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Stimmige Second-Hand-Nostalgie

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„Frankfurt Contemporary String Quartet“ bei musica viva
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Im zeitgenössischen Konzertbetrieb tummelt man sich heute gerne in Grenz- oder besser Crossover-Bereichen zu Rock und Pop und schlägt hiermit den Altavantgardisten mit ihren so statuarischen Kunstkriterien (wie Differenzierung, Komplexität, Materialerweiterung) ein Schnippchen. Es hat ein wenig von Wellness-Kultur, die hier Platz zu greifen sucht.

Das klassische Streichquartett hat sich in diesem Bereich staunenswerterweise eine veritable Position gesichert, vor allem das mit Haftmikrophonen elektronisch verstärkte. Die Anstrichakzente werden aggressiver, markieren Beat und harte Cuts, das Handgelenk kann betont locker agieren und erzeugt gleichwohl herbe Akzente. Die Attack-Frequenzen werden größer. Auf dieser Basis ist in letzter Zeit, angeführt von den Kronos-Leuten, eine stattliche Zahl von Formationen entstanden, parallel dazu vermehrte sich die Literatur. Auch das „Frankfurt Contemporary String Quartet“ (eine Sektion des Ensemble Modern) reiht sich da ein und erhebt zugleich und zu Recht den Anspruch eines Spitzen-Ensembles.

Das Konzert war zweigeteilt. Zunächst gab es drei Stücke „Steichquartett Plus ...“. Sie stammten von einer Gruppe von Musikern, die mit den „HCD-Productions“ ein eigenes Label gründeten: Dietmar Wiesner, Cathy Milliken und Hermann Kretschmar. Alle drei sind nicht als Komponisten sui generis zu bezeichnen, was sich letztlich auf die Qualität des Gebotenen niederschlug. Es waren virtuose Fingerübungen, die von den Interpreten stupende Präsenz forderten, aber jede auf ihre Weise ins Leere liefen. Das war bei Wiesners „Zong“ mit seinem heftigen Streichergewitter ebenso, wie in Millikens kryptisch geflüsterten „6 Memos“, in denen sich zu Flötenklängen querständig zwischen stilistischen Bezirken vagierende Streichergeflechte ansiedelten. Und Kretschmars „Plötzlich ging die Sonne aus“ brachte immerhin eine Begegnung mit dem wendig frischen New-Generation-Moderator der 70er-Jahre Ilja Richter, der mittlerweile in Wesen und Erscheinung einige Patina angesetzt hat. Über einem barockisierenden Concerto-Ground, wie ihn der etwa der Filmmusiker Michael Nyman so griffig zu gestalten versteht, skandierte Richter Texte von Konrad Beyer aus der skurril antilogischen „Wiener Gruppe“, die vor 50 Jahren den Begriff von Literatur neu aufmischte. Immerhin: Richter schaffte den Spagat in eine ihm fremde Welt und die Spreizmühen gaben dem Ganzen einen eigenen Reiz.

Im zweiten Teil folgte ein 120-minütiges Wandelkonzert von Bernd Thewes (geb. 1957): „Wait for the Ricochet“: ein trans-konzertantes Ereigniss für Pressluftgeiger, Streichquartett und Klanginstallation nach dem Song „Child in Time“ der Rockgruppe Deep Purple. Klammheimlich hatte das Publikum beschlossen, den Wandelcharakter in dieser Überlängedarbietung zum eigenen Verchwinden zu nutzen. Diese an sich verständliche Maßnahme, denn die Prinzipien des transkonzertanten Ereignisses waren schnell zu überblicken, wurde letztlich dem Stück nicht gerecht. Ein großer Aufbau hatte Klangvorhänge installiert, eine mit der Spitze nach unten hängende Pyramide aus 49 Kassetten-Recordern, ein echtes Streichquartett, eben die Frankfurter Gruppe, mit wechselnden Aufstellungen und, als Hauptattraktion, ein über Pressluft und Schwellkörper mechanisch betriebenes Quartett mit all seinen Frühroboter-Beschränkungen. Computer lenkten die zeitlich und klanglich genau vorformulierten Raumaktionen. Die Zeit verging und nach und nach gewannen die Verbliebenen immer mehr Geschmack am exakt kalkulierten Sammelsurium der klanglichen Exzesse und der Stillezonen. Die Aura des Unaufgeräumten, wie auf einem Trödelmarkt erfasste das Stück, das sich Second-Hand-Nostalgie verordnete und ihr konsequent treu blieb.

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