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Trommelkurs in der Justizvollzugsanstalt

Untertitel
Terra incognita für den „normalen“ Musikpädagogen: über die Arbeit einer Schulleiterin im Gefängnis
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Seit 14 Jahren ist sie als Musikpädagogin tätig, gibt Eltern-Kind-Kurse, musikalische Früherziehung und arbeitet erfolgreich mit Behinderten. Sie ist die stellvertretende Schulleiterin der Kreismusikschule Limburg. Dass sie mal ins Gefängnis kommt, hätte sie sich nicht träumen lassen. Und doch ist genau das passiert: Seit über einem Jahr schon ist Andrea Dillmann Woche für Woche in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Limburg. Dort leitet sie einen Trommelkurs, an dem zehn männliche Insassen teilnehmen – eine Stunde lang, jede Woche, dann fährt sie wieder.

Angst vor den Gefangenen hatte ich nie“, sagt Andrea Dillmann. „Ich war vor allem gespannt, wie Männer in dieser speziellen Situation auf eine Frau reagieren, die ihnen etwas beibringen will.“ Doch sie muss Grenzen setzen, jede Woche aufs Neue, denn die Zusammensetzung der Gruppe wechselt häufig. Sie ist verlässlich in ihrer Art, die Männer wissen, was sie erwartet. Sie ist freundlich, aber distanziert. Ihr Kurs hat eine feste Struktur, der Ablauf ist immer gleich: Begrüßung, kurzes Vorstellen der Neuen, dann beginnt sie mit den rhythmischen Übungen: eins – zwei – schnipp … Die Teilnehmer versuchen, ihr zu folgen – gar nicht so einfach. Manchmal spielt sie dazu Orgel oder Keyboard. Aufgetreten sind sie auch schon: zum Sommerfest und zur Weihnachtsfeier in der JVA. „Das war für die Männer ein besonderer Erfolg“, erzählt sie. „Während ich beim Auftritt im Sommer noch mitgetrommelt habe, habe ich zur Weihnachtsfeier dazu Orgel gespielt, so dass die Trommler sich nicht wie sonst an mir orientieren konnten, sondern aufeinander achten mussten. Das hat gut geklappt.“

Über die Delikte wolle sie nichts wissen, sagt sie, weil sie bei ihren Inhalten bleiben wolle, der Musik. Sie wolle in jedem Schüler den Menschen sehen, sagt sie. Das sei der Hintergrund, um den Menschen, mit dem sie es zu tun habe, ernst zu nehmen. Ihre Maxime aus ihrer musikpädagogischen Tätigkeit mit Behinderten laute: „Ich will nicht wissen, was du nicht kannst, sondern mit dir entdecken, was in dir steckt. So halte sie es auch in der JVA.“ Vor allem habe sie interessiert, ob diese Männer tatsächlich was lernen wollen oder einfach nur raus wollen aus ihrer Zelle, gesteht sie. Und tatsächlich schaue mancher nur für eine Stunde mal rein und gehe wieder. Einige haben musikalische Vorkenntnisse, können bereits ein Instrument spielen. Andere versuchen, sie in Machtkämpfe zu verwickeln. Einer habe es nicht ertragen können, von einer Frau gesagt zu bekommen, was zu tun ist. Ständig habe er sie in Diskussionen verwickeln wollen. Sie habe ihm erklärt, dass er bei der Anmeldung wusste, dass der Kurs von einer Frau geleitet wird und sie nun mal den fachlichen Hintergrund habe. Diesmal solle er sich anpassen, das nächste Mal müsse er ja nicht wiederkommen. Seitdem habe er keine Stunde mehr versäumt, sagt sie.

Manche seien sehr bemüht, das Trommeln zu erlernen, erzählt die Musikpädagogin. Speziell in einem Fall sei ihr aufgefallen, wie es einem Mann gut getan habe, mal nicht zu hören: Das kannste sowieso nicht! Er habe sich nichts zugetraut, gemeint, er schaffe es nicht, den Rhythmus zu halten. Aber sie habe ihm nicht erlaubt, einfach zu resignieren. Während ihn anfangs die Angst vorm Versagen blockierte, habe er mit der Zeit immer konzentrierter arbeiten können. So gebe ihr dieses musikalische Tun mit den Gefangenen Einblick in diese Menschen.

Die JVA Limburg
In der JVA Limburg sind ungefähr 75 männliche Gefangene untergebracht, zwei Drittel in Untersuchungshaft, ein Drittel in Strafhaft – das heißt, sie verbüßen in der Regel Strafen mit Freiheitsentzug von bis zu zwölf Monaten. Mehr als 70 Teilnehmer haben an dem Trommelkurs seit seinem Start im September 2004 teilgenommen. Die Idee für den Trommelkurs stammt von Andrea Hackenberg, Sozialpädagogin der JVA, die das Projekt der Kreismusikschule Limburg vorschlug. Der Anstaltleiter Klaus-Dieter Vogt unterstützt das Projekt. Es stehen zehn Plätze zur Verfügung. Die Zusammensetzung der Gruppe unterliegt starken Schwankungen – teils durch Verlegung in andere Anstalten, aber auch durch Abmeldung aus persönlichen Gründen wie Motivationsverlust. Die Instrumente werden von der Kreismusikschule Limburg gestellt und von der Musikpädagogin zu jeder Unterrichtsstunde mitgebracht. Finanziell getragen wurde der Kurs zunächst vom „Verein für Strafffälligenhilfe“ in Limburg. Inzwischen werden die Kosten aus den Haushaltsmitteln der JVA Limburg bestritten. ? steg

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