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Daniel Harding im Komponierhäuschen. Fotos: nmz-Archiv
Daniel Harding im Komponierhäuschen. Fotos: nmz-Archiv
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Vom Experiment zur Erfolgs-Story

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Zum 25. Jubiläum der Gustav Mahler Musikwochen in Toblach
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Auf den ersten Blick unterscheidet das Südtiroler Dorf Toblach eigentlich wenig von anderen typischen Fremdenverkehrsorten der Region. Es gibt eine barocke Dorfkirche, viele Hotels und natürlich eine herrliche alpine Landschaft. Und dennoch: Etwas ist anders in Toblach. Wer sich im Juli oder August dorthin begibt, wird feststellen, dass der Geist eines Komponisten über dem Ort schwebt – der Geist Gustav Mahlers. Überall hängen Plakate mit seinem Konterfei, in der Ortsmitte steht ein Mahler-Denkmal, und die Abgrenzung des Fußwegs, der auf dem Gelände des Grand Hotels den Konzertsaal mit der Cafeteria verbindet, zieren Verse aus dem „Lied von der Erde“. Diese Omnipräsenz kommt nicht von ungefähr: Toblach ist der Ort, in dessen Nähe der Komponist in den Jahren 1908 bis 1910 seine Sommerurlaube verbrachte und die letzten drei Werke seines Œuvres schuf: das „Lied von der Erde“, die Neunte und das Fragment der Zehnten Sinfonie.

Nach der ersten erfolgreichen Saison in New York 1908 befand sich Mahler auf der Suche nach einem neuen Sommerrefugium. Nach Maiernigg am Wörthersee wollte er auf keinen Fall zurück. Dort war im Juli 1907 seine älteste Tochter Maria Anna gestorben, und bald darauf wurde Mahlers Herzerkrankung festgestellt. Bereits kurz darauf hielten sich Mahler und seine Familie in oder bei Toblach auf, und Ende Mai 1908 entdeckten Gustav und Alma den Trenkerhof, keine zwei Kilometer von Toblach entfernt. Dort zog Mahler Mitte Juni bereits ein, und ganz in der Nähe ließ er sich, wie auch schon vorher in Steinbach am Attersee und in Maiernigg ein Komponierhäuschen bauen. In dieser Holzhütte schrieb er seine letzten Werke.

Hatte Mahler anfangs noch Eingewöhnungsschwierigkeiten, schwärmte er schon bald von seinem neuen Sommerdomizil: „Ich befinde mich in diesem Sommer auf neuem Terrain“, schrieb er im August 1908 an Adele Marcus. „Es ist wundervoll hier, und die Abgeschlossenheit und Ruhe dieses Plätzchens erlaubt mir, mich wieder in gewohnter Weise einzuspinnen.“ Die Toblacher Sommerfreuden wurden für Mahler im Sommer 1910 allerdings zur Tortur, als er hier vom Verhältnis seiner Frau Alma mit dem Architekten Walter Gropius erfuhr.

Ende der siebziger Jahre gab es in Toblach erste Bestrebungen, in Zusammenhang mit Gustav Mahler etwas zu organisieren – was genau, wusste man vorerst noch nicht; das Bedürfnis war zuallererst, durch Mahler den Ort Toblach bekannter zu machen. Die Pläne nahmen allerdings recht bald konkrete Gestalt an, und im Sommer 1981 fand die erste „Musikwoche in memoriam Gustav Mahler“ statt, nachdem kurz zuvor das Gustav-Mahler-Komitee gegründet worden war. Als künstlerische Leiter firmierten in den ersten Jahren Heinz Klaus Metzger und Ugo Duse. Von Anfang an waren Gespräche und Vorträge über Mahler Bestandteil der Veranstaltung – eine Konzeption, die nicht zuletzt aus der Not geboren war, denn Konzertsäle, in denen man Mahler-Sinfonien hätte aufführen können, gab es in Toblach (noch!) nicht. Mangels einer Aufführungsmöglichkeit für großorchestrale Werke entschied man sich, Reduzierungen und kammerorchestrale Bearbeitungen Mahler’scher Werke aufs Programm zu setzen, etwa aus dem Umkreis von Arnold Schönbergs „Verein für musikalische Privataufführungen“. Diese Praxis stieß nicht überall auf Gegenliebe, und überhaupt gab es einige Anfangsschwierigkeiten künstlerischer sowie menschlich-persönlicher Art, die zu einem raschen Wechsel der künstlerischen Leiter führten. Auf Metzger und Duse folgten Quirino Principe (1984), der Mahler-Biograph Henry-Louis de la Grange (1986), der Südtiroler Komponist Hubert Stuppner (1988) und der Wiener Pianist Rainer Keuschnig (1991). Seit 1994 liegt die künstlerische Leitung nun in den Händen von Josef Lanz.

Gedankenaustausch

In Toblach wird keine Event-Kultur zelebriert, sondern hier treffen sich Begeisterte und Fans, um sich (nicht nur) über Mahler auszutauschen. Es herrscht eine enorm offene und kommunikative Atmosphäre, und man muss kein Musiker oder Musikwissenschaftler sein, um sofort akzeptiert zu werden und an den lebhaften Diskussionen teilzuhaben – in der Konzertpause, nach dem Konzert und anschließend im Hotel. Und nicht zuletzt spielt beim Gesamtambiente der Mahler-Wochen die Landschaft, die der Komponist so liebte, eine entscheidende Rolle. Gilbert Kaplan, in diesem Jahr zum ersten Mal in Toblach zu Gast, bringt es auf den Punkt: „Man spürt wirklich die Verbindung zwischen der Natur hier in Toblach und der Musik, die Mahler hier schrieb. Und dann natürlich: Mahlers Hotelzimmer zu besuchen und das Komponierhäuschen, wo er seine letzten Werke schrieb – das muss jedem ans Herz gehen, der diese Musik liebt.“

Seit 1981 hat sich naturgemäß einiges entwickelt. So gibt es seit 15 Jahren das „Toblacher Mahler-Protokoll“ und den dazugehörigen Schallplattenpreis „Toblacher Komponierhäuschen“. Beide Projekte wurden von Attila Csampai ins Leben gerufen, der dem Festival seit 1991 verbunden ist. Das „Mahler-Protokoll“ bündelt die Vorträge, die schon immer das Festival mitgeprägt haben und versteht sich als „Brennspiegel der internationalen Mahler-Rezeption“ (Csampai).

Seit 1999 gibt es endlich einen „echten“ Konzertsaal im Gebäudekomplex des ehemaligen Grandhotels, das zum Kulturzentrum umfunktioniert wurde. Die klare Akustik des Gustav-Mahler-Saals bietet nun die Möglichkeit, Mahlers Sinfonik im adäquaten Ambiente zu rezipieren.

Dem „Mahler-Protokoll“ wurden 2004 die „Toblacher Mahler-Gespräche“ zur Seite gestellt – ein Projekt der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft Wien. Nach den Worten von Erich Wolfgang Partsch, Vizepräsident der Mahler-Gesellschaft, verstehen sich die Gespräche als „eine Ergänzung mit einem anderen Schwerpunkt. Das Mahler-Protokoll ist vor allem auf Rezeption ausgerichtet und hat durch den Schallplattenpreis in diesem Gebiet seinen ganz eigenen Bereich. Wir wollen jeweils zu einem bestimmten Generalthema in Form von Vorträgen Blickpunkte setzen. In diesem Jahr ist es ‚Mahler in Toblach’, im nächsten Jahr geht es um ‚Mahler und Russland’ – einmal etwas ganz anderes“.

Bleibt noch zu erwähnen, dass das ursprünglich lediglich eine Woche umfassende Festival unter Josef Lanz’ künstlerischer Leitung im Jahre 2000 auf vier Wochen ausgedehnt wurde (seitdem der Name „Gustav Mahler Musikwochen“) und dass seit 2002 auch andere Gemeinden an den Veranstaltungen teilhaben – im Sinne eines „Hochpustertaler Kultursommers“.

Die 25. Toblacher Gustav Mahler Musikwochen standen also unter dem Motto „Gustav Mahler in Toblach“. Konsequenterweise gelangte die „Toblacher Trilogie“ im Mahler-Saal zur Auführung. Das vorwiegend aus jungen Musikern bestehende ungarische Danubian Symphony Orchestra interpretierte unter Leitung des Dirigenten Domonkos Héja das Adagio aus der 10. Sinfonie sowie das „Lied von der Erde“ – zumindest auf orchestraler Ebene eine ungemein beeindruckende Darbietung. Der chinesische Dirigent En Shao leitete das Radio Sinfonie Orchester Ljubljana in der Sinfonie Nr. 9. Ferner gab es zwei Liederabende mit Stefanie Irányi (Sopran), Konrad Jarnot (Bariton) und Helmut Deutsch (Klavier); auf dem Programm standen Werke von Mahler und Strauss. Das italienische Trio di Parma überzeugte mit fein austarierten und lebensvollen Interpretationen von Beethovens „Erzherzog-Trio“ und Schumanns Klaviertrio g-Moll op. 110.

Am meisten Aufsehen erregte jedoch ein Konzert, das insofern in bester Toblacher Tradition stand, als man sich hier schon lange auch abseits der ausgetretenen Pfade des klassischen Mainstreams bewegt hat. 1998 stellte der Jazzmusiker Uri Caine in Toblach seine provokativen Mahler-Bearbeitungen zur Diskussion, und heuer war das amerikanische Kronos Quartet zu Gast und präsentierte als Uraufführung sein „Mahler Project“, ein nach typischer Kronos-Manier bunt gemischtes Programm von Kompositionen der verschiedensten Stilrichtungen – ganz im Sinne Mahlers, in dessen Musik auch das Volkstümliche, ja Banale in gefilterter Form seinen Platz erhält. Von Alfred Schnittkes Drittem Streichquartett spannte sich der Bogen bis zu einem ambient-artigen Stück der Aserbaidschanerin Frangis Ali-Zadeh – und als Zugabe gab es Jimi Hendrix.

minimal music

Die Idee zu diesem Projekt entstand durch den Kontakt mit Hubert Stuppner, dessen „Mahler-Bilder“ das Herzstück des Abends bildeten. Stuppner bezeichnet seine sechssätzigen „Mahler-Bilder“ als „Paraphrasen“ über Mahler’sche Themen, zu Ehren der Interpreten durchsetzt mit Elementen der „minimal music“ – für die sich Kronos ja schon immer stark gemacht hat. Es erklang ein temperamentvolles, geerdetes Werk, das durchaus Chancen hätte, sich im Kronos-Repertoire zu behaupten.

Im Mittelpunkt des „Mahler-Protokolls“ stand Gilbert Kaplans Vortrag „The Inner World of Gustav Mahler“. Der amerikanische Geschäftsmann hat sich seit Jahrzehnten um die Mahler-Pflege verdient gemacht; unterstützt zahllose Forschungsprojekte und arbeitet mit der von ihm gegründeten „Gilbert Kaplan Foundation“ an einer neuen Kritischen Ausgabe der Zweiten Sinfonie, die voraussichtlich im Herbst erscheinen wird. Nicht zuletzt ist Kaplan auch Hobby-Dirigent. Er dirigiert zwar nur ein einziges Werk – Mahlers „Auferstehungssinfonie“ –, dies aber auf der ganzen Welt. Seine erste Aufnahme der Sinfonie mit dem London Symphony Orchestra avancierte zur bestverkauften Mahler-CD überhaupt, und auch die Kritische Neuausgabe des Werks hat er bereits, mit den Wiener Philharmonikern, eingespielt. Kaplans Grundaussage: „Mahler eröffnet uns in seiner Musik auch unsere eigene innere Welt.“

Und letztlich der Schallplattenpreis: So schnell war man sich noch nie einig, so die Jury. In der Kategorie „Historische Aufnahmen“ reüssierte die „Bruno Walter Jacket Collection“ mit in Amerika entstandenen Mahler-Aufnahmen des Dirigenten. Den Sonderpreis erhielt Riccardo Chaillys Gesamtaufnahme der Sinfonien mit dem Concertgebouw-Orchester. Damit wur-de ein Mahler-Zyklus geehrt, der sich auf konsequent hohem Niveau befindet – und dies künstlerisch sowie klanglich. Hätte Chaillys Mahler-Zyklus nicht den Sonderpreis erhalten, so die Jury, dann wäre seine Aufnahme der Neunten Sinfonie zur besten Neueinspielung gekürt worden. So ging die Palme an Claudio Abbados Interpretation der Sechsten mit den Berliner Philharmonikern.

Gustav Mahler

Informationen zu den Gustav Mahler Musikwochen in Toblach gibt es im Internet unter www.gustav-mahler.it

  • Internationaler Schallplattenpreis „Toblacher Komponierhäuschen“ – die preisgekrönten Aufnahmen:
  1. Bruno Walter Jacket Collection. Sony BMG SX13K 92460, 13 CDs
  2. Gustav Mahler: Sämtliche Sinfonien. Riccardo Chailly, Royal Concergebouw Orchestra, Radio-Symphonieorchester Berlin. Decca 475 6686, 12 CDs
  3. Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 6. Claudio Abbado, Berliner Philharmoniker. Deutsche Grammophon 477 5573 (CD), 477 5684 (2 DVDs)
  • Gustav Mahler in Toblach. In wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft, herausgegeben von Erich Wolfgang Partsch und Josef Lanz. Mit Beiträgen von Nina Schröder, Erich Wolfgang Partsch und Josef Lanz, Buchverlag Athesia, Brixen 2005, 104 S., 15,- € ISBN 88-901956-0-6

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