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Verschleierte Anklänge und extreme Lagen

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Klavier- und Cembalostücke für Experten, Kenner und Anfänger
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„Diese Stücke sind ohne musikpädagogische Prätention und, ohne viel Nachdruck auf „Aktualität“ zu legen, zum Vergnügen und zur Unterhaltung der Klavierspieler geschrieben – seien es Schüler, Lehrer, Dilettanten oder professionelle Pianisten“, schreibt Alfred Koerppen im Vorwort seines Heftes „17 vierhändige Klavierstücke nach Märchen der Brüder Grimm“ (ADU-Verlag Aurich, ADU-132).Der 1926 geborene Komponist, der über Jahrzehnte als Professor für Musiktheorie und Komposition an der Musikhochschule Hannover wirkte, hat zu fünf der bekanntesten deutschen Märchen phantasievolle kleine Suiten verfaßt, die den Spielern Vergnügen bereiten dürften. Der Komponist schreibt in einem durchsichtigen, gemäßigt modernen Stil ohne Verzicht auf tonale Bezüge; in dem relativ leichten Satz meidet er Griffe, die den Umfang einer Oktave überschreiten. Die vielen Taktwechsel in manchen Sätzen bieten eine gute Vorbereitung auf andere zeitgenössische Werke. Die Märchensuiten von Alfred Koerppen bilden einen interessanten Beitrag zur vierhändigen Unterrichtsliteratur. Ivan Wyschnegradsky (1893–1979), aus St. Petersburg stammender Komponist, lebte seit der Emigration 1918 bis zum Lebensende in Paris. Frühzeitig interessierte er sich für Mikrointervalle, ließ sich ein dreimanualiges Vierteltonklavier konstruieren und schuf vielfach Kompositionen unter Verwendung von Vierteltönen und noch kleineren Intervallen. Im Konzertsaal wird aus naheliegenden Gründen selten eines seiner Werke vorgestellt. Einen Einblick in sein frühes, halbtöniges Schaffen bieten die „Deux Préludes“ op. 2 aus dem Jahre 1916, die der Verlag M. P. Belaieff, Frankfurt/Main, vorlegt. Die Stücke verraten in ihrer Harmonik, ihrer rhythmischen Komplexität und ihrer pianistischen Anlage zwar deutlich das Vorbild Skrjabin, lassen aber zugleich ahnen, daß sich eine Beschäftigung mit dem Komponisten Wyschnegradsky lohnen könnte. Zu den wenigen kurzen und nicht extrem schwierigen Kompositionen von Olivier Messiaen gehört „Pièce pour le tombeau de Paul Dukas“, das der Verlag Durand (D. & F. 14911) in der Revision und mit dem Fingersatz von Yvonne Loriod-Messiaen vorlegt. Das Werk entstand 1935 zum Andenken an den im gleichen Jahr verstorbenen großen französischen Komponisten Paul Dukas; es wurde zuerst in „La Revue Musicale“ abgedruckt. Bei einem Tempo von Sechzehntel = 80 lautet die Spielanweisung für das statische, monumental wirkende Stück „sehr langsam und feierlich“. Die unterschiedlichen Dauern der nur dreizehn Takte hat Messiaen hier erstmals in einem Klavierstück nicht durch Taktangaben gekennzeichnet. Genaue Pedalangaben lassen keinen Zweifel am Willen des Komponisten aufkommen. Yvonne Loriod hat an zwei Stellen einen Fingersatz eingefügt; sie zeigt dadurch an, wie Oktaven in einer Hand mittels Fingerwechsel auf jeweils einem Ton gebunden werden können. Messiaen erweist sich auch in diesem kurzen Stück als einer der ganz großen Komponisten unseres Jahrhunderts. Mauricio Kagel (geboren 1931) hat zwar eine Reihe von Klavierwerken geschaffen, ist aber unter Pianisten noch weitgehend unbekannt. Die Edition Peters legt unter der Nummer 8896 ein Ende 1995 komponiertes Werk von knapp sechs Minuten Dauer vor, das diesen Zustand positiv wenden kann: „À deux mains. Impromptu für Klavier“. Der Komponist offeriert ein Stück, das formal ausgewogen ist zwischen virtuosen, aber nicht extrem schweren, oft zweistimmig geführten schnellen Teilen und langsameren, lyrischen Partien. Durch häufige Tempo- und damit Charakterwechsel entsteht zeitweise ein Eindruck von Improvisation. Der Titel „Impromptu“ wurde sicherlich nicht ohne einen Gedanken an Schubert gewählt, gibt es doch verschleierte Anklänge an dessen melodischen Gestus und auch an die berühmten triolischen Begleitfiguren. Der Ton B schält sich schließlich als ein Zielpunkt heraus. Kagels „Impromptu“ – ein Stück, das „nur“ Spiel an den Tasten voraussetzt – wird fortgeschrittene Klavierspieler ansprechen; es bildet einen beeindruckenden Beitrag zur Klaviermusik unserer Zeit. Der Verlag Boosey & Hawkes – Bote & Bock legt das Cembalo-Stück „Shao Yang Yin“ (1966) von Isang Yun (1917-1995) in einer Klavierfassung von Kaya Han vor. Yun hatte schon im Entstehungsjahr der Komposition Gedanken an eine Übertragung für Klavier geäußert. Kurz vor seinem Tode bat er die mit seinem Schaffen vertraute Pianistin um Erstellung einer Version für ihr Instrument. Durch Verlagerung von Teilen des Klaviersatzes in äußere Oktaven weitet sie den ursprünglichen Umfang aus; sie erzielt dadurch für Yun typische Klangfarben, die auf der Ausnutzung extremer Lagen beruhen. Alle Änderungen sind in roter Farbe wiedergegeben, so daß das originale Notenbild immer erkennbar bleibt. In einem ausgezeichneten Vorwort beschreibt Walter-Wolfgang Sparrer die Entstehung des Werks und weist auch auf die Hintergründe hin, die für Kaya Hans Eingriff maßgeblich waren. Er schreibt unter anderem: „Für ihre Klavierfassung ließ sie sich leiten von ihrer Hörerfahrung der traditionellen ostasiatischen Musik, vor allem aber von ihren Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Isang Yun als Interpretin seiner Klavier- und Kammermusikwerke.“ Unter der Nummer 67830 legt die Edition Peters eine wichtige Zusammenstellung von Werken von John Cage (1912-1992) vor: „Piano Works 1935-48“. In dem Sammelband sind frühe Stücke des Komponisten subsumiert, die nicht einer Präparation bedürfen; nur einmal – in „A room“ – ist eine Option für oder gegen ein solches Klangregister freigestellt. Die Sammlung enthält neben Stücken mittlerer Schwierigkeit ebenfalls einfache, die geeignet sind, jungen Spielern den Zugang zur Musik des Altmeisters zu ermöglichen. Diese Kollektion wird nicht nur Cage-Bewunderern eine Bereicherung bieten, sondern auch Einsteigern.

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