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Deutsche Dirigenten der Gegenwart. Fritz Busch
Deutsche Dirigenten der Gegenwart. Fritz Busch
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Vor 100 Jahren – Neue Musik Zeitung 1922/03

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Deutsche Dirigenten der Gegenwart. Fritz Busch
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[…] Man kann hier ohne Übertreibung von einem wirklichen Dirigentengenie sprechen; dieses zeigt sich schon in der ausgesprochenen Begabung für das Technische. Buschs Dirigiertechnik ist überaus plastisch; mühelos wandelt sich die Hörform in eine Sichtform. Daher der sofortige Kontakt mit dem Orchester und mit dem Publikum. Es fehlt ihm vielleicht die eigentliche, vom Ästheten gerne verlangte Eleganz der sparsamen Bewegung, die so oft Pose ist; alles ist Ausdruck, Fülle und Leben.

Die musikalische Veranlagung Buschs ist überaus vielseitig. Er ist ebenso imstande, schärfste Rhythmik und durchsichtige Stimmführung zu geben und etwa eine Fuge aufs klarste auseinanderzulegen, als einem Adagio den ganz großen Atem der weit sich wölbenden Linie einzuhauchen; ein aufs feinste ausgebildeter musikalischer Farbsinn befähigt ihn zu unzähligen dynamischen Abschattierungen vom schmetternden, dabei stets klangschönen Fortissimo bis zum verdämmernden, immer noch tragenden Pianissimo. […]

Ein untrügliches absolutes Gehör unterstützt ihn bei der Probenarbeit ebenso wie die Gabe des treffenden Wortes. Busch ist zugleich ein ausgezeichneter Pianist, der keinem Spezialisten etwas nachgibt und den meisten von ihnen durch seine Musikalität überlegen ist – ein unvergleichlicher Partiturspieler und Vomblattleser. Der Schreiber dieser Zeilen war einmal Zeuge, wie Busch die ganze Partitur der Salome von Strauss in einem Zuge durchspielte, dabei sämtliche Rollen mit der Stimme markierend. Ebenso spielte er den Klavierauszug von Schrekers „Schatzgräber“ vom Blatt und fragte nach dem zweiten Akt den die Solostimmen markierenden Komponisten: „Nun, habe ich einen Fehler gemacht?“ – was der Komponist verneinen mußte. Nur wer einen Blick in das Notenbild Schrekers geworfen hat, kann ermessen, was das bedeutet.

Zusammengehalten werden diese spezifischen Eigenschaften durch eine Persönlichkeit, deren Zauber sich weder das Orchester noch das Publikum entziehen kann, denn beide fühlen instinktiv: dort oben steht ein Mann, dem es nie um seine Person, sondern nur um das Kunstwerk geht, der die virtuose Veranlagung nie zur Pulteitelkeit mißbraucht und an jedem Abend ein Stück seines Lebens hingibt, ohne daraus ein Schaustück zu machen. […]

Alfred Schwab, Neue Musik-Zeitung, 44. Jg., 1. März 1923

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