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Exquisit mikrophonierte Schwarzwaldidylle: Ed Thigpen, Ray Brown und Oscar Peterson in Hans Georg Brunner-Schwers Wohnzimmer. Anschließend ging‘s zum Abhören der Ergebnisse unter‘s Dach. Foto: Sepp Werkmeister
Exquisit mikrophonierte Schwarzwaldidylle: Ed Thigpen, Ray Brown und Oscar Peterson in Hans Georg Brunner-Schwers Wohnzimmer. Anschließend ging‘s zum Abhören der Ergebnisse unter‘s Dach. Foto: Sepp Werkmeister
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Swingfutter für Anhänger der reinen Analoglehre

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Edel presst die Schätze aus dem MPS-Jazzkatalog auf Vinyl – den Anfang machen die legendären Peterson-Aufnahmen
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Villingen, im Herbst 1963. Es ist schon nach Mitternacht, als sich der massige Körper eines Pianisten durch die Haustür der Schwarzwald-Villa schiebt. Vor wenigen Stunden stand er mit seinem Trio noch auf einer Züricher Bühne, nun soll er in diesem Wohnzimmer ein Privatkonzert geben. Der Hausherr schneidet von seinem Regieraum unterm Dach aus mit. Es ist der SABA-Technik-Geschäftsführer Hans Georg Brunner-Schwer, der Pianist ist Oscar Peterson.

Oft ist die Geschichte von dieser denkwürdigen Aufnahme-Session erzählt worden. Im Lauf der folgenden Jahre kamen weitere ähnliche Sitzungen hinzu, und nachdem Oscar Petersons vorheriger Plattenvertrag ausgelaufen war, konnte der mittlerweile als Musikproduzent seiner Leidenschaft frönende Brunner-Schwer sie 1968 auf seinem neu gegründeten Label MPS (Musik Produktion Schwarzwald) veröffentlichen. „Exclusively for my friends“ hatte Peterson mit seinem Trio ursprünglich gespielt, und unter diesem Motto stießen die sechs LPs dann auch auf die begeisterte Zustimmung von Fans, Kritikern und vor allem von Peterson selbst.

Der von seinem Manager Norman Granz für das Verve-Label zu regelrechten Aufnahme-Marathons verdonnerte Starpianist genoss die Repertoire-Freiheit und die familiäre Atmosphäre, die der Jazz-Enthusiast „HGBS“ ihm bieten konnte. Außerdem teilte er dessen eigenwillige Klangästhetik: Brunner-Schwer wollte mit aus heutiger Sicht befremdlich nah am und sogar im Instrument positionierten Mikrophonen den Pianosound möglichst so konservieren, wie er vom Spieler selbst wahrgenommen wird. Dieser originellen Auffassung und dem ausgezeichneten technischen Equipment ist es zu verdanken, dass wir das ganze Spektrum von Petersons Anschlagskultur erleben können. Und das zu einer Zeit, da selbst aus berühmten Einspielungen, etwa von Blue Note, das Piano eher mulmig heraustönt.

Kein Wunder also, dass sich die Hamburger Edel AG genau diese Aufnahmen ausgesucht hat, um die Übernahme des kompletten MPS-Jazzkatalogs mit einer audiophilen Vinyl-Edition zu feiern. Die beiden für die Wiederveröffentlichung verantwortlichen Toningenieure Christoph Stickel und Dirk Sommer verfolgten dabei die reine Analoglehre. „Man soll nicht hören, dass da jemand herumgeschraubt hat“, gibt Dirk Sommer, Chefredakteur des Onlinemagazins „hifistatement.net“, zu Protokoll. „Wir haben die Originalbänder mit einem analogen Equalizer nur ein wenig aufgefrischt und damit vor allem die Qualitätsverluste ausgeglichen, die durch die Lagerung der Bänder entstanden sind.“

Die Idee, die Platten möglichst originalgetreu so wiederzuveröffentlichen, wie sie seinerzeit auf den Markt kamen, setzt sich bei der Ausstattung fort: Die LP-Hüllen sind eins zu eins nachgedruckt worden, mit Tippfehlern und ohne einen einzigen Hinweis auf Edel als Herausgeber. Deren Logo prangt nur auf dem schwarzen Schuber. Diesen Purismus in Ehren, aber ein paar zusätzliche Informationen über die mittlerweile ziemlich genau rekonstruierten Aufnahmedaten der Sitzungen wären aufschlussreicher gewesen als die hübschen, aber in dieser Hinsicht wenig hilfreichen Faksimiles der Bandbeschriftungen. Auch einen MP3-Download vermisst man als Service für die Käufer der nicht ganz billigen Box (ca. 150 Euro; die Alben sind ab Juli auch einzeln erhältlich).

Die Pressung der sechs 180g-schweren Scheiben ist tadellos, die Fülle, Wärme und Körperlichkeit der Aufnahmen mit Händen zu greifen. Auch die musikalische Ausbeute ist hoch. Musste Peterson sich in dieser Phase wegen der Verve-Massenproduktion die Kritik gefallen lassen, er spule nur noch routiniert seine stupenden manuellen Fähigkeiten herunter, so schien er in entspannter Schwarzwald-Stimmung wieder ganz bei sich anzukommen. Natürlich gibt es die typischen, aberwitzigen Uptempo-Nummern mit entsprechenden, teils in beiden Händen unisono herunterprasselnden Tonkaskaden und jede Menge bluesgetränkten Swing. Aber auch der lyrische, in sich gekehrte Peterson ist zu erleben, besonders intensiv auf der komplett solistischen Folge „My favourite instrument“.

Von den Trioaufnahmen ist als ganzes Album vielleicht „Mellow Mood“ die überzeugendste, auch klanglich geschlossenste Scheibe. Die Zusammenarbeit mit Bassist Sam Jones, dessen Töne wuchtig mit der linken Klavierhand verschmelzen, und Drummer Bobby Durham bezeichnete Peterson selbst als „hundertprozentige Realisierung dessen, was ich schon immer machen wollte“. Mit köstlichen Big-Band-Anspielungen (Ellington, Basie, Henderson) und einer wunderbaren Verbeugung vor Art Tatum im Intro zu „Who can I turn to“ erweist der Pianist der Jazztradition seine Reverenz.

Kein Zweifel, diese opulente Box ist dazu angetan, den nie ganz abgeflauten, aber in den vergangenen Jahren stetig gewachsenen Vinyl-Enthusiasmus weiter zu befeuern. Der Trend geht, da ist sich Dirk Sommer sicher, dahin, dass es zukünftig nur noch zwei Vertriebswege geben wird: den digitalen per Download oder Stream und den Vinylmarkt. Dank eines holländischen Herstellers kommt in den nächsten Jahren eine neue Nische hinzu: Die Peterson-Aufnahmen erscheinen auch auf Tonband, und nächstes Jahr, so heißt es in Branchenkreisen, kommt auch wieder ein Tonbandgerät auf den Markt. Was die Zukunft des MPS-Jazzkatalogs angeht, so wird die Edel AG ihre Vinyl-Offensive im Herbst fortsetzen. Auf den Markt kommt dann die Weihnachtsplatte der Singers Unlimited, eine Live-Aufnahme mit Ella Fitzgerald und „Intercontinental“ von Joe Pass. „Die klingt super“, schwärmt Dirk Sommer, der hofft, dass er Edel überzeugen kann, einige der von Friedrich Gulda unter dem Pseudonym Alfred Golowin eingespielten Austria-Blues-Platten neu herauszubringen. Des wär’ a Hetz …

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