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Multitalent Neyma: Sängerin, Tänzerin, Schauspielerin, Model und Keyboarderin aus Mosambik. Foto: Music In Africa
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Superstar in zwei Wochen

Untertitel
Ein Spaziergang über den Alaba International Market in Lagos
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Als ich eines Abends auf dem Alaba International Market mit einem Verkäufer spreche, kommt ein großer, dünner Mann an den Stand. Ich trage Jeans, Converse-Schuhe, eine Jacke mit einem glänzenden Davidstern unterhalb meiner linken Schulter, aber vielleicht ist es die violette RayBan, die ihn dazu veranlasst, mir nach einer kurzen Pause die Frage zu stellen: „You wan promote your song?“

Ich brauche einen Moment, um mich an meinen neuen Beruf zu gewöhnen. Wie viel? frage ich. Er streicht mit der Hand über die Papierhüllen einiger CDs, die vor uns liegen. Der Verkäufer schaut schweigend zu. Unser Besuch sagt, es komme darauf an. Es gibt die Möglichkeit einer monatlichen Zahlung, wenn ich bei mehreren Mixes dabei sein wolle; Es gibt auch die Option eines einmaligen Honorars bei einmaliger Aufnahme in eine Kompilation-CD.  „You bring your song?“ fragt er.

„Na my first time be dis. I just came to ask questions.“

„Make we go up,“ sagt er mit einer Handgeste, „make I show you...“ Er nennt den Namen des zuständigen Mannes.

Ich bitte ihn um etwas Zeit: Ich möchte ein paar CDs kaufen. Er sagt, er werde wiederkommen und geht.

Der Verkäufer – nennen wir ihn Emeka – sieht nicht sehr erfreut aus. Aber er freut sich, etwas zu verkaufen. Er arbeitet noch kein ganzes Jahr für seinen Chef und ist dafür bestellt, den Laden zu betreuen, nicht um Künstler zu promoten. Dennoch ist er ziemlich stolz auf den Betrieb, zeigt mir das Logo seines Chefs und dessen Telefonnummer auf der Hinterseite einiger CDs. Er will mir beweisen, wie erfolgreich die Klienten seines Chefs sind und deutet auf einen Mann auf einem großen Transparent hoch über der Straße vor dem Laden. Danach zeigt er mir Namen und Bild des Mannes auf einigen der CDs, die zum Verkauf angeboten werden. Diese Methode nennt sich „street promotion“, wie sein Chef es später bezeichnet, und ist Kunst und ungenaue Wissenschaft zugleich.

Die Kunst: Neue Künstler bezahlen dafür, dass ihre Musik in Kompilationen aufgenommen wird, auf denen Hit-Nummern präsentiert werden. Auf den Kompilationen sind zwischen 15 und 30 Songs von prominenten Künstlern wie Wizkid, Tekno, Burna Boy, und dazwischen taucht ein Lied eines unbekannten Künstlers auf. Wenn der Mix Erfolg hat, dann ist es möglich, dass auch der unbekannte Künstler zu einem „blow“ wird. Die Wissenschaft: Der Promoter erstellt etliche Kompilationen, bei denen immer der unbekannte Künstler zwischen die bekannten Namen geschoben wird. Es ist ein Zahlenspiel: je mehr Exemplare und Kompilationen hergestellt werden, desto größer ist die Chance auf Erfolg. Die Ungenauigkeit: Emeka zeigt ein paar Produkte her, die das Bild des Klienten zeigen. Auf dem einen scheint die Musik dieses Mannes nicht auf der Trackliste auf. Schnell findet er ein anderes Produkt, das Bild und Lied des Klienten enthält. Ich habe noch nie von ihm gehört, aber vielleicht ist es dafür noch zu früh.

Alaba Market wurde in den 1970er-Jahren gegründet und ist der größte Elektronikhandel in Westafrika, aber in den 1990ern eilte ihm in Nigeria der Ruf eines Piratennests voraus. Die unheimlich effiziente Fähigkeit dieses Marktes, Ware billig anzubieten und zu verbreiten, schuf große Probleme für die Kreativindustrie, insbesondere die Musik- und die Filmindustrie.

Ein Aspekt seines Einflusses auf die Szene war die Drosselung der CD-Preise, nachdem es trotz mehrerer Interventionen und Razzien nicht gelungen war, das Problem in den Griff zu bekommen. Hand in Hand mit den gesenkten Preisen geht das Erscheinungsbild des Albums, das auf eine in eine Papierhülle gesteckte CD reduziert wurde. Plastikhüllen verschwanden; Original und Fälschung wurden identisch. Einige der bekannten aktuellen Künstler nahmen Alben auf, trugen sie zu den Händlern des Alaba Marktes, bekamen unterschiedliche Summen – manche sagen, Burna Boy bekam zehn Millionen Naira für sein Album „Life“, P-Square soll 60 Millionen Naira bekommen haben für „Game Over“; MI Abaga 20 Millionen Naira für „M12“ – die Verkaufslogistik sollen sie ihren jeweiligen Händlern überlassen haben.Der Markt hat um seinen Ruf gekämpft und seine Wichtigkeit für die Industrie behauptet. „Sie kommen und bitten uns, ihre Musik zu verkaufen“, erzählte ein Händler letztes Jahr in einem TV-Interview. „Ein Alaba-Mixtape trägt die Musik eines Künstlers überall hin. Man kann Alaba-Mixtapes auch in Aba kaufen … Das ist keine Piraterie.“

Emekas Chef, ein bulliger, umgänglicher Mann, stimmt zu. „If you want to blow“, erklärt er mir in seinem Büro, „you need street promotion. Everybody will hear your music.“ Aber wie lange dauert das im Schnitt?

Es kommt darauf an. „If you want to blow in two weeks na money“, sagt er und erklärt mir dann den Vorgang. Die Vereinigung von Alaba Promotern – eine Gruppe, die, wie er behauptet, beim Kommerzamt registriert sei – hat ungefähr 40 aktive Mitglieder. Jeder bekommt 50.000 Naira von dem aufstrebenden Künstler und dessen Team. „But that’s big money“, sagt er, mustert mich verstohlen und kommt offenbar zum Schluss, dass ich zu dünn bin. Jedes Mitglied produziert dann Kompilations-CDs mit Liedern von echten Popgrößen und Liedern von dem unbekannten Künstler. „Any type of song will blow. People say they don’t like a song once, but when they hear it again and again they will like it.“ Seine Überzeugung scheint begründet: Auf seinem Tisch stehen einige Preistrophäen. Er bietet einen der Pläne an, die sein Helfer zuvor schon erwähnt hat: Zahle 50.000 Naira für einen Monat, in dem 15 verschiedene Mixtapes erstellt werden, von denen jedes mehrere hundert Male vervielfältigt wird. Die andere Variante besteht darin, dass er 10.000 Naira dafür bekommt, dass ich in ein einziges Mixtape aufgenommen werde. Er ist der Ansicht, dass das Angebot den Preis wert ist. Ein bekannter Song öffnet einem Künstler die Tür zu Konzertengagements und hilft ihm, Werbeverträge zu bekommen – beides ist mittlerweile eine wesentliche Einnahmequelle für Musiker. Die Händler scheinen einhellig an die Harmlosigkeit ihres Modells zu glauben. Aber die Ansicht seitens jener, die die Musik machen, fällt nicht so ungeteilt aus.

„Diese Mixtape-Kompilationen sind die Weiterentwicklung eines HipHop-Modells“, sagt Obi Asika, Kreativunternehmer und Industrieexperte. „Dort dreht sich alles um Entdeckungen und darum, dass etablierte und unbekannte Künstler im selben Rahmen auftreten. Jeder will gehört werden und bei der Musik geht es hauptsächlich um die Erfahrung auf dem Markt. Die Besitzer machen nahezu keinen Gewinn, aber weil sie bekannt sind, machen fast alle Künstler gebrauch davon.“

Edward Israel-Ayide, Leiter der Abteiltung Marketing und PR beim Plattenlabel Chocolate City hält sich bei dem Thema weniger bedeckt. „Alaba schadet allen“, sagt er zu mir. „Die Langzeitfolgen der Piraterie überwiegen den Gewinn. Wenn die Leute an die Musik nur über Boom Player, MTN Music Plus, Spinlet oder irgendwelche anderen Streaming-Plattformen kommen könnten, dann wäre der Gewinn größer.“

Es ist ihm bewusst, dass die Künstler ihre Musik nach Alaba bringen – „ein oder zwei Singles“ von einem schlechtverkauften Album –, aber „es ist eine bequeme Herangehensweise, die zur Norm geworden ist. Wie haben es die Leute im Westen geschafft? Wie kommt es, dass Künstler wie Timi Dakolo und Bez noch immer zu Shows eingeladen werden? Sie singen noch nicht einmal Popmusik. Man muss Beziehungen pflegen.“

Alaba und die laxen Piraterie-Gesetze

Wenn ich Emekas Chef in Alaba frage, ob das Mixtape-System nicht illegal sei, da die bekannten Künstler ihre Zustimmung dazu nicht erteilt haben, weist er darauf hin, dass die wahren Schuldigen die Blogger sind. „They download an entire album from iTunes and put on their website a day after.“ Er mag damit jemand anderem die Schuld zuschieben, aber Adekunle Gold tweetete letztes Jahr tatsächlich, dass er erwäge rechtliche Schritte gegen einige Blogs einzuleiten. Als sich die Nachricht die ser Drohung auf den Musikblogs herumsprach, wurde er in einigen Kommentaren der Undankbarkeit bezichtigt. Sie hätten nur versucht, seine Karriere zu unterstützen und ihm zu mehr Berühmtheit zu verhelfen.

Israel-Ayide hatte eine ähnliche Begegnung. Er kontaktierte einen Blog mit südafrikanischen Verbindungen, der Musik von einem nigerianischen Künstler gepostet hatte und bekam die Antwort: „Aber ich bin doch ein Fan und wollte ihn nur berühmt machen in Südafrika.“ Dennoch glaubt er, Alaba habe zur Verschlechterung einer nicht idealen Situation beigetragen. „Ein großer Produzent in Nollywood“, sagt er, „hat gewisse Lieder genommen und einfach in seinem Film verwendet, der Millionen eingespielt hat. Anstatt sich eine Lizenz auf diese Musik zu verschaffen, behauptete er, diesem Künstler einen Gefallen zu tun. Jetzt glauben alle, dass es so funktioniert.“ Der Geschäftsführer der Urheberrechtegesellschaft Nigerias (COSON), Chinedu Chukwuji, findet, „Verbrechen ist Verbrechen. Einen neuen Hit zu produzieren, kostet Schweiß und Blut, überhaupt ein Lied zu produzieren, kostet Schweiß und Blut“, sagt er. „Aufnahmen kosten viel Geld, und eine CD mit 20, 30 Liedern kostet in Alaba 50 oder 100 Naira. Der Promoter verursacht keine Kosten. Wenn man also eine Kompilation kauft, zahlt man für das Plastik. Je mehr Musik darauf gepackt wurde, desto wertloser die CD. Ein Verlust für alle. Der Künstler kann seine Steuern nicht zahlen, die Regierung hat davon kein Einkommen und es kommen keine Investoren ins Boot.“

Um dem Problem beizukommen, hat COSON etliche Gespräche mit der Regierung geführt. Die Organisation sprach kürzlich mit dem Polizeigeneralinspektor über den Vollzug der Gesetze. Aber die Organisation war über die Jahre in ihrem eigenen Supf versunken. Sie war mit ihrem Leiter Tony Okoroji selbst in etliche Gerichtsprozesse verstrickt, was wenig zu ihrem Ansehen beigetragen hat. Bezüglich Piraterie sagte Michael Odion vom Premier Musik Plattenlabel, dass ein Teil des Problems in den Alleingängen liege. „COSON, MCSN (Urheberrechtsgesellschaft Nigerias) – alle kochen ihr eigenes Süppchen“, sagt er. „Solange es keine Struktur und keine geschlossene Front im Kampf gegen die Piraterie gibt, wird die Regierung nichts dagegen unternehmen.“

COSON hat versucht, die Interessenvertreter zusammenzubringen, um dann gemeinsam Forderungen an die Regierung zu stellen. Sie verlangen unter anderem strengere Gesetze, härteren Gesetzesvollzug und eine neue Klausel im Urheberrechtsgesetz, die bestimmt, dass Importeure und Hersteller von digitalen Speichermedien eine kleine Abgabe zu bezahlen haben, die der Industrie zugute kommt.

Für Chukwuji ist die Sache einfach. Geistiges Eigentum sei wichtig, sagt er und weist darauf hin, dass mit die reichsten Männer der Welt – Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, Bill Gates – auf die eine oder andere Art mit geistigem Eigentum handeln. „Wenn unser Rohöl zu anderen Orten, in andere Länder abgezweigt würde, was, glauben Sie, würde die Regierung tun?“, fragt er. „Die Bundesregierung Nigerias würde einen Krieg anfangen.“

Zur Frage, wie Künstler, die ein Publikum suchen, vorgehen sollten, sagt er, die Zeiten haben sich geändert. Künstler können das Internet benutzen. Er räumt zwar ein, dass im Rundfunk mit Schmiergeldern operiert wird, sagt aber: „Wenn deine Arbeit gut ist, bekommt sie ihre Sendezeit.“
Zurück auf dem Alaba International Market besteht Emekas Chef darauf, dass „street promotion“ billiger sei als der herkömmliche Weg übers Radio, besonders für unabhängige Künstler. Für reiche Künstler ist es sogar noch besser. Er nennt einige berühmte Künstler, erzählt mir von Davido, dem Sohn eines Milliardärs, „who spread money everywhere.“ Ich halte seine Karte in Händen. Er dreht sich zu mir, während er sein Büro zuschließt. „If you have any more questions“, sagt er, „call me“.

Übersetzung: Barbara Eckle

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