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Augusto De Luca e Ennio Morricone - Premio "Città di Roma".. By Ferdinando Castaldo (dal mio archivio personale) [Public domain], via Wikimedia Commons
Augusto De Luca e Ennio Morricone - Premio "Città di Roma".. By Ferdinando Castaldo (dal mio archivio personale) [Public domain], via Wikimedia Commons
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Sirenenstimmen und Windradquietschen

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Zum 90. Geburtstag des großen Filmkomponisten Ennio Morricone
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Fast sechs Jahrzehnte lang lieferte Ennio Morricone am laufenden Band Filmmusik. Rechtzeitig zu seinem 90. Geburtstag hat der Meister nun angekündigt, dass er sich vom Filmmusikgeschäft zurückziehen will. Nur für seinen Freund Giuseppe Tornatore („Cinema Paradiso“) will er noch Ausnahmen machen. Es ist typisch für Morricone, dass er einem bestimmten Regisseur noch ein letztes Privileg einräumt. Denn Morricone hat seine filmmusikalischen Freundschaften zu vielen Regisseuren sehr gepflegt: von Sergio Leone („Spiel mir das Lied vom Tod“) bis zu Quentin Tarantino. Für den Score zu Tarantinos „The Hateful 8“ hat dann Morricone 2016 auch seinen längst überfälligen „regulären“ Oscar erhalten.

Zu über 500 Filmen hat Morricone seit den frühen Sixties den Score geliefert. Darunter sind rund hundert Klassiker des italienischen Kinos der Nachkriegszeit von Regisseuren wie: Lina Wertmüller, Dino Risi, Sergio Leone, Marco Bellocchio, Pier Paolo Pasolini, Sergio Sollima, Sergio Corbucci, Mauro Bolognini, Elio Petri, Liliana Cavani, Bernardo Bertolucci, Mario Bava, Dario Argento, Damiano Damiani, Valerio Zurlini und zuletzt Giuseppe Tornatore. Viele dieser Filme wurden erst in den letzten Jahren in Deutschland auf DVD veröffentlicht. Und so kam man als Filmfan an seiner oft sehr experimentellen Musik in der letzten Zeit nie vorbei. Selbst wenn man keine Soundtrack-CD erworben hatte. Manchmal wurde seine Musik dabei in den Hintergrund gemischt und manchmal dominierte sie komplett den Soundtrack des Films. Selbst wer seinen Namen noch nie gehört hat, kennt natürlich sein Harmonika-Thema zu „Spiel mir das Lied“, das die Republikaner in den 90er-Jahren in ihren Wahlspots verwendet haben. Der linke Komponist war nicht amused. Die NSU hat das Spiel ja dann mit Henry Mancinis „Pink-Panther“-Theme noch weiter getrieben und damit die Videos ihrer Mordserie unterlegt. So dass danach die Mancini-Melodie auf Demos von Rechtsradikalen erklang.

Der in Trastevere, Rom, geborene Morricone hat die Musik komponiert zu Melodramen, Politthrillern, Horrorfilmen oder Erotikfilmen. Aber reduziert hat man ihn oft auf seine vielen Scores zu Italo-Western, was ihm gar nicht gefallen hat, wie man bei Interviews mit ihm immer wieder feststellen konnte. Und trotzdem muss nun die Rede sein von seinem berühmtesten Film „Spiel mir das Lied vom Tod“, der im Original übersetzt „Es war einmal im Westen“ heißt, und seiner Zusammenarbeit mit Sergio Leone, den er schon aus seiner Grundschulzeit gekannt hat. Denn hier kann man sehr schön seine Art der Zusammenarbeit nachvollziehen. Sie begann 1964 mit dem Western, der Clint Eastwood über Nacht zum Star machte: „Für ein Handvoll Dollar“, einem freien Remake von Kurosawas „Yojimbo“. Morricone erinnert sich: „Um die Musik zu Leones Filmen zu komponieren, habe ich ganz bewusst die amerikanischen Vorbilder ignoriert. Die Amerikaner unterlegen auch Western im allgemeinen mit symphonischer Musik, was ich nie tun werde. Ich bin der Ansicht, dass die symphonische Sprache zu bombastisch ist, um im Film eingesetzt zu werden. Um das Hauptthema zu ‚Für eine Handvoll Dollar‘ zu finden, spielte ich Sergio ein altes Zigeunerstück vor, das ich einige Jahre zuvor für ein Fernsehprogramm arrangiert hatte, mit Peitschenknall, Pfiffen und Ambossschlägen … Er sagte mir, ich solle es praktisch unverändert lassen.“ Dass der Score dann teilweise nach Tiomkins Musik zu „Rio Bravo“ klingt, ging auf auf eine Idee von Leone zurück, die Morricone gar nicht gefiel, aber er fügte sich. Und wie haben die beiden nun zusammen gearbeitet? „Sergio gibt mir im Allgemeinen nicht einmal das Drehbuch: Er erzählt mir die Geschichte in chronologischer Reihenfolge, sagt mir, wie er die Figuren empfindet und wie die Aufnahmen komponiert werden sollen. Und ich bringe ihm die Musik. Wir diskutieren und es kommt zu einer Art gegenseitiger Anpassung, wie bei einer Ehe, wo zwei Dinge eins werden.“ Ein „perfect match“, wie all die anderen großen „Pärchen“ der Filmmusikgeschichte: Hitchcock & Herrmann, Fellini & Rota oder Truffaut & Delerue.

„Spiel mir das Lied vom Tod“ wird dominiert von Edda Dell’Orsos Sirenenstimme. Ihre Stimme wird hier als Instrument eingesetzt und damit zur Handelnden. Die ganze Musik für den Film war bereits vor den Dreharbeiten fertig, wie Morricone erzählt. „Ich glaube, dass Sergio entsprechend dem Crescendo der Musik die Geschwindigkeit der Dolly, die der Cardinale folgt, als sie den Bahnhof verlässt, ausgerichtet hat. Cheyennes Thema ist sozusagen nebenbei entstanden. Wir waren im Aufnahmeraum, ich habe mich ans Klavier gesetzt und gespielt, Sergio gefiel‘s, und so habe ich es niedergeschrieben.“ Als Walter Murch, ein enger Mitarbeiter von Altman und Coppola Ende der 70er-Jahre für „Apocalypse Now“ den Begriff Sound-Design geprägt hat, haben manche Morricone-Leone-Fans den Begriff sofort verstanden, denn sie erinnerten sich an die 14-minütige Anfangssequenz von „Spiel mir das Lied vom Tod“. Ein Musterbeispiel für subtiles Sound-Design, das Jean Martin & Frieder Butzmann in ihrem Beitrag zu dem sehr empfehlenswerten Band „Filmmusik“ (Springer VS) wie durch ein „akustisches Vergrößerungsglas“ gehört haben: „Das Tropfen von Wasser auf einen Cowboyhut, das Quietschen des Windrades, das Gackern eines Huhns, Wind, das Tickern eines Morsegeräts, eine Fliege, das Schnaufen einer Dampflokomotive, das Kreischen der metallischen Zugbremse und mehr. Dies ist eine Hi-Fi-Klanglandschaft, die einen plastischen, dreidimensionalen Eindruck des Ortes vermittelt.“ Und sie fügen hinzu: „Eine so intensivierte akustische Realität ist nur aufgrund einer avancierten Audiotechnologie möglich: Mit hochempfindlichen Spezialmikrophonen und digitalen Recordern können leise Geräusche isoliert und präzise aufgezeichnet, verstärkt und kreativ in einem Soundtrack platziert werden.“ Und selbst der Klang der Mundharmonika wird hier als leitmotivisches Geräusch benutzt: „Die Harmonika wird nicht gespielt, sondern sie sonifiziert, eingeklemmt in seinen Mund, das Ein- und Ausatmen des Jungen, dessen Bruder mit einer Schlinge um den Hals auf seinen Schultern steht, bis er ohnmächtig zusammenbricht.“ Dass Morricone in dieser Zeit auch als grandioser Arrangeur für Mina, Milva, Mireille Mathieu, Gino Paoli, Chet Baker oder Chico Buarque arbeitete und klassische „moderne Musik“ komponierte, muss hier nur Fußnote bleiben. Am 10. November feiert „il maestro“ seinen 90. Geburtstag.

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