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Von Hongkong aus die Klassikbranche aufgerollt

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Ein Interview mit dem Direktor von NAXOS, Klaus Heymann
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Die Firma NAXOS mit Sitz in Hongkong hat die Großen im Klassikgeschäft das Fürchten gelehrt. Denn innerhalb von nur 15 Jahren hat der in Frankfurt geborene Klaus Heymann als Direktor von NAXOS einen Markennamen durchgesetzt. Hans-Dieter Grünefeld sprach mit Klaus Heymann während seines Deutschlandaufenthaltes im September 2001.

Die Firma NAXOS mit Sitz in Hongkong hat die Großen im Klassikgeschäft das Fürchten gelehrt. Denn innerhalb von nur 15 Jahren hat der in Frankfurt geborene Klaus Heymann als Direktor von NAXOS einen Markennamen durchgesetzt. Hans-Dieter Grünefeld sprach mit Klaus Heymann während seines Deutschlandaufenthaltes im September 2001.neue musikzeitung: Welcher Gedanke hat Sie bewogen, Ihre Arbeit als PR-Manager für Elektro- und Audiogeräte aufzugeben und sich auf die Risiken der Klassikproduktion einzulassen?

Klaus Heymann: Es ist ein Irrtum, dass ich das Elektronikgeschäft aufgegeben habe. Es hat vielmehr viele Jahre die Investitionen in die Klassik finanziert und ich bin immer noch der Vertreter für Bose in Hongkong und China. Ich habe vieles getan, was mir bei meinem heutigen Beruf sehr zugute kommt, ich verstehe viel von der Technik. Aber ich habe nicht die Entscheidung getroffen: Jetzt hörst du mit dem Gerätehandel auf, jetzt machst du Klassik.

: Sie streben an, eine enzyklopädische Diskografie der abendländischen Klassik herausbringen. Warum sind für Sie Gesamtausgaben so wichtig?
: Dazu gibt es mehrere Überlegungen: Uns unterscheidet diese Politik von den großen Plattenfirmen. Zum Beispiel haben die Majors keine komplette Brahms-Klaviermusik, nur wir haben die 51 Etüden im Katalog. Das bringt uns einen Wettbewerbsvorteil. Auch gibt es viele Stücke nur bei uns.
: Es gibt aber auch Werke, die nicht so hochrangig sind.
: „Every note he/she wrote“ wird aufgenommen. Das ist eines der Prinzipien der Marke. Und bis jetzt hat sich diese Politik auch ausgezahlt.
: Bei NAXOS haben das Werk beziehungsweise das Repertoire Priorität vor Varianten der Interpretation. Ist Ihres Erachtens die Individualität der Künstlerpersönlichkeit bei der Aufführung von Musik ein vernachlässigbarer Faktor?
: Das ist ja fast schon eine Verleumdung ! Es ist natürlich so: Wir sind später als alle anderen mit eigenen Produkten auf den Markt gegangen. Deshalb mussten wir zunächst einen Katalog aufbauen und konnten uns dabei nicht den Luxus erlauben, etwa 15 verschiedene Varianten der „Vier Jahreszeiten“ anzubieten. Das Wichtigste war, dass wir überhaupt eine Version hatten.

Nachdem nun der Basiskatalog fertig ist (wir haben über 2.000 CDs produziert), kommt NAXOS in eine Phase, in der wir mehr Wert aufs Niveau legen. Mittlerweile unterscheiden wir genauer, welcher Künstler für welches Repertoire geeignet ist.
Es ist auch an der Zeit, Künstler aufzubauen. Das Kodaly Quartett ist schon länger als zehn Jahre bei uns. Mit vielen, ob das Maria Kliegel oder Jenö Jando ist, arbeiten wir langfristig zusammen. Wir entwickeln uns ja auch.

: Warum lehnen Sie Künstler-Promotion ab?
: Das ist keine Frage des Wollens, das ist eine Frage des Könnens. Man muss bedenken, welches unsere Marge ist. Wenn wir heute eine CD für zirka zehn Mark verkaufen, bekommen wir vom Vertriebspartner vier Mark.

Die Herstellungskosten liegen bei einer Mark, die Produktionskosten richten sich nach der Ensemblegröße. Da bleibt nicht viel für Künstlerpromotion. Wir machen das Wesentliche und Mögliche. Wir können es nicht so machen wir die Majors, die mit einer zehnfachen Marge arbeiten.

: Widerspricht die Serie NAXOS Historical nicht dem Firmencredo, Interpretationsgeschichte sei nebensächlich?
: Die Interpretationen waren schon immer wichtig, nur haben wir nicht verschiedene Interpretationen zur Diskussion gestellt. Aber dadurch, dass für viele historische Aufnahmen Rechte frei geworden sind, haben wir die Möglichkeit, andere Interpretationen herauszubringen. Abgesehen davon, ist es auch ein sehr gutes Geschäft, denn eine Restauration kostet ja nicht viel. So ergibt sich eine natürliche Ausweitung unserer Aktivitäten.
: Haben Sie den Ehrgeiz, mit Ihrer Preispolitik eine Demokratisierung und damit eine Veränderung des glamourösen Images des Klassikmarktes zu erreichen?
: Ja, eigentlich schon. Demokratisierung insofern, als wir demokratische Preise haben. Und ich meine, man kann besser ein Publikum finden, wenn man auf das pompöse Drumherum verzichtet.

Wir haben doch gutes Repertoire zu einem erschwinglichen Preis verfügbar gemacht. Und jetzt kommen die Stars zu uns und möchten zu demokratischen Bedingungen aufnehmen.

: Die Käuferstruktur für Klassik ist ziemlich festgefügt: 60 Prozent sind älter als 50 Jahre; 30 Prozent älter als 60 Jahre; weniger als 10 Prozent der Käufer sind unter 30 Jahre. Wie begegnen Sie geschäftlich diesem Befund?
: Die Käuferschichten waren auch in der Vergangenheit nicht viel anders strukturiert als heute. Auch vor dem CD-Boom war Klassik eine Nischenmusik. Junge Leute hatten schon immer wenig Interesse an Klassik. Heute interessieren sich nach meiner Beobachtung aber mehr junge Leute dafür, nur dass sie nicht in Konzerte gehen wollen.

Wir begegnen solchen Ressentiments mit Education Products – Produkten, die ein erzieherisches Ziel haben. Wir haben zum Beispiel eine Serie „Die Großen Komponisten – ihr Leben und ihr Werk“. Das sind sehr luxuriös ausgestattete Kassetten, vier CDs, mit einem Erzähler, vorerst in Englisch. Zum Text im Booklet gibt es noch begleitendes Informationsmaterial. Ich glaube, dass man damit Leute zum Label bringen kann und auch zu mehr Musik.

Und dann würde ich gern an den Konzertstrukturen etwas ändern. Man sieht es in Städten wie San Francisco, dort gibt es großen Erfolg mit Musik des 20. Jahrhunderts, indem das Ritual bei den Konzerten nicht mehr so steif ist.

Wir haben ein Musikfestival in Neuseeland, wo wir ein neues Format probieren. Das Konzert dauert von 18.00 bis 22.00 Uhr und hat drei Teile. Zwischendurch gibt es einen Imbiss an runden Tischen. Jeder wird zu einem Empfang geladen, wo die Künstler anwesend sein müssen. Und die Leute gehen nicht vor 1.00 Uhr nach Hause, denn dort kann man Kontakte knüpfen. So eine Veranstaltung überzeugt auch junge Leute.

: Bauen Sie Kontakte zu Musikschulen auf?
: Ja, wir ermutigen alle in unserer Firma dazu. Wenn ich mit In-stitutionen der Musikerziehung zusammenarbeite, dann kann ich auch CDs verkaufen. Deshalb ist unsere Vorgabe: Ihr müsst mit Schulen zusammenarbeiten. Wir sind bei diesem Thema stark engagiert.
: Die Klassikbranche ist in einer Umsatzkrise: die Majors ziehen sich entweder vornehm zurück; BMG und Warner haben Klassik als untergeordnete Sparte. Oder sie versuchen neue Kampagnen, zum Beispiel Sony mit Crossover oder Universal mit New Classics. Könnte NAXOS diese Situation eines Umbruchs für sich nutzen?
: Wir sind das einzige Label, das als Label verkauft wird. In den Läden werden nicht neue EMI- oder Universal-Veröffentlichungen präsentiert, die von NAXOS aber schon. Wir sind von der Krise nicht so sehr betroffen wie die Majors. Aber auch nicht verschont geblieben. Ich glaube nicht, dass es eine Krise der klassischen Musik gibt. Aber es gibt eine Krise des Einzelhandels, die dadurch entstanden ist, dass die Majors sich aus dem Geschäft zurückgezogen haben und keine große Werbekampagnen mehr für ihre Stars machen, die dann Kunden in die Klassikabteilungen getrieben haben.
: Warum sind Sie überzeugt, dass eine Edition der Musik des 20. Jahrhunderts bei NAXOS mehr Menschen erreicht als die bisherigen Aufnahmen?
: Der erste Grund ist, sie ist nicht teuer. Und deshalb finden wir dafür neue Käuferschichten. Die Varése-CD ist nach zweieinhalb Monaten auf dem Markt bereits bei 20.000, die Ives-Sinfonien bei 25.000 Stück. Wenn wir das enzyklopädische Label sein wollen, müssen wir auch solche Editionen anbieten.
: Welche Maßstäbe für den Erfolg von NAXOS haben Sie außer den Verkaufszahlen?
: Ich freue mich immer über eine gute Kritik, ich freue mich, wenn anerkannt wird, dass wir wirklich etwas Neues erreicht haben. Aber es macht mir auch großes Vergnügen, dass ich die Branche als Außenseiter aufgerollt habe.
: Wie werden neue Projekte angebahnt?
: Oft zufällig. Bei einem Bankett habe ich mit einem Kollegen über solche Themen gesprochen und wir hatten die Idee, Audiobooks mit Musik zu machen.
Und zwar auf CD, und es ist ein Riesenerfolg geworden. Letzte Woche haben wir in England die Auszeichnung „Audiobook-Publisher of the Year“ erhalten. Ich bin mit solchen Entscheidungen noch nicht auf die Nase gefallen. Und solange Projekte ins Gesamtbild passen, publiziere ich sie gerne.
: An NAXOS Deutschland ist auch ein Vertrieb angebunden. Welche Vorteile sehen Sie im zusätzlichen Aufwand eines Vertriebs?
: Mit NAXOS-CDs zum relativ kleinen Preis ist es relativ schwierig, eine kritische Masse zu erreichen. Wir haben einen Vertreterstab aufbauen müssen, und wir müssen Promotion machen. Deshalb ist es nützlich, einen Vertrieb zu haben. In England haben wir fast ein Vertriebsmonopol, in Skandinavien haben wir ein Monopol für fast alle Labels Europas. In Deutschland waren viele Labels schon an andere Firmen verteilt. Ich bin aber überzeugt, dass über kurz oder lang auch weitere Labels zu uns kommen.
: Haben Sie Pläne fürs Internet?
: Wir haben die bestbesuchte Website, 400.000 Besucher im Monat. Es gibt keine Musik-Zeitschrift, die zur Zeit eine Auflage von 400.000 hat. Wir haben 15.000 Abonnenten, und es werden jeden Monat 5.000 mehr. Sie müssen Abonnent werden, wenn Sie alle Aufnahmen anhören wollen, aber nicht zahlen. Wir schicken an die Kunden monatliche Neuveröffentlichungslisten und andere Infos. Wir haben eine Internetseite für unsere Vertriebspartner mit Künstlerbiografien und Bildern zum Runterladen. Das Internet bringt enorm viel Ersparnis.

Dann haben wir ein Testprogramm NAXOS-Radio: Sie können zurzeit zehn verschiedene Programme auf unserer Website anhören. Wir bekommen bald eine neue Standleitung, dann können Sie 40 verschiedene Programme anwählen. Diese Programme werden wir an Hotels verkaufen, an Airlines, an andere Websites oder an Kabelgesellschaften. Damit werden wir Geld verdienen. Im Moment verdient allerdings keiner mit dem Internet Geld in unserer Branche. Internet ist also vorerst ein Werbemedium. Wir beschäftigen neun Leute in der IT-Abteilung. So entstehen Kosten, die wir vorher nicht hatten. Kosten und Ersparnisse balancieren sich momentan aus.

: Seit kurzem sind NAXOS-DVDs auf dem Markt. Welche Chancen sehen Sie für dieses neue Medium?
: Wir haben selbst ja schon vor Jahren Klassik-Videos gemacht. Und dann vertreiben wir auch Arthaus, damit sind wir weltweit Marktführer. DVD ist für mich das Medium der Zukunft. Auch DVD-Audio wird sich durchsetzen, aber die Super Audio CD nicht.
: Sie bezeichnen sich selbst als Botschafter der Klassik. Was Ihre eigenen Aktivitäten betrifft, worauf sind Sie besonders stolz?
: Ich bezeichne mich nicht selbst als Botschafter der Klassik, meine PR-Leute nennen mich so. Ich bin nicht aus der Branche. Ich hatte vorher nie in einer Schallplattenfirma gearbeitet.

Ich kann nicht Noten lesen. Aber ich lese sehr viel über Musik. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir Klassik erschwinglich gemacht haben und darauf, dass wir sehr viel Repertoire zur Geltung verholfen haben, das längst vergessen war, das aber wert ist, gehört zu werden.

Am stolzesten bin ich darauf, all das als Außenseiter von Hongkong aus gemacht zu haben. Interview: Hans-Dieter Grünefeld

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