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Eckart Kröplin: Operntheater in der DDR. Zwischen neuer Ästhetik und politischen Dogmen, Henschel Verlag, Leipzig 2020
Eckart Kröplin: Operntheater in der DDR. Zwischen neuer Ästhetik und politischen Dogmen, Henschel Verlag, Leipzig 2020
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Von Vatermord im Politkampf

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Zwei neue Publikationen zum Thema Operngeschichte in der DDR und in Österreich
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Schön, wenn ein Kenner schreibt und Eckart Kröplin hat einen Großteil seines Lebens in der DDR-Oper und -Wissenschaft verbracht, studierend, beratend, lehrend, leitend. Nach zahlreichen Einzelpublikationen legt er jetzt eine analytische Geschichte der Kulturpolitik und des Opernlebens der Jahre 1945 bis 1990 vor.

Das hohe Engagement der sowjetischen Militäradministration ermöglichte schon ab Herbst 1945 Aufführungen zwischen Rostock und Rudolstadt, in fast allen kleinen Opernhäusern, während im zerbombten Berlin, Dresden und Leipzig nach Ausweichspielstätten gesucht wurde. Kröplin gliedert den rund 300-seitigen Hauptteil dann auch inhaltlich weitgehend überzeugend nach Jahrzehnten – nur der Personenteil führt zu ein paar Überschneidungen und Wiederholungen. Für die 1950er-Jahre beschreibt er die Suche nach einer „Nationaloper“ und richtet den Blick auf den beginnenden Streit um „Formalismus“ und Innovation. Schon zu dieser Zeit wird klar, dass die SED einen kulturpolitischen Führungsanspruch erhob, dem die – im Gegensatz zum westdeutschen Opernpersonal – weitgehend NS-unbelasteten, auch aus dem Exil zurückkehrenden DDR-Künstler mit fast kämpferischem humanistischen Ethos und sehr ernsthaftem künstlerischen Verantwortungsbewusstsein gegenübertraten, „klug und gewitzt“ Politvorgaben unterliefen und ästhetische Freiräume eroberten. Wie ein Leitmotiv durchzieht ein Satz des Wort-Titanen Heiner Müller die Jahrzehnte: „Was man noch nicht sagen kann, kann man vielleicht schon singen.“

Neben Brechts Berliner Ensemble wird die Weltgeltung von Walter Felsensteins „realistischem Musiktheater“ an der Komischen Oper herausgearbeitet, die Etablierung von „Regietheater“ – auch bis hin zur Erstarrung und dann vielfältiger Neuorientierung in den 1960er-Jahren. Der personell-künstlerische Einschnitt, den der Mauerbau 1961 bedeutete, wird dem westdeutschen Leser verständlich. Hier hätte Kröplin den meist unspektakulären „Brückenschlag“ Wolfgang Wagners gebührend herausstellen sollen, der ja weiterhin Musiker und Solisten „aus dem Osten“ nach Bayreuth holte und von Theo Adam bis Ekkehard Wlaschiha einige in die Weltkarriere katapultierte. Dafür ist der im Osten gewichtige Streit um „episches Musiktheater“ mit den Protagonisten Brecht-Eisler-Dessau eingehend dargestellt.

Für die 1970er-Jahre muss der westdeutsche Musiktheaterfreund dann anerkennen, dass mit Götz Friedrichs radikaler „Tannhäuser“-Generalprobe, dem gemilderten Premieren-Paukenschlag in Bayreuth 1972 und seinen weiteren Inszenierungen, mit Harry Kupfers „Fliegendem Holländer“ 1978 in Bayreuth und dessen weiteren Regietaten, mit Ruth Berghaus’ Frankfurter „Parsifal“ und dem „Ring“ bis weit in die 1990er-Jahre hinein „DDR-Regisseure“ mit Phantastik und Logik europaweit Maßstäbe setzten.

Zurecht moniert Kröplin, dass die Arbeit des menschlich schwierigen Joach­im Herz fast zu wenig internationale Beachtung fand – insbesondere seine epochale „Ring“-Deutung in Leipzig 1973–76, die die im Westen unbeachtete sozialkritische Interpretation George Bernhard Shaws (von 1906!) einbezog und dennoch ganz in den Star-Schlagschatten des Bayreuther „Jahrhundert-Rings“ geriet. Doch wer das ganzseitige Foto von Jon Weavings Leipziger Siegfried von 1975 sieht, muss erkennen, woher Peter Hofmanns Siegmund und Manfred Jungs Siegfried bei Chéreau kommen …

Hierzu, auch zu teils skandalisierten „Durchbrüchen“ wie dem der „Berghaus-Elektra“ von 1967, dem „Berghaus-Barbier“ von 1968 (auch die Münchner sensationelle Übernahme 1974), dem „Kupfer-Parsifal“ von 1971 oder dem „Kupfer-Moses-und-Aron“ von 1975 würde der westdeutsche Leser gerne etwas mehr erfahren – da bleibt Kröplin ganz der sachlich distanzierte Berichterstatter. Ein ausführliches Literaturverzeichnis und Personenregister helfen weiter. Damit gilt: Oper in der DDR? Schlag nach bei Kröplin!

Regietheater? Claudia Blank, derzeit Leiterin des Deutschen Theatermuseums in München, führt natürlich zu Recht an: Streit um Regie gibt es seit mindestens 150 Jahren. Sie konzentriert die Vielfalt aller Regie um die Ahnenreihe „Otto Brahm - Max Reinhardt - Leopold Jesserer - Fritz Kortner - Gustav Gründgens - Peter Zadek - Peter Stein - Claus Peymann“. In zahlreichen Kleinkapiteln umreißt sie jeweils „Intention und Ästhetik“, verfolgt „Laufbahnen“ und analysiert „Arbeitsstil und Probenarbeit“. Da sie dann auf 80 Seiten auch die jeweiligen „Inszenierungsstile“ unter den Gesichtspunkten Werktreue, Bühnenbildner und Szenographie darstellt, gibt es zahlreiche Überschneidungen und Wiederholungen. Da eignet sich der aussagekräftig bebilderte Band oft besser als Nachschlagewerk, denn via Namensregister kann der Theaterfreund gezielt suchen. Erstaunlich bis befremdlich, dass Hans Neuenfels überhaupt nicht auftaucht.

Als Hauptlinien werden erkennbar: „Generationen-Konflikt“ und der damit einhergehende künstlerische „Vater-Mord“ in der Abfolge. Viele der eingearbeiteten Urteile sind mit historischen Kritiken oder sonstigen Zitaten belegt.

Blank denkt auch an „Frauen an der ‚Regiemacht‘“ – nur habe Christina Haberlik 2010 in der Ausstellungspublikation „Regie-Frauen“ dazu Wesentliches gesagt. Auf 25 Seiten wagt C. Bernd Sucher ein „Nachwort in die Zukunft“ und weitet die Szene für Luc Bondy, über Kriegenburg, Haußmann, Schlingensief zu Castorf und vier Jungregisseure seiner Wahl. Da hier auch die Opernszene miteinbezogen wird, verwundert das Fehlen der Namen Loy – Guth – Erath – Gürbaça – Herheim – Kratzer… da sollten alle Beteiligten an einen ebenso schön ausgestatteten Ergänzungsband denken.

  • Claudia Blank: Regietheater. Eine deutsch-österreichische Geschichte, Henschel Verlag, Leipzig 2020, 424 S., Abb., € 38,00, ISBN 978-3-89487-815-3
  • Eckart Kröplin: Operntheater in der DDR. Zwischen neuer Ästhetik und politischen Dogmen, Henschel Verlag, Leipzig 2020, 360 S., Abb., € 28,00, ISBN 978-3-89487-817-7

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