Hauptrubrik
Banner Full-Size

Von der Viehauktionshalle zum Messezentrum

Untertitel
Die Studentenmetropole Münster ist von der Kultur geprägt
Publikationsdatum
Body

Einst schimpfte der Händel-Zeitgenosse Johann Mattheson, seines Zeichens Musiktheoretiker und Komponist, die Westfalen verstünden viel mehr von Branntwein und geräuchertem Schinken als von einer guten Melodie. Und Johannes Brahms beschwerte sich bei seinem Freund Julius Otto Grimm, zu dieser Zeit Dirigent des Münsterschen Musikvereins: „Ich komme nach Müns-ter und musiziere dort gern Euretwegen, womit ich aber nicht die Münsteraner meine.“ Er war pikiert ob der zurückhaltenden Aufnahme seiner Musik beim Münsteraner Publikum.

Einst schimpfte der Händel-Zeitgenosse Johann Mattheson, seines Zeichens Musiktheoretiker und Komponist, die Westfalen verstünden viel mehr von Branntwein und geräuchertem Schinken als von einer guten Melodie. Und Johannes Brahms beschwerte sich bei seinem Freund Julius Otto Grimm, zu dieser Zeit Dirigent des Münsterschen Musikvereins: „Ich komme nach Müns-ter und musiziere dort gern Euretwegen, womit ich aber nicht die Münsteraner meine.“ Er war pikiert ob der zurückhaltenden Aufnahme seiner Musik beim Münsteraner Publikum.Inzwischen hat sich das gründlich geändert. Münster ist mit seinen knapp 270.000 Einwohnern eine von Kultur geprägte Stadt. In der Dienstleistungs- und Studentenmetropole haben mehrere Versicherungen, Banken, Telekommunikationsunternehmen und staatliche Dienststellen ihren Hauptsitz. Die Westfälische Wilhelms-Universität ist die größte Nordrhein-Westfalens und unter den ersten fünf im Bundesgebiet, zusammen mit der Fachhochschule bevölkern in Semesterzeiten ungefähr 55.000 Studenten die Stadt. Das hat tief greifende Auswirkungen auf das Kulturleben. Die etablierte und die freie Kulturszene buhlen um Zuschuss-Gelder aus dem Stadtsäckel, und so entstehen nicht selten Diskussionen um den Wert der Kultur. Ihre Existenzberechtigung wird jedoch nie infrage gestellt: Eine vielschichtige Stadt wie Münster verträgt und braucht eine ebensolche Kulturszene.

Dennoch haben die Kritiker der so genannten Hochkultur jüngst wieder einen Anlass zur Klage gefunden: Seit Jahren versucht der Verein „Musikhalle“ eine Konzertstätte zu schaffen, die sowohl das Sinfonieorchester der Stadt Münster, die drei Studentenorchester, die Konzerte der Konzertagentur Schoneberg (immerhin die größte ihrer Art in NRW) und viele andere musikalische Veranstaltungen aufnehmen soll. Bislang scheiterte es an den Kosten – und am mangelnden Rückhalt eines solchen Millionenprojektes (geschätzte 60 Millionen Mark) bei den Bürgern.

Dabei wäre eine solche Konzertstätte nötig. Das Große Haus der Städtischen Bühnen Münster ist mit seiner für Orchesterkonzerte zu mangelhaften Akustik nur ein ungenügender Ersatz. Außerdem findet hier zum Teil aufwändiges Musik- und – immerhin ist es ein Dreispartenhaus – Sprech- und Tanztheater statt. Die Studentenorchester- und Schoneberg-Konzerte finden in Hörsälen der Universität statt, mit allen Einschränkungen, die solche Räumlichkeiten – in diesem Fall hauptsächlich Platzmangel – mit sich bringen.

Auch die Halle Münsterland, einst eine Viehauktionshalle im Hafengebiet, inzwischen jedoch großflächig zum Messezentrum ausgebaut, wurde erprobt, allerdings für ungenügend befunden. Lautsprecheranlagen sind der Tod eines jeden differenzierten Orchesterklangs. Dafür werden die drei, bald vier Hallen am Albersloher Weg regelmäßig von Stars der Popkultur bevölkert: Roland Kaiser, Howard Carpendale, André Rieu treten oft genug vor gut gefüllten Zuschauerreihen auf. Und wer es kleiner besetzt haben will oder eine härtere Gangart bevorzugt, sucht sich eine der Kneipen, vorzugsweise das „Odeon“ oder Steffi Stephans „Jovel“ oder greift selbst zum Instrument, zieht in das, allerdings von der Schließung bedrohte, Probenzentrum am Haverkamp in unmittelbarer Nähe der Halle Münsterland und lässt es musikalisch krachen.

Überhaupt ist das Musik-Selbermachen in Münster angesagt. Allerdings mit weniger Auswirkungen auf die Platzprobleme. Die zahllosen Pop-, Kirchen- und Kammerchöre, die in jeder Größe und mit jedem Programm für Abwechslung in der Konzertsaison sorgen, suchen sich ihr Publikum in Kirchen oder kleineren Sälen.

Dass eine Musikhalle positive Synergieeffekte auch auf die Musikausbildung in Münster haben kann und wird, ist ein viel zu selten angebrachtes Argument. Nicht nur die professionellen Orchester sondern auch die Studierenden der Musikhochschule, eine Unterabteilung der Hochschule in Detmold, und die Schülerinnen und Schüler der sehr aktiven Städtischen Musikschule wären direkte Nutznießer. Studierende der Musikwissenschaft und Musikpädagogik hätten die Gelegenheit, ihre theoretischen Kenntnisse in Dramaturgie, Musikmanagement und Musikvermittlung praktisch anzuwenden.

So oder ähnlich sieht wohl die Zukunft für die Studiengänge Musikwissenschaft und Musikpädagogik aus, die als einzige Chance geblieben ist, das Fach Musikwissenschaft in Müns-ter zu erhalten. Diese Überlegungen wurden notwendig, nachdem eine Expertenkommission aufgrund des Qualitätspaktes insgesamt vier der so genannten Kleineren Fächer an der WWU schließen wollte. Grund: Speziell die Musikwissenschaft habe sich durch mangelnde Drittmitteleinwerbung, zu geringe Auslastung und zu niedrige Absolventenzahlen überflüssig gemacht und sei „für das Profil der Universität nicht konstitutiv“ (Zitat aus dem Abschlussbericht der Kommission). Der Immatrikulationsstopp zum kommenden Wintersemester und die drohende Schließung im Jahr 2007 sind nun um ein Jahr verschoben, ein Zeitraum, in dem der neue Bachelor-Studiengang entwickelt werden soll.

Mit all diesen Problemen im Kultursektor unterscheidet sich Münster nicht allzu sehr von anderen Städten vergleichbarer Größe. Auch wenn der größte Teil des reichhaltigen Kulturangebots in freier Trägerschaft organisiert wird, geht es letztendlich immer um Geld.
Auch Ausnahme-Projekte wie Wagners „Ring des Nibelungen“ – seit 80 Jahren erstmals wieder komplett auf Münsters Bühnen – sind nur durch Sponsoren finanzierbar, trotz fast 100-prozentiger Besucherauslastung. Die Bündelung vieler Kräfte ist das, was in Münster große Kulturvorhaben bewegt. Und das Ergebnis kann sich in der Regel sehen lassen, wie jüngst beim „Ring“. Die „FAZ“ schrieb zur Premiere der „Götterdämmerung“, das Beste, was Bayreuth machen könne, sei die münstersche Inszenierung zu kaufen. Wenn das kein Statement ist.

www.muenster.de
www.uni-muenster.de

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!