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Von Landlust und Landfrust

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Grünes Band verbindet – Kulturfestival 30 Jahre Deutsche Einheit in Hirschberg
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Bekannt geworden ist Jürgen Schwab als Primarius des Münchner Novalis-Quartetts und Akademischer Direktor an der Würzburger Musikhochschule. Seine Frau Cornelia konzertierte mit den Bamberger Symphonikern und wurde Konzertmeisterin des Würzburger Kammerorchesters. Im Winter 2015 standen Cornelia und Jürgen Schwab am Saaleufer in Hirschberg vor dem baufälligen Gemäuer der einstigen Fabrikantenvilla. Nach Jahren des Leer­stands und ersten Umbaumaßnahmen hauchten sie im April 2018 mit dem Projekt „Villa Novalis – Ein Ort für geistige Kultur und neue Initiativen“ dem Herrschaftshaus wieder Leben ein.

 Doch die klassischen Konzerte und Lesungen werden vom Publikum nicht so gut angenommen wie erhofft. „Es fehlt die Offenheit für Geistvolles, für klassische Musik und Literatur“, beschreibt Schwab das Dilemma. In der Villa direkt an der früheren innerdeutschen Grenze fängt das Künstler-Ehepaar beinahe bei null an. Die Probleme der Kultur auf dem Lande waren das Thema einer Podiumsdiskussion Anfang Oktober in der Villa Novalis. Seit er vor einem Jahr begann, ein Kulturfestival am Grünen Band zu planen, musste Jürgen Schwab feststellen, dass seine Anträge auf finanzielle Unterstützung immer nur weiterge­reicht wurden. Stattdessen zeigte sich die Stiftung Naturschutz Thüringen angetan und unterstützte die Veranstaltungen der Reihe „Grünes Band verbindet – Kulturfestival 30 Jahre Deutsche Einheit“ vom 3. bis 18. Oktober in Hirschberg und Probstzella.

„Fragt man sich, was gut war in der DDR, dann fällt einem neben den Stichworten gut ausgebautes Krippensystem oder Polikliniken auch anderes ein: Die Einen und Anderen erinnern sich, dass sich bei Konzerten neuer Musik, bei Jazzkonzerten oder auch Kirchenmusik viel mehr Zuhörer trafen als dies heute der Fall ist. Die Gründe lagen dafür auf der Hand: Die Menschen, die sich im Konzertsaal versammelten, waren Musikfreunde, aber darüber hinaus oft auch Solidargemeinschaften, für die der Konzertsaal ganz einfach ein Ort geistiger Freiheit war. Dieses Phänomen ist schon lange passé: Künste wie Jazz und neue Musik, selbst der Mainstream und die Klassik haben es heute schwer im Konzert konkurrierender Freizeitangebote“, sagte Andreas Kolb, Moderator und Chefredakteur der neuen musikzeitung (nmz) mit Sitz in Regensburg. Thüringens Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) habe gegenüber der nmz im Jahr 2018 gesagt, dass der Freistaat vom 1. Januar 2017 bis Ende 2021 rund 366 Millionen Euro für Bühnen und Orchester ausgebe. Das seien die zweithöchs­ten Pro-Kopf-Kulturausgaben aller Bundesländer, rechne man die Stadtstaaten Hamburg und Bremen heraus.

Beim Blick über das Grüne Band nach Bayern stellte Andreas Kolb fest, dass die zentralistische Struktur „Alle Kultur geht von München aus beziehungsweise findet dort statt“ nicht mehr zutreffe. Im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte konnten sich Städte wie Nürnberg, Augsburg, Würzburg und Regensburg wieder zu eigenständigen Zentren mit Staats- und Stadttheatern entwickeln. In unmittelbarer Nachbarschaft Hirschbergs liegt die Stadt Hof, die mit den Hofer Symphonikern die Lücken der kulturellen Peripherie ausfüllt, so Kolb.

Johannes K. Hildebrandt, Vizepräsident des Landesmusikrates Thüringen, beklagte, dass es keine institutionelle Förderungen für Festivals und die verschiedenen Ensembles gäbe. Das Förderprogramm „Landkultur“ des Bundeslandwirtschaftsministeriums werde nach zwei Jahren mangels Erfolg nicht verlängert, was er schade finde. Denn die Konzertreihen würden in kleineren Städten vom Publikum dankbarer aufgenommen als in Kulturzentren wie Weimar, in denen es am gleichen Abend fünf weitere Konzerte gäbe. Statt der Fortsetzung des Programms „Landkultur“ will das Landwirtschaftsministerium mit „Land.Digital“ den digitalen Wandel in ländlichen Räumen unterstützen, sagte Hildebrandt. Der Deutsche Tonkünstlerverband erhalte als Berufsverband ebenfalls keine Fördermittel, sagte Almut Auerswald, Erste Vorsitzende des Landesverbandes Thüringen. Sie beklagte, dass Medien im Land wenig Interesse an Konzertkritiken und Ankündigungen hätten.

„Ich war mit Professor Schwab beim zuständigen Abteilungsleiter im Minis­terium, wo die Aktivitäten der Villa Novalis bekannt sind. Dass das Kulturfestival am Ende über eine Naturschutzstiftung unterstützt wird, zeigt mir, woran unsere Gesamtförderstruktur krankt“, sagte Michael Siegmund, Fachdienstleiter im Landratsamt Saale-Orla. Siegmund, Hildebrandt und Mirjam Gerber von der gleichnamigen Künstleragentur aus Leipzig regten an, die Coronazeit zum Anlass für Entwicklung neuer Kulturformate zu nutzen. „Wir bieten unsere Konzerte nicht nur in Veranstaltungshäusern an, sondern neuerdings auch als Live-plus mit gutem Zuspruch im Internet“, sagte Hildebrandt.

Ostthüringer Zeitung/Peter Cissek

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