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Sieg oder Niederlage für die Kunst

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Expertenrunde zum Thema Musikwettbewerbe im Musikmagazin „taktlos“
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Tabea Zimmermann, Sie haben, was Wettbewerbe betrifft, ungefähr alles abgesahnt und abgeräumt, was es so gibt, bloß nicht den ARD-Wettbewerb. Woran lag es?

Wettbewerbe gelten als Sprungbrett, Talent-Test und Jobbörse. Ihr Renommee reicht von sinnlos bis wertvoll. Bei manchen werden die Kandidaten regelrecht abkassiert, bei anderen maßgeblich gefördert und begleitet. Was können Sieg oder Niederlage bringen? Wie gerecht sind Juroren? Und ist musikalische Leistung überhaupt objektiv messbar? Solchen Fragen stellte sich am 5. November 1999 eine Gesprächsrunde im Studio 12 des Bayerischen Rundfunks im Rahmen des Musikmagazin „taktlos“. Moderator war nmz-Herausgeber Theo Geißler. Mit im Studio waren: Reinhard von Gutzeit, Chef des Linzer Anton-Bruckner-Konservatoriums und Vorsitzender von “Jugend musiziert“, David Shallon, Chefdirigent des Luxemburger Sinfonieorchesters, Tabea Zimmermann, Bratschistin, und Renate Ronnefeld, die seit 1960 den ARD-Wettbewerb leitet. Durch ihre Hände gingen etwa 6.000 junge Musiker. Weiter ist zu Gast das Duo Orient, bestehend aus Akiko Tanaka und Evgeni Sinaiski. In der Kategorie Violine/Klavier belegten die beiden immerhin (oder leider nur?) den 3. Platz beim ARD-Wettbewerb 1998. Geißler: Tabea Zimmermann, Sie haben, was Wettbewerbe betrifft, ungefähr alles abgesahnt und abgeräumt, was es so gibt, bloß nicht den ARD-Wettbewerb. Woran lag es? Tabea Zimmermann: Zu dem Zeitpunkt, als ich zum ARD-Wettbewerb hätte gehen können oder sollen, wäre es der dritte internationale Wettbewerb in einem Jahr gewesen. Außerdem war ich damals erst 16 Jahre alt und wäre noch gar nicht zugelassen gewesen.

Aber Ihr Lehrer wollte doch, dass Sie am ARD-Wettbewerb teilnehmen?

Zimmermann: Sie spielen da auf eine Geschichte an! Zuerst habe ich Wettbewerbserfahrung bei “Jugend musiziert“ gesammelt. Das empfand ich als eine ganz tolle Grundausbildung. Danach kamen die internationalen Wettbewerbe, ich war zuerst in Genf und in Paris und als dann mein Lehrer wollte, dass ich nach München fahre, hat sich fast ein persönlicher Machtkampf deswegen entzündet. Ich wollte mir mit 16 Jahren nicht vorschreiben lassen, zu welchen Wettbewerben ich gehe.

Sie haben gewonnen und gleichzeitig verloren.

Zimmermann: Mein Lehrer hätte es gerne gehabt. Ich bin heute froh, dass ich mich durchgesetzt habe, weil es für mich persönlich wichtig war. Aber die Wettbewerbe, die ich gemacht habe, waren trotzdem eine ganz tolle Erfahrung.

Ich freue mich, dass wir auch so einen echten „Wettbewerbslooser“ hier mit am Tisch haben. David Shallon ist Chef der Luxemburger Philharmonie und das ist ein Zeichen dafür, dass man wohl auch als Verlierer vor Karriere nicht geschützt ist. David Shallon, Sie haben an drei Dirigier-Wettbewerben teilgenommen und nie gewonnen?

David Shallon: Mit großem Stolz bin ich bei der ersten Runde rausgeflogen, bei allen dreien.

Woran lag es?

Es freut mich, dass ich meine Geschichte hier als Beispiel bringen kann, weil sie zeigt, wie viele verschiedene Versionen es geben kann für den Anfang einer Karriere. Von den Preisträgern bei diesen Wettbewerben habe ich, so viel ich weiß, nie wieder etwas gehört, die sind einfach spurlos verschwunden. In zwei von den drei Fällen wurde ich ein paar Wochen später über eine ganz andere Ecke eingeladen, um die Orchester zu dirigieren, die dann ab der zweiten Runde gespielt haben. Mindestens in einem Fall war das wirklich ein großes Glück, dass ich nur bei der ersten Runde dirigieren durfte. Hätte ich das Orchester in der zweiten Runde dirigiert und wäre dann rausgeflogen, wäre es unwahrscheinlich gewesen, dass ich dieses Orchester noch einmal geleitet hätte.

Ähnlich wie beim Kindersport, wirft man auch den Musikwettbewerben immer wieder vor, sie würden Persönlichkeiten verbiegen. Reinhard von Gutzeit, welche Gedanken machen sich Juroren beim Wettbewerb “Jugend musiziert“ zu diesen Vorwürfen?

Reinhard von Gutzeit: Jeder, der wirklich junge Leute fördert, weiß, dass er vor allen Dingen auch ihren Mut fördern muss und ihre Power zu spielen. Dass man früh anfangen muss und dass man auf vieles verzichten muss, das ist ein Problem, da kann jeder Künstler ein Lied davon singen. Ich denke, die wichtige Rolle spielt der junge Musiker selbst, also es ist nicht die Familie allein, die ihn dermaßen puschen kann. Wenn sie das versucht, wird das Ergebnis sein, dass der Knabe oder das Mädchen nichts mehr auf die Bühne bringt.

In der Regel sind es doch die Eltern, die eigentlich die Entscheidung treffen. Frau Zimmermann, wie ging es Ihnen da?

Zimmermann: Ich habe ein sehr gespaltenes Verhältnis zu den ganzen Wettbewerben. Meine persönlichen Erfahrungen sind eigentlich nur gute, aber im Beobachten anderer Fälle muss ich sagen, habe ich auch sehr viel Kritik Wettbewerben gegenüber und der Einstellung, die von Eltern und Lehrern auf Kinder übertragen werden können. Ich glaube aber, dass das Verbiegen einer Persönlichkeit nicht sein muss. Ein Kind zeigt doch auch, was es gerne möchte. Als Kind habe ich den Verzicht, den es sicher durch das Musizieren gab, überhaupt nicht empfunden, weil ich nicht wuss-te, was andere Kinder haben, was ich nicht hatte. Ich hatte andere soziale Bindungen, die sich durchs Musizieren ergeben haben.

Ich komme gerade von einem Wettbewerb zurück. Europäischer Wettbewerb der Wettbewerbspreisträger der Jugendwettbewerbe. 24 Teilnehmerduos. Es gab drei Preisträger in zwei Kategorien und außerdem nicht etwa zwanzig Frustrierte, sondern junge Leute, die absolut in der Lage sind, zu erkennen, was die anderen können und die das auch ganz gut verarbeiten, nicht auf den ersten Plätzen zu landen. Wichtig dabei ist, dass hinter ihnen nicht Eltern oder Lehrer stehen, die sagen: „Das ist alles Betrug und Druck und du hättest gewinnen müssen.“ Wir müssen immer wieder versuchen, diejenigen, die Kinder betreuen, die sie dahin bringen, so zu beeinflussen, dass sie den jungen Leuten nicht den Glauben an diese Geschichte nehmen.

Frau Ronnefeld, Sie arbeiten eigentlich mit den Jugendlichen, den jungen Menschen, die sich schon selber entscheiden können, die meistens ihre Ausbildung schon hinter sich haben oder die eben gerade drinstehen. Eben die, die sich für die Musik entschieden haben. Es sind bereits Leistungsmusiker. Fällt Ihnen an denen manchmal etwas auf, was sie von anderen Jugendlichen unterscheidet?

Renate Ronnefeld: Nein, eigentlich nicht. Sie sind sehr viel zielbewusster, als sie noch vor 20 Jahren waren. Vor 20 Jahren hatten wir, das stelle ich immer wieder fest, sehr viel skurrilere Persönlichkeiten beim Wettbewerb. Es wurde sehr viel mehr gelacht, sie waren unbekümmerter, lockerer. Heutzutage geht einer zum Wettbewerb mit der Idee im Hinterkopf, zu gewinnen. Früher war es oft so, dass einer gekommen ist und gesagt hat: „Na ja, das weiß ich, dass ich nicht weiter komme, aber wissen Sie, es ist so nett und ich höre ja auch, was andere mitbringen. Ich lerne andere Schulen kennen, ich lerne eine andere Art und Weise kennen..“ Das Voneinander-Lernen-Können ist natürlich geblieben, aber die Teilnehmer sind irgendwie zielstrebiger geworden.

David Shallon, wie wird man mit dieser Enttäuschung fertig, wenn man bei so einem Wettbewerb rausfliegt?

Ich würde das nicht als Enttäuschung bezeichnen, vor allem wenn man schon irgendwo in der Karriere ist. Wettbewerbe und Dirigenten, das ist irgendwie ein großes Paradox, weil das Orchester kein Instrument im gewöhnlichen Sinne ist. Ich kann kaum mitreden beim Thema Üben, denn wie übt denn ein Dirigent? Die erste Prüfung eines Dirigenten ist die erste Minute, wenn man vor dem Orchester steht oder noch etwas davor, wenn man die ersten Schritte auf der Bühne macht, noch bevor man auf das Podium gestiegen ist. Dann spürt das Orchester schon, was für eine Persönlichkeit vor ihnen steht. Das kann man nicht üben. Deswegen muss man während eines Wettbewerbs schon ziemlich selbstbewusst sein. Und man muss genug Humor haben, um ein Ausscheiden zu überwinden und sich sagen, dann probiere ich eben den nächsten Wettbewerb. Die Anfänge einer Dirigentenkarriere sind so unterschiedlich, es gibt keine zwei Karrieren, die irgendwie ähnlich verlaufen sind am Anfang. Man muss einfach auf die nächste Chance warten, die kommt. Die muss man dann allerdings auch wahrnehmen.

Vielleicht ist es bei Instrumentalisten anders als bei Dirigenten. Akiko Tanaka, wie war das für Sie, als Sie in diesen Rundfunk-Wettbewerb gegangen sind. Haben Sie da die Vorstellung gehabt, ich will gewinnen, das ist ein wichtiger Baustein für meine berufliche Zukunft?

Akiko Tanaka: Nicht direkt. Ich habe teilgenommen, um häufiger auftreten zu können. Das war mein einziger Grund und in dieser Frage hatte ich Glück, weil ich nach dem Wettbewerb einen sehr guten Manager in Holland gefunden habe. Gerade kommen Evgeni Sinaiski, mein Partnerpianist, und ich von einer Tournee in Holland zurück. Der Wettbewerb hat sehr geholfen, wir hatten ziemlich Erfolg danach.

Renate Ronnefeld, Sie haben von skurrileren Persönlichkeiten gesprochen, davon, dass man früher mehr gelacht hat, dass es irgendwie mehr Spaß gemacht hat, war das denn unprofessionell?

Das war nicht unprofessionell. Aber es ist heutzutage hinter den jungen Leuten ein gewisser Druck. Dieser Leistungsdruck, den man ja nicht nur bei der Musik merkt, sondern ganz allgemein bei den jungen Leuten. Ich meine, wenn ich mich erinnere, wie ich studiert habe, da war das Studium schon wichtig, aber man hat immer noch ziemlich viel Zeit gehabt. Das ist heutzutage nicht mehr da, weil einfach sehr, sehr viel mehr begabte Musiker da sind, die auf ganz wenige Plätze warten. Wenn Sie mal absehen von den rein solistischen Fächern, dann haben alle Instrumentalisten immer bereits die Idee im Hinterkopf, sich bei einem der guten Orchester zu bewerben. Schon allein, damit sie überleben können. Wenn 80 Stellen ausgeschrieben werden, dann bewerben sich 2.000, und zwar gute Leute, nicht mittelprächtige Leute, sondern wirklich gute Musiker.

Zimmermann: Ich glaube, dass viele junge Leute, die zu so einem Wettbewerb gehen, gar nicht so genaue Vorstellungen davon haben, wie sie aus dem Wettbewerb wieder rausgehen. Als junger Mensch sucht man einen Vergleich, man möchte wissen, wo man steht. Man stellt sich auch selber eine Aufgabe, indem man zu einem gewissen Termin ein riesengroßes Programm vorbereitet, wie man es später für kein Konzert mehr tun muss. Alles ist vorgeschrieben: ein Konzert mit Orchester, Solostücke, auswendig, aus vielen Epochen und vieles mehr. Das ist ja einfach für sich selber eine Prüfung, eine gewisse Hürde, die man sich in den Weg legt. Aus eigener Erfahrung kann ich auch bestätigen: Ich bin hingegangen und dachte: „Ach, das ist ja lächerlich, mein Lehrer hat mich zwar da hingeschickt, aber was soll ich denn eigentlich bei einem internationalen Wettbewerb!“ Ich ließ es mir gut gehen, hatte Spaß, kam dann in die zweite Runde, in die dritte Runde und huch, hoppla, wars der erste Preis. Das war natürlich sehr schön beim erstenmal.

Das ist der Segen der Sonderbegabung. Aber, Reinhard von Gutzeit, setzt sich dieser Druck nicht vielleicht schon jetzt über Eltern, die sich ja schon über die Zeit weg auch verändert haben, fort bis runter in die ersten Jahrgänge von “Jugend musiziert“? Da hat man ja auch Schallplatten gehört, man hat Klangvorstellungen entwickelt.

Ich glaube nicht daran, dass der Druck so irrsinnig groß ist. Ich kann mich ja noch an Tabea erinnern, als sie Teilnehmerin beim Wettbewerb war. Die ist da richtig durchgerauscht, durchgetanzt und hat das alles ganz locker gemacht. Und solche gibt es heute auch noch. Und es gibt auch ganz viele, die wissen, dass sie nicht unbedingt die Chance auf den ersten Preis haben. Die, die so ganz dicht dran sind, also die, die so souverän und so super sind, haben wenig Prob-leme. Diejenigen, die nicht ganz so toll sind, haben auch wenig Probleme. Doch die, die so ganz knapp unter der Spitze sind und dann sehr stark gepuscht werden, die haben häufig die Probleme auch mit dem Verarbeiten. Letzten Endes ist das ein Problem, wie man mit dem Druck in der Gesellschaft und mit der Angst vor der Zukunft und mit all dem umgeht. Das ist woanders auch nicht so viel geringer. Ein Juraexamen ist auch was Entsetzliches, heißt es, wo den Prüflingen die Schweißperlen nur so runterlaufen.

Was hat es mit der Behauptung auf sich, man könne seine Individualität, seine Künstlerpersönlichkeit bei Wettbewerben nicht entfalten, Frau Ronnefeld?

Im Gegenteil. Ein Kriterium bei uns, also ich spreche jetzt vom ARD-Wettbewerb, ist immer die künstlerische Persönlichkeit. Wenn einer also noch so flinke Finger hat, dann macht das noch lange keinen Preisträger aus. Es ist ja wichtig, was er auszusagen hat. Im Gegensatz zu dem, was wir da gerade gehört haben, finde ich, dass die Persönlichkeit, das Eigene sehr wichtig ist.

Ich kenne einen sehr bekannten Musiker, der mir mal gesagt hat: „Ich habe bei “Jugend musiziert“ (das war die Zeit, als wir noch wenig erste Preise gaben, nur dem, der die höchs-te Punktzahl hatte) immer den zwei-ten Preis gemacht und hätte um ein Haar aufgehört, weil ich das Gefühl hatte, so wie ich spielen will, das will keiner hören.“ Ich glaube aber heute, dass ihm dieser Widerstand vielleicht sogar geholfen hat in seiner Entwicklung.

Zimmermann: Das ist wahrscheinlich ein Weg der Persönlichkeitsfindung, den jeder vielleicht mal durchmacht. Wo bin ich? Wo ist das richtige Stück? Wo ist die Interpretation, die ich will?

Dann, wenn man sich sicher fühlt, kann man dann sagen: „So, jetzt bin ich so weit, jetzt kann ich das schwerere, größere Repertoire angehen, jetzt kann ich bald den nächsten Wettbewerb versuchen.“

Das wäre ein schöner, fast pädagogischer Hintergrund, aber es gibt auch Professoren, fast schon Profijuroren, die gerne in südliche Landschaften fahren, in schöne gemütliche kleine Dörfer, wo es guten Wein gibt und wo ein kleiner gepflegter Wettbewerb stattfindet und der hat eine sehr hohe Teilnehmergebühr.

Man sollte zuerst die kleinen Wettbewerbe machen und sich langsam hocharbeiten. Das Problem ist, dass man von jedem kleinsten Wettbewerb gleich in die ganze Welt die Informationen verschickt und das macht dann überhaupt keinen Sinn mehr. Versetzen Sie sich in die Lage des Chefdirigenten eines Orchesters: Berge von Biografien von Preisträgern, die sich auf seinem Schreibtisch auftürmen.

Da sprechen Sie etwas an, was sehr, sehr wichtig ist. Es gibt eine Föderation von internationalen Wettbewerben. Das sind sozusagen die bestorganisiertesten und wirklich seriösesten Wettbewerbe, im Moment etwas über 100 an der Zahl. Die haben sehr strenge Regeln. Da muss man wirklich als Wettbewerbsorganisator wahnsinnig viel beweisen und zeigen. Den jungen Leuten muss garantiert werden, dass sie zum Beispiel nicht nur irgendeinen Geldpreis kriegen, sondern dass man nachher wirklich anfängt, sich für Konzertmöglichkeiten für sie umzuschauen. Denn das ist das, was die jungen Leute suchen. Das Geld ist eine gute Beigabe.

Funktioniert dieses Scharnier denn in der Praxis, führt diese Brücke vom Wettbewerb hinüber zum Engagement?

Ja. Es gibt Wettbewerbe, die nur alle paar Jahre stattfinden, die haben dann die Möglichkeit, selber, als Agent sozusagen, ihre Preisträger zu begleiten. Die amerikanischen Wettbewerbe sind da vorbildlich, aber es gibt auch in Europa eine ganze Reihe, die das machen. Dann gibt es natürlich Wettbewerbe, so wie unser ARD-Wettbewerb, die das nicht können, weil wir jährlich fünf Gruppen haben, und einfach nicht die Zeit und die Möglichkeiten haben, uns um unsere Preisträger zu kümmern.

Wäre das nicht sehr verdienstvoll, wenn man so eine Anschlussorganisation schaffen würde?

Das haben wir schon immer versucht. Wir suchen seit langem einen Agenten, der das macht. Es macht keiner.

Zimmermann: Wobei es ja auch sicher keinen Automatismus geben darf, denn es ist so viel auch persönliches Engagement...

Der ARD-Wettbewerb lädt jedes Jahr um die 50 Konzertveranstalter, Festspielleiter, Kammermusiker oder Organisatoren zu seinen Abschlusskonzerten ein. Die laden sich dann die für ihre Zwecke brauchbaren oder am besten geeigneten jungen Leute ein.

Das heißt, Sie sind eine richtige Job-Börse für Musiker.

Wir versuchen es. Und bis jetzt funktioniert das ganz gut.

: Man muss schon aufpassen, dass das nicht zu eng zueinander gerät, denn die Agentur, die sucht beispielsweise den Solisten oder die Solistin. Die Jury sollte aber wirklich nur auf den Klang achten und wenn Wettbewerb und Agenturtätigkeit zu eng verbunden ist, dann gibt es eine neue Quelle für Ungerechtigkeit. Alles inflationiert heute irrsinnig. Das ist mit den Meisterkursen so, inzwischen suchen die berühmtesten Lehrer für ihre Meisterkurse händeringend Studierende, denn alle Ferienorte der Welt wollen so einen Kurs einrichten, und der Tourismus fördert auch das Wettbewerbswesen.

Womit wir bei der Sinnfrage angelangt wären: „Sind Musikwettbewerbe überhaupt taugliche Instrumente, künstlerische, musikalische Gedankenhaltung zu fördern und zu bewegen?“, Reinhard von Gutzeit?

Nichts motiviert Menschen so sehr, wie ein Wettbewerbsgedanke. Es wäre so schön, wenn man auch mit Festivals oder mit allem möglichen so viel an Energie in Gang setzen könnte, wie mit dem Wettbewerbsgedanken: „Ich möchte gewinnen.“ Das ist aber nicht so. Ich denke, Wettbewerbe – auch musikalische – sind letztlich ein Spiegel des Lebens. Auch die Bühne zum Beispiel, die Opernbühne, ist ein Wettbewerb. Hinterher zählen die Künstler doch, wie viele Vorhänge der Einzelne gehabt hat.

Frau Ronnefeld, befördern Wettbewerbe in diesem Stil nicht eine platte Vermarktungsideologie?

Ich sehe das nicht so. Ich war immer ein Verfechter der Idee eines wirklichen, möglichst objektiven Wettbewerbs, der eine Vorbereitung ist für das, was die jungen Leute nachher erwartet, wenn sie dann einmal auf eigenen Füßen stehen. Jeder Wettbewerb hat eine Verantwortung, aber eben nur bis zu dem Moment, wo ein junger Mensch seine Karriere wirklich anfängt und da ist er dann angewiesen auf andere verschiedene Organisatoren, die Konzerte organisieren, die Festspiele organisieren. Eine meiner Lieblingsideen ist es ja, dass man Festspielorganisatoren dazu bringen soll, dass sie neben ihren großen Namen, die sie natürlich haben müssen, immer eine kleine Serie mit jungen Leuten machen. Einige tun es bereits, sehr viele sind es noch nicht.

Ein bisschen Alibi-Charakter hat das schon, David Shallon?

Ich meine, dass ein Wettbewerb nützlich ist, bis die Karriere beginnt. Und der Gewinn eines Wettbewerbs bringt einen so ins Rampenlicht, dass das eigentlich der Beginn ist. Wenn es zu früh war oder nicht ganz richtig war, dann kann es auch schnell das Ende einer Karriere sein.

Aber das ist doch so eine Formel-1-Mentalität. Da riecht man doch eigentlich den 12-Zylinder und den Benzindampf durch und das Risiko, fast auch des Todes. Ist der Kulturbetrieb, ist der Musikbetrieb inzwischen so, gerade auch dieser Hochkultur- und Festivalbetrieb?

Die Gefahr besteht, dass es wirklich vernichtend sein kann. Ich finde dennoch, dass Wettbewerbe wichtig sind. Man muss ständig daran denken, wie man den Gedanken eines Wettbewerbs noch verbessert. Es gibt nicht wenige Beispiele, wo ein Preisträger zwar in Werken für Instrument hervorragend war und in der letzten Runde ein oder zwei Konzerte gespielt hat. Dann wurde er engagiert von mehreren Leuten und plötzlich hat man festgestellt, dass dieser Herr oder diese Frau nur diese zwei Stücke im Repertoire hat und damit hört es dann auf.

Das ist klar. Aus dem Grund ist es ja wichtig, dass Wettbewerbe unterschiedliches Repertoire fordern. So werden die jungen Leute angeregt, wirklich ständig neues Repertoire zu lernen. Auch unter Einschluss der Moderne, der zeitgenössischen Musik übrigens. Es ist sehr wichtig, dass ein Wettbewerb möglichst hohe Anforderungen stellt. Die Preise dürfen nicht zu einfach vergeben werden, es sollte auch keine relative Preisvergabe geben, sondern nur eine „absolute“. Nur dann kann man davon ausgehen, dass derjenige, der einen Preis hat, dann wirklich auf die verschiedenen Bühnen geschickt werden kann, ohne dass dem jungen Menschen etwas zustößt, dass er den Anforderungen nicht gerecht wird. Was auch für den Wettbewerb, der diesen Preisträger herausbringt, kein gutes Zeichen wäre.

Ein ganz kurzes Wort vielleicht zu der Frage: Beinhaltet Kunst und Kultur nicht auch den Versuch, archaische, überbrachte Verhaltensweisen, die man als inhuman erkannt hat, und Kampf hat ja oft etwas inhumanes, zu überwinden. Ich sage nun etwas vielleicht ganz Naives, Reinhard von Gutzeit hat ja schon ein konstruktives Modell angeführt. Ich könnte mir vorstellen, eine Familienfreizeit mit Musik, das ist mindestens genau so wertvoll wie ein Wettbewerb. Was sagen Sie zu meiner These?

Für Kinder okay, aber der Profi kann damit wenig anfangen, wenn man dann Bonbons auspackt.

Ich stimme dem vollkommen zu, dass Wettbewerbe versuchen müssen, einen nackten Darwinismus zu vermeiden. Also dass beispielweise alle, die die zweite Runde nicht erreicht haben, abreisen können, ohne dass ihnen noch jemand die Hand schüttelt. Das darf es einfach nicht geben, weil es mit Kultur nichts mehr zu tun hat.

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