsprozess ein einziges Abenteuer gewesen. Sommerregen verhinderte, dass die Performance wie geplant im Schlosshof stattfand, wo der Förderdreiklang von Land Baden-Württemberg, Stadt Weikersheim und Jeunesses Musicales Deutschland, der das Projekt Stadtkomponist ermöglicht, deutlicher sichtbar geworden wäre.

Der erste Ton kam von der Big Band, unsichtbar im Hintergrund: Eingangsperformance aus der Tiefe des Raumes, Bläserdialog dann von vorn, von hinten. Aus Hermann Lücks Musical „Gnome“ spielten die BIZ-Oldies den ersten musikalischen Gruß aus Weikersheim, gefolgt von Nat King Coles singender „Route 66“, die den Weg zu den vielfältigen musikalischen Klangorten wies. In seiner ganz eigenen, leisen pianistischen Klangart antwortete Eric Satie – ausgeführt von Maria Miller-Pflüger, worauf wiederum Babette Koblenz mit der Komposition „Sandlicht“ reagierte: Das aparte Duo von Viola und Akkordeon ließ ein Leuchten über die Schlossmauern sirren, da fängt sich Licht im Weinberg, im Spinnwebgeflecht des Hexengartens, zwischen Renaissance, Barock und Gegenwart ein Alchimistenlicht, Sandwind über quirlendem Markt, Asphalt, Split, Industrie und Handwerk.

Dann klingt Historie: Archangelo Corelli, „Largo affettuoso“: Melanie Tolk und ihre Schüler führen in so klar erscheinende Vergangenheit – und wechseln nahtlos über zum Kartengruß der Gegenwart von Babette Koblenz, zur intensiven Gegenrede der Komponistin an den Komponisten, die im Dialog mit Satie gleichsam eine Doppelbelichtung losschickt, deren Versen Manfred Birkhold als Bariton seine Stimme leiht, von Beate Opphold an der Klarinette virtuos unterstützt. Dann „Sandlicht“ zweiter Teil – dicht gepackte Klangwelt der Komponistin, die den Ausführenden viel abverlangt mit klanglich und rhythmisch schwierigen Passagen und Temposprüngen.

„le nuove musiche“, Dirk und Regine Hangstein mit Sopranblockflöte und Gambe und Peter Ammer am Continuo: Da sind die feinen Damen aus dem Schlosspark unterwegs, gar fein beschaulich – und hintergründig kokett. Die drei Musiker haben sie hergezaubert. Husch, vorbei der Raub: Tamara Krüger glänzt mit Rybalkins „Moment musical“, gefolgt von Steffen Zeller, Maria Miller-Pflüger und Gerhard Fink, die eine Montage aus Saties Gnossienne 1/3 und Gymnopédie 2 in der Koblenz-Bearbeitung „Satie geleased“ bravourös an drei Klavieren gestalten: Satie fein, mit kräftigen Einwürfen.

Dass sich daran die derben „Scheiredrescher“ mit ihren a cappella-Ausflügen zu Erasmus Widmann, Oswald von Wolkenstein und Passereaus’ „Il est bel et bon“ so fein, so passend, so elegant würden anschmiegen können – wer hätte das gedacht? Umgestrickt hat Koblenz ihnen mit „Le Grand Duc“ dazu ein Stück auf den Leib geschrieben, das beim Publikum für ausgelassene Heiterkeit sorgte: „W i r sind schön, w i r sind gut!“ Vom Markt mit seinem Umtrieb führt der Posaunenchor hinüber zu Weikersheims Stadtkirche – mit der ergreifenden Weise „Schon bricht des Tages Glanz“ – um alsdann eine weitere Postkarte an Satie zu senden: Treibend, dicht, eng verwandt dem, was als „Sandlicht“ nur Viola und Akkordeon umsetzen konnten, jetzt als Posaunenfanal vom Turm. Einzigartig „Karavan“, von Koblenz für drei Klaviere zur Gnossienne 1 entworfen – dann aufgenommen von zwei Posaunen, einem Tenorhorn. Als romantischer Akzent erklingt der erste Satz aus dem 1876 entstandenen Klavierquartett von Gustav Mahler.

Und dann, nach neuerlicher Post an Satie, Babette Koblenz’ ganz persönlicher Appell zur Rückerstattung des aus der Weikersheimer Georgskirche kürzlich geraubten Engels: Die Komponistin mischt sich mit Klavier und Stimme in Saties Gnossienne 3. Susan Moschüring leiht dem verschollenen Engel die englische Stimme. Was da durch die Stadthalle schwingt, ist kaum noch zu fassen in Worten. Eine Stecknadel hätte man gehört, wäre sie zwischen die Töne gefallen.

Das Konzert war „nur“ der Höhepunkt – das Eigentliche, das, was in Weikersheim noch lange nachhallen wird, das ist der Weg, auf den sich die einzelnen Gruppen mit der Stadtkomponistin gemacht haben. Der Hamburger Komponistin gelang es, so unterschiedliche Gruppierungen zusammenzuführen, für sie und etliche einzelne Musiker, Lehrer und Schüler der Musikschule Hohenlohe ein Gesamtwerk zu entwickeln, in dem alle zusätzlich zur eigenen Musizierpraxis ganz neue musikalische Erfahrungen sammeln konnten. Anfänglich vorhandene Berührungsängste brachen auf, die Laienmusiker fassten den Mut, sich auf die Zusammenarbeit mit einer anerkannten Komponistin einzulassen. Was den Weikersheimer Stadtvätern zunächst doch als eher elitäres Projekt erschienen war, geriet zum mitreißenden Aufbruch zu neuen Ufern, zu einem Aufbruch vieler, die sich zuvor kaum je so intensiv gegenseitig zugehört hatten. Acht Stücke speziell für das Musikpostkarten-Konzert hat die Stadtkomponistin geschrieben, nicht gerechnet die Stücke, die auf dem Weg zur Uraufführung wieder verworfen wurden.

Welcher Musikverein wird je im Lauf seiner oftmals langen Geschichte von einem anerkannten Komponisten so ernst genommen, dass der oder die ihm ein eigenes Stück regelrecht auf den Klangleib schreibt? Wie, ohne das von der JMD und der Stadt Weikersheim durchgeführte, von der Landesstiftung geförderte Projekt Stadtkomponist, wäre Derartiges jemals in diesem kleinen Städtchen an der Tauber realisierbar gewesen? So verstanden ist die umstrittene Förderung von Eliten – Koblenz, die unter anderem die Musik zur Eröffnung der Wehrmachtsausstellung komponierte, in München und Hamburg als sehr kreative und produktive Musikschaffende große Erfolge hatte, auch international etliche Preise gewann, gehört sicherlich dazu – ein wesentlicher Beitrag zur kulturellen Entwicklung und Zukunftsgestaltung.

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