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Foto: Susanne van Loon
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Standing Ovations für Pat Metheny im Opernhaus

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Gitarrengipfel und zwei Nachwuchspreisträger in der Tieflandsbucht – die Leipziger Jazztage 2017
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Wie fließend die Genregrenzen im zeitgenössischen Jazz sind, haben die 41. Leipziger Jazztage unter Beweis gestellt. Über 100 Musikerinnen und Musiker zogen in 22 Konzerten heimisches sowie weitgereistes Publikum in ihren Bann. Die Spielorte des Festivals sind nach wie vor signifikant, reichen sie doch vom kleinen Szeneclub bis hin zum städtischen Opernhaus. Neuer Spielort in diesem Jahr war das zum Veranstaltungsort umgebaute Westbad, das mit einer Kapazität von über 900 Plätzen an den zwei Konzert­abenden restlos ausverkauft war – ebenso wie fast alle anderen Festival-Konzerte.

Ein anderes Novum dieses Jahrganges war die Entscheidung der Mitarbeiter des Leipziger Jazzclubs, erstmals ein Instrument in den Mittelpunkt zu stellen: die Gitarre. Es ist kein Zufall, dass gerade dieses Instrument gewählt wurde, ist es doch eine Art Bindeglied zwischen zeitgenössischem Jazz und Popmusik. Ein beachtlicher Gitarren-Nachwuchs prägt in den letzten Jahren zunehmend die Jazzszene, einige dieser jungen Musiker waren zu den Leipziger Jazztagen eingeladen worden.

So gleich am ersten Abend der in Deutschland weitgehend unbekannte israelische Gitarrist Gilad Hekselman. Er lebt seit neun Jahren in New York, dort hat er seine Vorbilder und Mitstreiter gefunden. Im charmanten Lichtspieltheater UT Connewitz waren er und sein Trio (Rick Rosato, kb, Jonathan Pinson, dr) mehr als ein Festival-Appetizer. Inspiriert von Gitarrengrößen der Jazzmusik wie John Abercrombie, Pat Metheny, Barney Kessel oder Baden Powell spielte sich Hekselman mit seinen „wortlosen Songs“ mit Leichtigkeit ins Heute, um seinen gänzlich eigenen Stil zu zelebrieren.

Zur Tradition der Leipziger Jazztage gehört die Verleihung des Leipziger Jazznachwuchspreises, bereitgestellt von der Marion Ermer Stiftung. Der Schlagzeuger und Komponist Philipp Scholz stand bereits beim Preisträgerkonzert im vergangenen Jahr als Sideman von Robert Lucaciu auf der Bühne. In diesem Jahr konnte er den mit 6.500 Euro dotierten Preis selbst entgegennehmen. Der renommierte Jazzkenner und Juryvorsitzende Bert Noglik beschreibt in seiner Laudatio Scholz’ musikalische Fertigkeiten so: „Er formt mit seinem Schlagzeug aus Buchstaben Worte und aus Worten Geschichten“. Das stellte er dann mit seiner Band FLAM unter Beweis: zwei Tenorsaxophone (Sebastian Gille und Damian Dalla Torre), Gitarre (Konni Behrendt) und am Kontrabass sein Langzeitkompagnon Robert Lucaciu. Die introvertiert und atmosphärisch klingenden Eigenkompositionen sind rhythmisch sehr komplex. Und obwohl die Stücke auskomponiert sind, klingen sie frei. Scholz lässt seinen Mitspielern breiten Raum, ohne sich dabei selbst in den Vordergrund zu drängen. Doch irgendwie fehlt im akademisch anmutenden Konzert der überspringende Funke zum Publikum.

Die Vielseitigkeit des Philipp Scholz konnten die Besucher der Jazztage an zwei weiteren Abenden erleben. Zum einen trommelte er sich gemeinsam mit der genialen Monika Roscher in die Welt des Bigband-Jazz, zum anderen war er kongenialer Partner in der Band des zappamäßigen Gitarrenartisten Werner Neumann. Die 33-jährige Gitarristin und Sängerin Monika Roscher und ihre Bigband machen schon seit einigen Jahren von sich reden, haben bereits einen Echo-Jazz-Nachwuchspreis ergattert. Wer sie noch nicht kannte, konnte sich im Leipziger Westbad von der Agilität, der Durchsetzungskraft, dem Witz und der Waghalsigkeit der jungen Musikerin überzeugen. Mutig vermischt sie Indie, Jazz, Punk, Rock und Pop-Psychedelia. Auch visuell weiß sie ihre musikalischen Ideen zu untermalen. Und ihre 17-köpfige Band hat sie im wahrsten Sinn des Wortes im Griff.

Zwei Höhepunkte gab es bei den Leipziger Jazztagen: das waren zum einen das Konzert mit Dominic Miller, an seiner Seite Nicolas Fiszman an der Akustik- und Bassgitarre sowie Miles Bould am Schlagzeug. Miller ist Weggefährte und mehr als Sideman von Sting, der ihn einmal als seine rechte und linke Hand bezeichnete. Und so war der Ausflug in die Rock- und Popgeschichte an diesem Abend nicht verwunderlich. Am liebsten hätte man mitgesungen bei „Shape Of My Heart“ oder „Fields Of Gold“. Miller gewinnt diesen Popklassikern erstaunlich neue Facetten ab und faszinierte sein Publikum im vollständig ausverkauften Westbad.

Das einzige Konzert im Opernhaus und zweiter Höhepunkt war „An Evening With Pat Metheny“. Der 20-fache Grammy-Award Gewinner eröffnete das Konzert mit einer Solodarbietung auf seiner 42-seitigen Gitarre, welche die Klangfülle eines Orchesters bot. Dann betrat seine aktuelle Band die Bühne: der mexikanische Schlagzeuger und langjährige Begleiter Antonio Sanchez, die malaisische Bassistin Linda Oh sowie der walisische Pianist Gwilym Simcock. Titel wie „Bright Size Life“ oder „Have You Heard“ rissen das Publikum mit. Simcock glänzte mit technischer Virtuosität und geschmackvollen Soli, konnte sich aber im Mix mit Methenys Gitarren nur schwer absetzen. Nur während seiner Soli war er vom Publikum gut zu vernehmen.

Die Soundprobleme konnten aber offenbar behoben werden, und das Publikum wurde für seine Geduld reichlich belohnt. Die drei Metheny-Stunden und die 41. Leipziger Jazztage endeten mit „Standing Ovations“.


Zum Foto: Im Jazzrausch

„Jazzrausch“, die Residence Band des Techno Clubs Harry Klein in München feierte ihre Leipziger Premiere:­ Die Einladung auf die Jazztage war Teil des BMW Welt Young Artist Jazz Award, den Bandleader und Posaunist Roman Sladek dieses Jahr erhalten hat. Sladek (Foto oben) und Komponist Leonhard Kuhn bauten ins massive Techno-Gerüst feine, ausgefeilte Bläsersätze und Soli ein. Ist man einmal im „Jazzrausch“ gewesen, dann kann man sich nach dessen Abklingen gar nicht mehr vorstellen, dass Techno­ nicht schon immer so lebendig geklungen haben soll. Bruckners Klangkathedralen treffen auf Techno-Futurismus – extrem vertrackte Grooves fordern von den Musikern Höchstes und bieten dem Publikum vergnügliche Reibungsfläche. Und dass man zu Techno auch inspirierte Soli spielen kann, bewiesen insbesondere die Trompeterin Angela Avetisyan sowie die Holzbläser Daniel Klingl, Moritz Stahl, Raphael Huber und Florian Leuschner. Eine Woche später bekamen die Münchner Techno-Jazzer um Roman Sladek ihren BMW Award im Münchner Jazzclub Unterfahrt überreicht. Auch hier Dance­floor-Stimmung pur – man darf auf das nächste Projekt des jungen Münchner Preisträgers gespannt sein.

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