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Unterm Frack konventioneller Musiktheater-Dramaturgie

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Jörg Widmanns Opernerstling „Das Gesicht im Spiegel“ bei den Münchner Opernfestspielen
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„Das konnte ich nicht wissen: Dass sie so wird, wie du es einmal warst“, sagt Bruno zu seiner Frau Patrizia über das Klongeschöpf Justine, die der Wissenschaftler Milton aus Stammzellen Justines geschaffen hatte. Hiermit ist alles umrissen. Vier Protagonisten, drei davon denken in kapitalistischen Karrierekategorien, die vierte ist geklonte Unschuld. Der Komponist Jörg Widmann und der Librettist Roland Schimmelpfennig, beide in den Dreißigern, planten eine Oper, der die Gegenwart (oder die der Gegenwart) auf den Nägeln brennt. Ein großer Anspruch ist das, keineswegs klappte alles. Jörg Widmann ist gewiss einer der hoffnungsvollsten Nachwuchskomponisten in Deutschland, seine Entwicklung verlief bisher stürmisch, Erfolge stellten sich rasant ein. Das Beste: Widmann ist immer noch neugierig geblieben, verfestigte sein gewaltiges musikalisches Vokabular noch nicht zum Standard des Registerziehens – eine Gefahr, die sich durchaus bei der immensen Auftragsauslastung einstellen könnte. Nein, Widmann spürt immer wieder in fremden Terrains und bewegt sich schnell mit erstaunlicher Sicherheit in ihnen.

Was also lief schief? Es ist wohl die Deckungsungleichheit des Anspruchs, also die Gegenwartsthematik mit ökonomisch geformter, kalter Ratio, in der der Mensch im Glauben, alle Register zu ziehen, zur Marionette wird, mit der Bühnenrealität des Stücks, das fast sentimental an den Strukturen tradierter Operndramaturgie kleben bleibt. Jörg Widmann sagte mir einmal, dass er es ausgesprochen komisch finde, wenn Geschäftsführer von Großkonzernen im Frack heroisch von Innovation sprächen. Ähnliches, so scheint es mir, ist der Oper „Das Gesicht im Spiegel“ widerfahren. Sie will Lebens- und Sinnerfahrung im Umfeld von Rundum-Animation und Individualitätsdoppelung kritisch spiegeln und bleibt selbst im Frack der Musiktheaterdramaturgie des vorletzten, also des 19. Jahrhunderts, stecken. Die Gefühlswelt stammt von dort: verwirrte Sinnlichkeit, aus dem Lot geratene Leidenschaft, Eifersucht, ja selbst die karikierte Ratio des Wissenschaftlers, die von Rossini bis Berg dem Doktor angeheftet wurde: welkende Liebe (hier als rationelle, kapitalorientierte Zweckgemeinschaft) – junges Geschöpf (hier Klon) – Verwirrung der Leidenschaften und Ende (hier im Tod oder im Fortsetzen der jeder Gefühle baren Wissenschaft). Hier begann das Ganze zu hinken. Es wurde gemütlich, vieles bewegte sich in vertrauten operntheatralen Mustern, Beklemmung, gar Tiefe, mochte sich angesichts dieser locker getrickten Parabel mit ihren bemüht geschlungenen Maschen nicht einstellen. Es ist ein Grunddilemma der Oper, das sich im zeitgenössischen Musiktheater noch verstärkte: Die Oper kann nichts rhetorisch argumentativ vorzeigen, sie ist unbeweglich gegenüber theatralem Witz, sie wird holprig bei jeder Erörterung. Genauso wenig aber erträgt sie es, wenn sie vorgeblich neu tut, Medien- oder Börsenwelt auf den Plan ruft und dabei sich wie mit Krücken alter Opern-Erlebniswelten bedient. Jede Erzählsucht tötet das Opernerleben, und in „Das Gesicht im Spiegel“ wurde fast immerfort weiter erzählt. Wie im Hamsterrad bewegten sich die inhaltlichen Plots, letztlich nur um die Leere zu vermehren. Die Leere aber schaffte es nicht, was vermutlich intendiert war, zur elementaren Wucht. Freilich ist dies in erster Linie dem dramaturgischen Konzept, dem Libretto von Schimmelpfennig (woran freilich auch Widmann mitarbeitete) anzulasten, der sich wohl kaum schon intensiver mit den spezifischen und heiklen Problemlagen der Operndramaturgie auseinandergesetzt hatte (und wenn doch: umso schlimmer).

Es ist Verdienst von Jörg Widmanns kreativer Musikalität, dass man dennoch bei der Stange blieb. Der Hörer hangelte sich wie an Lianen im Dschungel von Szene zu Szene, neugierig beobachtend, was Widmann jeweils neu eingefallen war: Eine Musik aus Handysignalen und Gehirnstrompiepsern, collagierten Traumsequenzen, zitatartig überhöhten Liebesmotiven, aus starren Beat-Strukturen und der Tendenz, von der Überdruckhektik des Beginns bis zum erstarrenden Kältestrom des Endes zu leiten. Auf solches wartet man – und man wird gleichsam Gang für Gang bedient. Hineingezogen aber wird man nicht – wie könnte man auch in eine rhetorische Auflistung hineingezogen werden? Abgesehen davon, dass manche Handlungswendungen, etwa der Flugzeugabsturz von Bruno, ganz ohne innere Notwendigkeit (aber natürlich auch ohne die Lockerheit des Nonsens) daher kommen. Oft schien einfach Berechnung dahinter zu stecken: Das wirkt gut in einer Oper. Die Regie (Falk Richter) verhielt sich dazu weitgehend neutral, blätterte im Bilderbogen wie in einem Familienalbum. Irgendwie schwang bei allem immer Rezeptartiges mit. Man mag das manchen dramaturgischen Opern-Entwürfen (angefangen spätestens von der „Zauberflöte“) anlasten, heute aber reagiert man besonders empfindlich.

Widmann hat wirklich zum Teil höchst beachtliche, packende Musik geschrieben. Was er dem vielbeschäftigten Tölzer Knabenchor (gewissermaßen neutrale Öffenlichkeit) zumutete – zumuten im positiven Sinne, als Vertrauen in ausbaubare Möglichkeiten –, war kühn gedacht und erfunden. Und es wurde (vielleicht nach einigen Retuschen) großartig bewältigt. Ebenso versiert agierten die vier Solisten Salome Kammer, Julia Rempe, Dale Duesing, Richard Salter und Mitglieder der Staatsoper (mit einigen Zusatzkräften, etwa der ausgesprochen virtuos agierende Posaunist Christofer Varner) unter Peter Rundel. Was man im ganzen Kaleidoskop mit seinen glänzenden Facetten vermisste war: Oper neu zu denken, wohin auch immer. Solches aber hatte man angesichts der rundum jungen Kräfte und des so als gegenwartsnah apostrophierten Sujets erhofft. Man verweilte in verschiedenen illustren Startlöchern. Vielleicht ein Fehlstart? Wo die Pistole schon wieder gehoben ist?

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