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V.l.n.r.: Matthias Schneiderbanger, Holger Ballweg, Patrick Borgeat und Juan A. Romero. Foto: Daniel Bollinger
V.l.n.r.: Matthias Schneiderbanger, Holger Ballweg, Patrick Borgeat und Juan A. Romero. Foto: Daniel Bollinger
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Das Laptop-Ensemble „Benoît and the Mandelbrots“ im Porträt
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Eine viergeteilte Leinwand füllt sich nach und nach mit kryptischen Zeichenkombinationen. Anfangs erzeugten nur die raschen Anschläge der Tastaturen eine subtile Geräuschkulisse, nun generiert sich allmählich eine weit aufgespannte Klangwand, durchzogen von teils schnarrenden, teils klirrenden Eruptionen, sägenden, industriell schimmernden Klangblöcken. Alles ist in einem organischen Wachstum begriffen bis irgendwann die Regression eintritt. Das Laptop-Ensemble „Benoît and the Mandelbrots“ erzeugen mit ihren Computern derartige Klänge in Echtzeit. Sie sind allerdings auf keine bestimmte musikalische Richtung festgelegt, beim nächsten Auftritt werden anstatt dessen vielschichtig gestaltete Beats und melodische Patterns gestreut, mal tanzbar, mal nicht. Sie lieben das rege Experimentieren, Streifzüge durch die Minimal, Noise oder Techno Music. Im Grunde ist fast alles denkbar.

Indem sie „Live-Coden“ bewegen sich Juan A. Romero, Patrick Borgeat, Holger Ballweg und Matthias Schneiderbanger – allesamt (Ex-)Studenten des Instituts für Musikwissenschaft/Musikinformatik der Hochschule für Musik Karlsruhe – in einer Nische der experimentellen, algorithmischen Computermusik. „Live-Coding“, das bedeutet programmieren von Klängen in Echtzeit. Dafür verwenden sie ausschließlich die Programmiersprache SuperCollider. Auch andere, wie ChucK, oder Impromptu, würden dafür in Frage kommen, aber Benoît schwören auf SuperCollider. Einerseits hätten Julian Rohrhuber und Alberto de Campo – vor Jahren Gastdozenten an der Hochschule für Musik Karlsruhe und bekannt in der Live-Coding-Szene – sie inspiriert. Andererseits ist das Programm durch seine vielschichtigen Funktionen besonders prädestiniert und im Gegensatz zu oft sehr teurer, kommerzieller Musiksoftware als Open Source Software kostenlos erhältlich. Im Gegensatz zu anderen Laptop-Ensembles erzeugen Benoît ihre Klänge also nicht durch intuitives Drehen, Schieben oder Drücken von externen Geräten, zum Beispiel programmierten Wii-Controllern. Sie generieren Klang, indem sie SuperCollider-Programmcode schreiben, der vom Computer interpretiert und in die entsprechenden akustischen Phänomene umgewandelt wird. Jeder der von ihnen bisher bespielten Orte, ob Multimediasaal, Bar, Club, Wohnzimmer, Kirche, Galerie oder Kino, hatte seine spezifischen, akustischen Eigenschaften und auch die Anlässe differierten stets, sodass sie sich im Vorfeld über Länge und Stil absprechen und damit das Feld grob abstecken. Der Rest entsteht ad hoc. Keine Konserve, sondern reine Improvisation. So kann es passieren, dass einer der Vier während des Auftritts plötzlich einen unerwünschten klanglichen Effekt los tritt und umgehend mit den vielsagenden Blicken der Anderen durchbohrt wird – ein bekanntes Risiko von improvisierter Musik, das ihr aber auch ihren Reiz gibt.

Wie komplex der „kompositorische“ Vorgang ist, wird deutlich, wenn sie ihre Bildschirme durch eine Leinwand ins Auditorium projizieren. „Wir wollen, dass die Leute sehen, was wir machen. Einem Instrumentalisten sieht man die Anstrengung des künstlerischen Prozesses an. Wir hingegen sitzen fast regungslos da, starren auf unsere Bildschirme.“ Benoît folgen damit der Forderung „Show us your Screens“ aus dem Manifest von TOPLAP, der zentralen Organisation für Live-Coding. So erzählt die Leinwand etwas von dem, was sie leisten, und das Publikum hat noch unmittelbarer Teil am kreativen Akt.

Aber nicht das Live-Coding an sich, das es schon seit einigen Jahren gibt, ist das eigentlich Innovative an Benoît, sondern dass sie darüber hinaus in einer Gruppe agieren, regelmäßig proben und auftreten – „wie eine Band aus dem Rockbereich“, erklären sie sich und legen besonderen Wert darauf, als „Laptop-Band“ bezeichnet zu werden. Von anderen Laptop-Ensembles hebt sie das ab. „In Deutschland sind wir dadurch schon ein bisschen ein Unikat“. Der „Bandname“ leitet sich übrigens von dem 2010 verstorbenen, französischen Mathematiker Benoît Mandelbrot ab. Die Hommage an den Theoretiker rührt von der Begeisterung für dessen mathematische Fraktale, geometrisch komplexe Strukturen, die sich auch in der Natur wiederfinden. “Bisher haben wir die Mandelbrot-Fraktale in unserer Musik allerdings noch nicht benutzt.”

Dieses Jahr fand in Venedig das „Laptop meets Musican“-Festival statt, laut Veranstalter das weltweit erste Festival für Laptoporchester und -ensembles. Um Kontakte zu knüpfen, sich inspirieren zu lassen und sich durch Konzerte mit anderen Ensembles auszutauschen kamen auch Benoît nach Venedig. Sie waren die Einzigen, die dort mit Live-Coding arbeiteten, alle übrigen Ensembles hantierten mit Wii-Controllern, iPhones, MIDI-Controllern oder ähnlichem. Benoît ist die puristische Herangehensweise, allein durch Schreiben von Programmcode aus dem Moment heraus, Musik zu generieren, wichtig, obwohl sie ihrer Maxime nicht immer konsequent treu bleiben. Wenn es spannende Projekte sind, weichen sie auch mal davon mal ab, wie einst bei der Stummfilmvertonung von Fritz Langs „Dr. Mabuse, Der Spieler 2.-Teil, Inferno“ im „Filmtheater Schauburg“ in Karlsruhe, wo eine intensive Vorbereitung nötig war, oder, im Rahmen der Karlsruher „ton:art EXPO 2011“, bei der Realisation einer Komposition für vier Laptops („xyz“ von Shelly Knotts), der klare Aufführungsanweisungen zu Grunde lagen. Demnächst ist eine Zusammenarbeit mit dem klassischen Ensemble für Neue Musik „Ensemble TEMA“, ebenfalls in Karlsruhe, geplant. 

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