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Über das Ausloten der Klänge

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Das erste dänisch-deutsche Komponistentreffen im Louisiana Museum
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Dänische Neue Musik, ist hierzulande kaum bekannt. Und wer weiß Bescheid über die Alte, über die erst seit etwa 150 Jahren berichtet wird? Über Niels W. Gade, Carl Nielsen oder Rued Langgaard zum Beispiel? Gibt es eine charakteristische dänische Musik? Eine charakteristisch deutsche soll es ja geben nach manch konservativem Zeugnis. Nichts ist geklärt. Um sich all den eingangs gestellten Fragen zu nähern, trafen sich in Dänemark zwei deutsche und vier dänische Komponisten: zum ersten dänisch-deutschen Treffen dieser Art vom 25. bis 29. September 1999. Seit Jahren schon arbeitete der ehemalige Direktor des Kopenhagener Goethe-Instituts, Dr. Uwe Schmelter, an dem Plan, ein solches Symposion zu realisieren. Jetzt, bevor sein Wunsch in Erfüllung gegangen ist, wurde er nach Seoul versetzt. Das Goethe-Institut, die Organisation der „Dänischen Musikzeitschriften“ und das Museum Louisiana hatten geladen, ebenso das Music Informations Center (MIC) mit Jens Rossel. Finanziell beteiligten sich das Dänische Kulturinstitut, der Dänische Kulturrat und der Dänische Kulturfonds. Der Musikjournalist und Mit-Promotor der Begegnung, Anders Beyer, sorgte für den problemlosen Ablauf. Ort des Geschehens war Humlebæk. Dort liegt das Louisiana Museum, direkt an der Ostsee, 30 Kilometer von Kopenhagen entfernt. Die Umgebung ist animierend: Wasser, sanfte Wiesen, Parks, riesige Bäume, Architektur und Skulpturen berühmter Meister aus aller Welt. In diesem Biotop für die Künste kann nichts schief gehen, auch nicht für Musiker. Das Museum verfügt über einen Konzertsaal und über Konferenzräume, die allesamt mit bemerkenswerten Kunstwerken ausgestattet sind. Schief gegangen ist dann doch etwas: Von deutscher Seite mussten die zur Tagung geladenen Komponisten Wolfgang Rihm, Wilhelm Killmayer und Giselher Klebe ihre Teilnahme absagen. Aber die Veranstalter haben dann einen guten Griff getan. Sie luden eine Künstlerin und einen Künstler der jüngeren Generation ein: Annette Schlünz, die 1964 in Dessau geborene Komponistin, und den 36-jährigen, in Neuburg an der Donau lebenden Komponisten Tobias PM Schneid. Ihre Musik war, wenn man so will, konfrontiert mit der von vier dänischen Komponisten: Per Norgard, Karl Agre Rasmussen, Bent Sørensen und Peter Bruun. Also: Warum ist die dänische Musik in Deutschland ziemlich ungehört? Liegt es daran, dass man in unserem Land das Vorurteil pflegt, der Fortschritt in der Musik sei in Dänemark noch nicht angekommen? Fest steht: Die Komponisten beider Länder haben sich gleichermaßen mit den in diesem Jahrhundert erfundenen Kompositionstechniken und -möglichkeiten auseinandergesetzt – von der Neuen Wiener Schule bis zu Nono und Lachenmann. Der im Hintergrund zu hörende Vorwurf, in Deutschland würde oft zu verkopft komponiert, gilt für viele Künstler der jungen Generation nicht, nicht für Annette Schlünz, nicht für Tobias PM Schneid. Der Klang hat an Renommee gewonnen, der Klang, der nicht einfach nur klingt, und darum wenig taugt, wenn man nichts aus ihm macht. Ein Klangspektrum gab es immer. Heute sind die Klangspektren so differenziert geworden, dass es schwer wird, die Strukturen sowohl polyphoner Klänge wie auch eines Sounds, gedacht als Klangteppich, in sich im Kopf und mit Gefühl aufzunehmen. Wir sind mitten im Zentrum der Diskussion und im Zentrum der Musik, über die Unterschiede jeglicher Art herausgearbeitet werden sollen. Gemeinsam haben, so schien es zunächst, alle im Konzertsaal des Museum Louisiana aufgeführten Werke eine spezifische Aura, eine besondere Atmosphäre, die sich in der Dauer der Musik, bezogen auf ihre konkrete Zeit, und in langen Zeitbögen auszeichnen. Zeit über das historische Moment hinaus. Letztlich sind fünf verschiedene Imaginationen von Musik, den Ideen der Komponistin und der Komponisten entsprechend, herausgekommen. Die Athelas Sinfonietta Copenhagen und ihr Dirigent Giordano Bellincampi waren stark gefordert. Das Ensemble zählt heute zu den wichtigsten Institutionen für Neue Musik in Dänemark. Per Norgards „Night-Symhonics, Day Breaks“ (1991/92) wühlte auf. Von Sound, von Key-Sound war die Rede. Ihn gelte es zu entfalten, wurde vom Komponisten erklärt. 14 Solisten waren am Werk. Zunächst das Oszillieren um einen Ton, dann Öffnung hin zu einem mittleren Klangspektrum, vielstimmig, mit Ausschlägen der Bläser nach oben und nach unten. Die Linien der Dauer sind hörbar und deren Treffpunkte. Tag und Nacht kommen mit dem Wind, im Wind. Plötzlich der drohende Kollaps, angedeutet in den accelerandos. Der zu erwartende Zusammenbruch wird im Rhythmus aufgefangen. Das Schlagen signalisiert Ewigkeit. Natur und Mystik gehören zu den Existenzialien, die Per Norgard bewegen. Er hat sich im Laufe seines Lebens auf alle aktuellen Stile in der Musik eingelassen: von der seriellen Musik zum Sonorismus eines Penderecki, vom Pluralismus bis zur Zufallskunst eines John Cage ist ihm kein Weg in der Musik fremd. Und er hat auf diese Weis arbeitend in jeder seiner Lebensepochen den eigenen Kompositionsstil gefunden. Maßgebend sind für ihn, für seine Kunst immer das unmittelbare Leben und sein Nachdenken darüber. Dieses intensive Nachdenken, auch über die uns im Grunde alle sichtbaren Katastrophen in unserer Zeit, ist in seinen Werken spürbar. Zeit manifestiert Bleibendes Über ein anderes Temperament verfügt Karl Aage Rasmussen. Seine 1987 entstandenen, 1992 revidierten „Movements on a moving line“ für Kammerorchester sprühen vor Einfällen. Seine Musik zeichnet sich aus durch vitale Vielstimmigkeit. Sie klingt frei und unbekümmert. Er befasst sich mit Stimmungen. Und dabei spielt auch bei ihm die Zeit eine Rolle, Zeit als bloße Tatsache und Zeit, in der sich das Bleibende, das Sich-Wiederholende manifestiert. Rasmussen erfindet starke Klänge und löst sie spielend auf. Virtuos. Und er komponiert plötzlich sehr berührende Einschübe, die seine Zweifel erkennen lassen. Aber auch Humor fehlt in seiner Musik nicht. Eindeutig antiquierte harmonische Klänge tauchen auf. Schräge Rhythmen setzt er glänzend ein. Artifiziell erdachte Musik. Ganz andere Musik war zu hören in Bent Sorensens Komposition „Sirenengesang“ aus dem Jahre 1994. Höchst ziseliert schweben, gleiten, rasen die Töne in einem relativ schmalen Intervallbereich. Sehr hoch und ausdauernd auf dieser Höhe bleibend. Die Bewegungen der Tonlinien in dieser Spanne, die die zehn Musiker – Streicher, Bläser, Klavier, Schlagzeug – halten müssen, drohende Abstürze in dieser Komposition berücksichtigend, scheinen immer wieder das Ganze sprengen zu wollen. Aber sie klingen auch beschwörend, und die in das Stück eingebauten, zarten, reflexiven Momente – Zwischenräume – retten. Annette Schlünz‘ Komposition „Aequi – noctium“ ist 1998 entstanden. Ihre Musik ist sehr von innen heraus gestaltet. Kein Anlass, der von außen ihre Vorstellung trüben könnte. Oder sie trüben dürfte. Sie sagte: „Was ich – innen – nicht höre, kann ich – nach außen – nicht bringen.“ Sie will vom Klang zum Nicht-Klang zur Stille. Ihre Musik spannt sie in große Bögen. Der letzte Ton ist ohne den ersten nicht denkbar. Es sind Meditationen. Aber sie wagt in und zwischen Kontinuen Brüche, die Meditationen begleiten. Themen, vielleicht auch Motive kommen und gehen. Es sind keine starken, expressiven Farben, mit denen sie arbeitet, obwohl das Instrumentarium – Klavier, Violine, Kontrabass, Klarinette, Posaune, Trompete, Fagott, Oboe – Farbenprächtigkeit erwarten lassen. Aber diese Farben wirken nie grell, sondern unglaublich intensiv, auch weich und klar. Die Musiker des Athelas Ensembles kamen mit dem Stück nicht zurecht. Dem Dirigenten Giordano Bellincampi gelang es nicht, in einem langen Atem die Kompositionsteile, die einzelnen Momente in „Aequi – noctium“ zusammenzubringen. Oder tauchten doch plötzlich unterschiedliche dänische und deutsche Ausdrucksweisen auf? Merkmal des Geistes Denn ähnliche Schwierigkeiten hatten die vorzüglich interpretierenden Musikerinnen und Musiker auch mit Tobias PM Schneid. Sein Stück „Cascando I“ für zwei Violinen, Cello, Klarinette und Klavier hat er 1993 geschrieben. Schneid ist wie Schlünz detailbesessen. Achtet man in seinem Stück nicht auf kleine Figuren, auf Klänge, auf die Dauer der Töne, auf deren An- und Abschwellen, so gerät das Ganze ins Stolpern. Im präzisen Intonieren einer Beschleunigung, in der präzisen Interpretation dieses Details steckt ein wesentliches Merkmal des Geistes, der diese Musik trägt. Schneid sprach in diesem Zusammenhang auch von einem Ausloten der Klänge. Diese fünf Stücke, die auf dem dänisch-deutschen Komponistentreffen zu hören waren, gestatten sicher kein Urteil darüber, ob Unterschiede in der Musik beider Länder wahrzunehmen waren. Es gab keinen Anlass, über die Möglichkeiten des Komponierens heute zu sprechen. Aber wohl – das schien allen Teilnehmern ein Bedürfnis zu sein – über das, was die Einzelnen in ihrem aktuellen Leben antreibt, so und nicht anders ihre Kunst zu gestalten. Das waren keine Gespräche über eine neue Innerlichkeit, sondern philosophisch intendierte Ansichten, die in die Musik aller integriert sind. Aber vorzüglich ging es darum, wie Gedanken immanent in die Musik zu binden sind, wie sie sich dort ausbreiten oder wie sie bewusst versteckt werden. Und hier ist ein Unterschied, nach Maßgabe des Gehörten, zu spüren, zu fühlen. Alle Kompositionen der Dänen waren narrativ. Die Dänen wollen etwas erzählen. Nicht konkret, schon gar nicht realistisch. Aber die Intention, etwas mitzuteilen, ist unüberhörbar. Anders die beiden Deutschen. Sie haben sich entschieden, einen Zustand, vielleicht eine Befindlichkeit auf abstraktem Niveau darzustellen. Sie wollen nichts mitteilen, sondern ihre Zuhörer in den Bann der Musik allein ziehen. Das erste dänisch-deutsche Komponistentreffen hat denjenigen, die da waren, vielleicht keine großen neuen Erkenntnisse gebracht. Aber in dieser Begegnung konnten alle ein genaueres Verständnis für die Bedingungen und Möglichkeiten des Komponierens des anderen gewinnen. In der Musik, im Gespräch. Und das soll intensiviert werden. Demnächst in Berlin.

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